Vordergründig rangeln FDP und Grüne um verkehrspolitische Fragen. Doch es geht den Parteien um grundsätzlich unterschiedliche, politische Haltungen.
Robert Habeck (l.) und Volker Wissing
„Technologieoffenheit“, fordert Wissing im Namen der FDP, auch wenn er sich im Januar mit Klimaminister Habeck (Grüne) eigentlich auf die rein elektromobile Zukunft festgelegt hatte.
Bild: Getty Images
Berlin Vergangene Woche traute Stefan Gelbhaar beim Blick auf die Titelseite der „Berliner Morgenpost“ seinen Augen nicht. „Autobahn A100 wird weitergebaut“, las der Bundestagsabgeordnete mit Wahlkreis in Berlin-Pankow. Und weiter: „Bundesverkehrsministerium gibt Planungsmittel für den 17. Bauabschnitt frei. Ampelregierung will die Verlängerung.“
Gelbhaar gehört als Grüner der Ampelregierung an, vom gemeinsamen Willen bei der Autobahn ist ihm aber nichts bekannt. Hingegen kennt er den Koalitionsvertrag genau. Der sieht „eine gemeinsame Abstimmung“ über die laufenden Verkehrsprojekte vor. Doch der heftig umstrittene Ausbau der Berliner Stadtautobahn war von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) weder mit den Grünen noch mit der SPD besprochen. „Wenn man auf die Seite eins der ,Berliner Morgenpost‘ kommen will, dann so“, schimpfte Gelbhaar, pochte auf den Koalitionsvertrag und forderte vom Minister „Transparenz“ ein. „Ich frage mich, ob die FDP regierungsfähig ist“, sagte Gelbhaar dem Handelsblatt. Die A100 sei „weder nötig noch sinnvoll“.
Daniela Kluckert, FDP-Bundestagsabgeordnete, ebenfalls mit Wahlkreis Berlin-Pankow und parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, sieht die Dinge indes anders. Der Lokalzeitung hatte sie stolz verraten: Da der Bund die Planungen ausschreibe, sei klar, es werde weitergebaut. „Wir brauchen die Autobahn.“
Die A100 ist ein weiteres Kapitel im Dauerstreit von FDP und Grünen in der noch jungen Ampelkoalition. Vordergründig geht es immer wieder um verkehrspolitische Fragen, dahinter verbergen sich aber die unterschiedlichen Auffassungen, sei es in der Haushalts-, der Klima- oder der Gesellschaftspolitik.
In Berlin geht es auf dem Papier nur um wenige Kilometer Autobahn. Doch hätten die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen nur zu gern einen Baustopp für neue Straßen durchgesetzt. Sie wollten alle bereits beschlossenen Verkehrsprojekte neu bewerten.
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Die Koalitionäre einigten sich darauf, die bisherige Praxis zu überprüfen und gemeinsam „mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden“ darüber zu reden, welche neuen Verkehrswege noch nötig sind. Es soll „einen neuen Infrastrukturkonsens“ geben.
Umsetzen muss es der Minister – und den stellen nicht die Grünen, sondern die Liberalen. So hat Minister Wissing den Koalitionären zugesagt, „bis Ende 2023“ die lange Liste aller bis 2030 geplanten Verkehrsprojekte anhand neuer Verkehrsprognosen zu überprüfen, die es noch zu erstellen gilt. Bis dahin will er aber durchaus das geltende Recht, konkret die Ausbaugesetze, vollziehen. „Der Bundesverkehrswegeplan ist vom Bundestag beschlossen und bleibt“, sagte Staatsekretärin Kluckert dem Handelsblatt. „Wenn wir jedes Projekt zur Disposition stellen würden, wäre es ein Moratorium.“
Aussagen im Koalitionsvertrag sind immer wieder Anlass für Rangeleien. Mal geht es um die Zukunft von Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen, dann um die Frage, was unter 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen bis 2030 zu verstehen ist: nur rein batteriebetriebene oder auch hybride Autos?
„Technologieoffenheit“, fordert Wissing im Namen seiner Partei, auch wenn er sich im Januar mit Klimaminister Robert Habeck (Grüne) eigentlich auf die rein elektromobile Zukunft festgelegt hatte. Nach heutigem Stand der Dinge führt kein Weg daran vorbei, um auch nur annährend die heutige Mobilität klimaneutral zu gestalten. Als sich sein Green Deal mit Habeck in der Partei herumsprach, brach in Windeseile ein Proteststurm los, Wissing relativierte.
Inzwischen sticheln die Grünen und fordern etwa wie jüngst Parteichefin Ricarda Lang ein Tempolimit – obwohl davon im Koalitionsvertrag nicht die Rede ist. Die Liberalen lehnen es sogar explizit ab. Sie wollen Klimaschutz mit Anreizen erreichen, nicht mit Verboten. Allenfalls eine CO2-abhängige Lkw-Maut soll ab 2024 dafür sorgen, dass der Güterverkehr CO2 einspart. Schließlich bringt der gut und gern sechs Milliarden Euro im Jahr ein, Geld, das die FDP dringend für ihre Förderprogramme benötigt. Ansonsten soll der CO2-Preis wirken.
Kein Wunder, dass FDP und Grüne wenige Tage vor der A100- und Tempolimit-Debatte heftig über die hohen Energiepreise stritten. Aus Sicht der Grünen lief mit den steigenden Spritpreisen eigentlich alles nach Plan: Klimaschädliche Autofahrten verteuerten sich relativ zu Bus und Bahn.
Dann aber brachte ausgerechnet FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister einen Tankrabatt ins Spiel, den Grüne wie Gelbhaar zwar als „teure Schaufensterpolitik“ kritisierten, aber nicht mehr verhindern konnten. Also schlugen die Grünen im Gegenzug einen Ticketrabatt im Nahverkehr vor, wenn sich schon nicht das von ihnen präfierte sozial gestaffelte Energiegeld oder das verkehrsträgerunabhängige Mobilitätsgeld umsetzen ließ.
Der nächste große Streit liegt auch schon in der Luft: Es geht um die vielen maroden Brücken im Land. Die meisten von ihnen stammen aus den 60er-Jahren und ächzen heute unter doppelt so schweren Lastwagen und einem Vielfachen an Fahrzeugen am Tag. Ersatzneubauten müssen her – und zwar schnell. Für die FDP ist klar: Die neuen Brücken sollten sechs- statt vierspurig ausgebaut werden und mit ihnen auch die Autobahn vor und hinter der Brücke. Dann aber ist der Ersatz rechtlich ein Neubau und erfordert all die langwierigen Verfahren.
„Ein Ersatz bedeutet nicht, auch zwei weitere Fahrspuren zu bauen“, stellt Grünen-Verkehrspolitiker Gelbhaar klar. „So etwas ist und bleibt regelmäßig ein Neubau.“ Im Verkehrsministerium heißt es: „Wir sollten den Konsens suchen und überlegen, wie wir Mischlösungen schaffen.“
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