Die Coronakrise trifft den Arbeitsmarkt mit großer Wucht: Jede zweite Firma fährt Kurzarbeit, viele Unternehmen wollen Stellen abbauen. Die Koalition versucht gegenzusteuern.
Berlin Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth beschönigte nichts: „Offensichtlich bricht uns im Moment etwas weg, von dem kein Mensch weiß, ob es aufholbar ist“, sagte der Manager vergangene Woche. Der Autobauer musste im ersten Quartal einen Gewinneinbruch von fast 80 Prozent hinnehmen, der Absatz der Kernmarke Mercedes ging um 15 Prozent zurück. „Die Tatsache, dass wir Anpassungsbedarf haben werden, liegt auf der Hand“, sagte Porth. Zwar nahm er nicht das Wort Stellenabbau in den Mund. Aber schon vor Corona hatte Daimler die Streichung von bis zu 15.000 Arbeitsplätzen beschlossen.
Die Jobangst ist zurück in Deutschland, und die Viruspandemie wird tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Jede zweite Firma fährt bereits Kurzarbeit. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts will zudem fast ein Fünftel der Unternehmen Mitarbeiter entlassen oder befristete Jobs nicht verlängern.
„Die Jobangst sickert ein“, sagt Ifo-Ökonom Klaus Wohlrabe. Die Stellenabbaupläne beruhen offenbar auf der Sorge vieler Unternehmen, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Coronakrise nicht schon im Mai enden werden.
Im Durchschnitt rechneten die befragten Firmen mit vier Monaten eines teilweisen Stillstands. 84 Prozent spüren einen Umsatzrückgang durch die Coronakrise, nur vier Prozent registrieren ein wachsendes Geschäft. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) hat von den 2,2 Millionen Betrieben mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer knapp jeder dritte Kurzarbeit angemeldet.
Bisherige Beschäftigungsprognosen werden mit jedem Tag, den die Coronakrise andauert, mehr zu Makulatur. „Für den Arbeitsmarkt rechnen wir in den nächsten Monaten mit stark steigenden Arbeitslosenzahlen. Viele Betriebe halten aber ihre Leute, das sieht man an der Kurzarbeit“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
BA-Chef Detlef Scheele rechnete vor einem Monat für April mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl um 150.000 bis 200.000 Personen. Die aktuellen Daten wird die Nürnberger Behörde am kommenden Donnerstag präsentieren.
Besserung ist kaum in Sicht, wenn man sich die Konjunkturentwicklung anschaut: So ist der Einkaufsmanagerindex von IHS Markit eingebrochen. In der Umfrage sagten 75 Prozent der Dienstleister und fast ebenso viele Industriemanager, dass ihre Umsätze deutlich geschrumpft seien. Bei den Dienstleistern fielen die Umsätze so stark wie noch nie in der 20-jährigen Geschichte dieser Umfrage. „Regelrecht kollabiert ist sowohl die Binnen- als auch die Exportnachfrage“, schreibt IHS-Markit-Ökonom Phil Smith.
„Das Nachfrageniveau wird so schnell nicht wieder auf Vorkrisenstand zurückkehren“, erwartet auch Sascha Haghani, Leiter der globalen Restrukturierungspraxis der Unternehmensberatung Roland Berger. So ist etwa das GfK-Konsumbarometer, das die Kauflaune der Verbraucher misst, auf ein Rekordtief eingebrochen.
„Die Firmen werden über kurz oder lang ihre Kosten dementsprechend anpassen müssen“, erwartet Haghani. Wohl auch über Stellenstreichungen: Im Servicesektor wurden laut IHS mehr Stellen abgebaut als auf dem Höhepunkt der Finanzkrisenrezession im April 2009, auch in der Industrie beschleunigt sich der Personalabbau.
Die Ifo-Umfrage zeigt zudem, wie breit die Schockwellen sich in der Wirtschaft ausbreiten: In der Industrie und bei Dienstleistern will fast jedes fünfte Unternehmen Mitarbeiter entlassen oder befristete Jobs nicht verlängern. Im Handel sind es 15 Prozent, auf dem Bau, der bisher vom Stillstand wenig betroffen ist, auch schon zwei Prozent. Führende Ökonomen wie der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, beginnen, ihre Prognosen für 2020 nach unten zu korrigieren.
Nachdem Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten vergangene Woche einen langsamen Neustart der Wirtschaft beschlossen haben, erwartet er, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 mindestens um 5,5 Prozentpunkte schrumpfen wird. Auch in den Konjunkturinstituten, die vor zwei Wochen in ihrer Gemeinschaftsprognose ein Minus von 4,2 Prozent für 2020 voraussagten, wird nun erwartet, dass eine Fünf vor dem Komma stehen wird.
Das IAB war im März von einem BIP-Rückgang um 4,7 Prozent ausgegangen, wenn die Wirtschaft zweieinhalb Monate weitgehend stillsteht und sich erst bis Jahresende normalisiert. In diesem Fall könnte die Zahl der Arbeitslosen von derzeit gut 2,3 Millionen zeitweise auf mehr als drei Millionen steigen, prognostizierten die Nürnberger Forscher damals.
Ein namhafter Restrukturierungsexperte rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit durch Corona sogar auf vier Millionen Personen ansteigen könnte. Vor allem schwer angeschlagene Branchen wie Touristik und Gastronomie seien betroffen, aber auch wichtige Industriezweige wie die Autozulieferer.
Auch die Regierung geht ganz offensichtlich von einer längeren Schwächephase auf dem Arbeitsmarkt aus. So soll für alle Arbeitslosen, die zwischen Mai und Dezember in Hartz IV rutschen würden, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds um drei Monate verlängert werden. „Diejenigen, die gerade arbeitslos werden oder vor Kurzem arbeitslos geworden sind, haben derzeit kaum Chancen, wieder einen Job zu finden“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Um vor allem von den Gewerkschaften erhobene Vorwürfe zu entkräften, die Politik kümmere sich mehr um die Unternehmen als um die Beschäftigten, hat der Koalitionsausschuss in der Nacht zu Donnerstag aber auch eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds beschlossen – gestaffelt nach der Bezugsdauer.
Derzeit liegt es bei 60 Prozent des Nettoeinkommens, bei Beschäftigten mit Kindern sind es 67 Prozent. Ab dem vierten Monat in Corona-Kurzarbeit sollen Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit um mindestens die Hälfte reduziert ist, nun 70 beziehungsweise 77 Prozent erhalten. Ab dem siebten Monat erhöhen sich die Sätze auf 80 bis 87 Prozent.
Außerdem dürfen Kurzarbeiter, die einen anderen Job annehmen, bis zur Höhe ihres bisherigen Monatseinkommens hinzuverdienen. Bisher galt das nur für „systemrelevante“ Tätigkeiten etwa in der Pflege oder der Landwirtschaft.
Die schrittweise Erhöhung des Kurzarbeitergelds stößt derweil auf Kritik: „Ich hätte mir eine schnellere Aufstockung gewünscht, vor allem für Geringverdiener“, sagte Sebastian Dullien, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). In einer Umfrage hätten 40 Prozent der Beschäftigten, die sich in Kurzarbeit befinden, gesagt, dass sie maximal drei Monate mit dem Geld auskommen würden.
Bei den Gewerkschaften, die sich eine generelle Aufstockung auf 80 beziehungsweise 87 Prozent von Anfang an erhofft hatten, stieß der Beschluss auf ein geteiltes Echo. „Viele Beschäftigte werden damit vor existenziellen Nöten bewahrt“, lobte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Dagegen erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Guido Zeitler, die Erhöhung sei zwar richtig, falle aber zu gering aus und komme zu spät.
Im Gastgewerbe könnten die Beschäftigten wohl erst im Oktober 2020 mit 80 Prozent des normalen Nettolohns rechnen. Laut NGG-Berechnungen stehen einer Köchin in Berlin nach den neuen Plänen künftig statt rund 920 Euro knapp 1 070 und ab dem siebten Monat Kurzarbeit rund 1 220 Euro zur Verfügung. „Für Hunderttausende Menschen mit niedrigen Einkommen bleibt jetzt nur der Gang zum Amt, um Hartz IV zu beantragen“, so Zeitler.
Auch IAB-Arbeitsmarktexperte Weber kritisiert, dass die geplanten Änderungen nicht sehr zielgerichtet den Beschäftigten in den Niedriglohnbranchen zugutekommen. „Am Ende könnten vor allem Industriebranchen profitieren, die schon länger in der Rezession stecken.“
Für Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erschließt sich gar nicht, welches Problem die Regierung mit dem Kompromiss lösen will: „Letztendlich wird viel Geld für einen nicht klar definierten Zweck ausgegeben.“ Nach Schäfers Berechnungen bräuchte die BA 24 Milliarden Euro, um 4,5 Millionen Vollzeit-Durchschnittsverdiener ohne Kinder für drei Monate in Kurzarbeit zu schicken. Die Rücklage der Arbeitsagentur liegt bei knapp 26 Milliarden Euro.
Entsprechend harsch fiel auch die Kritik aus der Wirtschaft aus. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer lobte zwar Koalitionsbeschlüsse wie die Hilfen für Gastronomiebetriebe und zum erleichterten Verlustrücktrag für Unternehmen. Sie würden aber überlagert vom „Geldausgeben mit der Gießkanne“.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall kritisierte, die Beschlüsse zur Kurzarbeit seien teuer und verursachten einen enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bei der BA: „Es besteht die große Sorge, dass beim Neustart der Wirtschaft die Steuer- und Beitragskeule auf die Arbeitnehmer und Unternehmen niedergeht“, sagte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander dem Handelsblatt. BA-Chef Scheele erklärte, er hätte sich eine „einfachere Regelung“ gewünscht.
Geschlossene Bars und Restaurants
In dieser Gaststätte in der Dresdner Innenstadt sind die Stühle hochgestellt.
Bild: imago images/photothek
Monika Schnitzer, neues Mitglied im Sachverständigenrat, sagte dem Handelsblatt, sie könne nachvollziehen, dass die Regierung das Kurzarbeitergeld ausweiten wolle. „Den gewählten Weg einer Aufstockung halte ich aber für problematisch.“ Denn viele Arbeitgeber stockten ja freiwillig auf, um ihre Mitarbeiter zu halten. Ich befürchte, dass es einen hohen Anteil an Mitnahmeeffekten auslösen wird.“
Nach Ansicht von Ifo-Präsident Clemens Fuest werden die Beschlüsse die Konsumnachfrage stabilisieren. Sie seien deshalb auch „eine geeignete konjunkturpolitische Maßnahme“. Das gelte auch für die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×