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07.08.2019

16:19

Analyse

Alle Zeichen stehen auf Rezession – aber Berlin will nicht handeln

Von: Norbert Häring

Zahlen lügen nicht. Die aktuellen Wirtschaftsdaten weisen Richtung Abschwung. Darauf müsste der Staat reagieren – und Schulden machen. Doch in Deutschland regiert der Sparfetisch.

Die Auftragslage der Industrie verschlechtert sich weiter – doch die Bundesregierung ignoriert die Anzeichen der Rezession. dpa

Sonnenuntergang über einem Stahlwerk

Die Auftragslage der Industrie verschlechtert sich weiter – doch die Bundesregierung ignoriert die Anzeichen der Rezession.

Frankfurt Die Industrieproduktion ist im Juni ein weiteres Mal gefallen, und zwar mit minus 1,5 Prozent viel stärker, als von Analysten erwartet. Die Produktion folgt damit dem ebenfalls seit vielen Monaten schwächer werdenden Auftragseingang. 

Nach der Ursache braucht man nicht lange zu suchen: Auch die Industrien von Japan und Südkorea, die wie die deutsche stark von der Nachfrage aus China abhängen, entwickeln sich derzeit sehr schlecht.

Der Konsens der Ökonomen ist nun, dass die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal geschrumpft ist. Damit wäre sie in den letzten vier Quartalen nur einmal, nämlich im ersten Vierteljahr 2019 – gewachsen. Und für das laufende Quartal gibt es keine ernst zu nehmenden Hoffnungszeichen. Die am Mittwoch veröffentlichte monatliche Konjunkturumfrage des Ifo-Instituts ergab ein weiteres Abrutschen der Erwartungen.

„Die Aussichten für die deutsche Industrie sind derzeit alles andere als rosig“, kommentierte Robert Lehmann, Konjunkturexperte des Ifo-Instituts. „Immer mehr Firmen vermelden, dass sie ihre Produktion im kommenden Vierteljahr drosseln wollen. Damit übersteigt die Zahl der Pessimisten nunmehr sogar deutlich jene der optimistischen Stimmen. Derzeit ist ein Ende der Rezession in der deutschen Industrie nicht absehbar.“

Der Abwärtstrend dürfte weitergehen. Weiteres Ungemach droht von der internationalen Politik. US-Präsident Donald Trump hat den Handelskrieg mit China zuletzt verschärft und hält ihn mit Europa am Köcheln. Das Geschäft mit Großbritannien wird vom Herannahen des Brexit-Zieldatums ohne bisherige Einigung zunehmend belastet.

Die Finanzmärkte geben eine entsprechend klare Einschätzung ab. Die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen ist auf minus 0,6 Prozent abgerutscht. Das heißt, die Investoren rechnen mit einer jahrelangen wirtschaftlichen Flaute und entsprechend niedrigen Notenbankzinsen.

Die Aktienkurse sind in den letzten Tagen kräftig gesunken, ebenso der Ölpreis, was auf die Erwartung einer schwachen Weltkonjunktur und damit der Ölnachfrage hindeutet. Der Goldpreis zieht an, ein Indikator für zunehmende Finanzkrisenerwartungen. Anleger suchen sichere Häfen.

Der vergessene Keynes

Konjunkturkrisen liegt ein Koordinationsproblem zugrunde, wie es der berühmte Ökonom John Maynard Keynes während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre herausarbeitete. Jeder Einzelne reagiert rational auf den Abschwung, wenn er sein Geld zusammenhält, um gut durch die Krise zu kommen. Wenn das aber die meisten tun, schaffen sie gerade damit die Voraussetzungen für den Nachfragemangel, der den Abschwung treibt.

Es gibt aber einen sehr großen Marktteilnehmer, der sich dieser Dynamik aus Eigeninteresse entgegenstellen kann – den Staat. Das ist die im Prinzip unbestrittene Lehre von Keynes. Denn der Staat ist über die Steuern am Erfolg der Privaten beteiligt und muss mehr Geld ausgeben, wenn die Arbeitslosigkeit steigt.

Wenn alle sparen wollen, muss der Staat deshalb mehr Geld ausgeben, damit seine Finanzen nicht mit der Wirtschaft in den Abwärtsstrudel geraten. Dann sehen auch die privaten Akteure wieder mehr Chancen statt nur Risiken und geben wieder bereitwilliger Geld aus.

Aber leider hat sich gerade in Deutschland das allzu lange eingeübte Mantra von der Ursünde des Schuldenmachens verselbstständigt. Finanzminister sonnen sich im Glanz des Images als Sparfuchs und wollen auf diesen Glanz nicht verzichten – selbst wenn man mit Schuldenmachen inflationsbereinigt sogar um die zwei Prozent pro Jahr verdienen kann.

Die Prügel bekommen ja nicht sie, sondern ihre Amtsnachfolger, die später hohe Schulden machen müssen, wenn sinkende Steuereinnahmen, steigende Sozialausgaben und teure Bankenrettungen die Staatsfinanzen zerrüttet haben werden.

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