Mehr Frauenerwerbstätigkeit, Aus- und Weiterbildung und Zuwanderung sollen das Fachkräfteproblem lösen. Doch Wirtschaft, Gewerkschaften und Kommunen sehen noch Leerstellen im Konzept.
Bundesminister Hubertus Heil, Bildungsministerin Beate Stark-Watzinger und Wirtschaftsminister Robert Habeck (v.l.)
„Für viele Betriebe ist die Suche nach Fachkräften schon heute eine existenzielle Frage“, sagte Heil.
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Berlin Die Bundesregierung stößt mit ihrer Strategie zur Fachkräftesicherung auf ein geteiltes Echo. „Wie in so vielen Bereichen haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagte Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach. Es sei lange bekannt, dass im öffentlichen Dienst schon heute mehr als 360.000 Beschäftigte fehlten und eine Pensionierungswelle anstehe. Doch Bund, Länder und Kommunen gingen das Problem immer noch zu zögerlich an.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer begrüßte, dass die Bundesregierung ein ressortübergreifendes Strategiepapier vorgelegt hat. Eine Fachkräftestrategie dürfe aber nicht nur eine bloße Sammlung von Einzelprojekten sein, sondern müsse mittel- und langfristig konzipiert werden. „Die bisherige Strategie lässt jedoch leider noch einen überzeugenden gesamtstrategischen Ansatz vermissen“, sagte Wollseifer, „es fehlt der Kompass“.
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatten am Mittwoch Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Ländern und Kommunen zum Fachkräftegipfel eingeladen, um über die neue Strategie der Bundesregierung zu sprechen.
„Für viele Betriebe ist die Suche nach Fachkräften schon heute eine existenzielle Frage“, sagte Heil nach dem Treffen. Und die Fachkräftesicherung sei neben dem Umbau der Energieversorgung und der Digitalisierung „die entscheidende Frage für Wohlstandssicherung“. Bildungsministerin Stark-Watzinger betonte, es sei ein „neuer, trauriger Rekord“, dass es in Deutschland fast zwei Millionen nicht besetzte Stellen gebe.
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Die Fachkräftestrategie definiert fünf zentrale Handlungsfelder. So will die Ampelkoalition die duale Ausbildung stärken und eine Ausbildungsgarantie einführen. Außerdem wiederholt sie das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die Weiterbildung zu stärken. Die Regierung werde „in Kürze“ die Nationale Weiterbildungsstrategie vorstellen, sagte Stark-Watzinger.
Neben einer verstärkten Zuwanderung sollen auch noch inländische Erwerbspotenziale vor allem bei Frauen gehoben werden, etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Alle „gläsernen Schranken“ im Steuerrecht oder im Sozialsystem, die einer Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen im Wege stünden, müssten abgebaut werden, sagte Habeck.
Deutschland könne es sich aber auch nicht leisten, dass Jahr für Jahr 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verließen, betonte Heil. Fünftes Element der Strategie ist eine Verbesserung der Arbeitsqualität sowie eine mitarbeiterorientierte Arbeitskultur, die dafür sorgen sollen, dass Beschäftigte gesund und motiviert ihrer Arbeit nachgehen können.
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), hob besonders die Bedeutung guter Arbeitsbedingungen hervor. Vielfach seien die Probleme über Jahre hausgemacht, sagte sie: Fachkräfte fehlen ganz besonders da, wo Arbeitsbedingungen und Bezahlung schlecht sind.“
>> Lesen Sie hier: DGB nimmt neuen Anlauf für bundesweite Ausbildungsumlage
Bestes Beispiel sei die Pflege: Zigtausende Beschäftigte verließen wegen der massiven Belastung und unattraktiver Löhne den Beruf nach wenigen Jahren wieder. „Das löst man aber nicht, indem man Ersatzkräfte in Drittstaaten rekrutiert und zu Dumpinglöhnen hier arbeiten lässt“, sagte Piel.
Der Fachkräftemangel treffe die Gesellschaft da, wo es besonders wehtue, sagte der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung: „Wer pflegt Kranke und Ältere? Wie sollen wir Bildungsgerechtigkeit für die Kinder erreichen, wenn Kita-Gruppen und Schulklassen immer größer werden? Wer setzt die Photovoltaik-Anlagen auf die Dächer?“
Jung forderte die Bundesregierung auf, die Strategie vor allem beim Thema Einwanderung noch nachzuschärfen. „Wir können nicht verlangen, dass Bewerber schon fließend Deutsch sprechen, bevor sie hierherkommen“, sagte er.
Zusätzlich müsse der Bund in anderen EU-Ländern und Drittstaaten gezielt Fachkräfte besonders für soziale Berufe anwerben und auch vor Ort ausbilden. Im Herbst will die Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag für eine Reform des Einwanderungsrechts vorlegen.
>> Lesen Sie hier: Arbeitskräftemangel verschärft sich – Sind Zuwanderung und bessere Arbeitsbedingungen die Lösung?
Wirtschaftsminister Habeck betonte nach dem Treffen, dass die Fachkräftesicherung einen langen Atem erfordere. Anders als andere Krisen wie die Energieknappheit oder der Preisschock bestehe die Herausforderung nicht nur vorübergehend.
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