Bei den Arbeitsagenturen gehen aus nahezu allen Branchen Anträge auf Kurzarbeit ein. Die Bundesregierung verlängert für einige Unternehmen die Bezugsdauer.
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8000 BA-Mitarbeiter kümmern sich derzeit um Anträge auf Kurzarbeit – zehnmal so viele wie gewöhnlich.
Bild: Jan Huebner
Berlin Die Kurzarbeit ist für die Unternehmen weiter das Mittel der Wahl, um die Coronakrise möglichst ohne Personalabbau zu überstehen. Bis zum 6. April 2020 haben rund 650.000 Betriebe bei den Agenturen für Arbeit Kurzarbeit angemeldet, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Donnerstag mitteilte.
Damit sei die Zahl der Betriebe, die Kurzarbeit planen, gegenüber dem letzten Vergleichswert von vor einer Woche nochmals um knapp 40 Prozent gestiegen. Bis zum 27. März 2020 waren im Zuge der Coronakrise insgesamt Kurzarbeitsanzeigen von rund 470.000 Betrieben eingegangen.
„Wie viele Betriebe am Ende tatsächlich Kurzarbeit realisieren und in welchem Umfang sie das tun, können wir erst genau sagen, wenn die Kurzarbeit abgerechnet wird“, sagte BA-Chef Detlef Scheele. Seine Behörde geht aber davon aus, dass die Zahl der Kurzarbeiter deutlich über dem Niveau der Wirtschafts- und Finanzkrise liegen wird. Damals waren in der Spitze bis zu 1,4 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit.
Davon hängen dann auch die Kosten ab. Das Bundesarbeitsministerium hatte in seinem Verordnungsentwurf zur Einführung der erweiterten Kurzarbeit mit rund 2,3 Millionen Kurzarbeitern und Kosten von rund zehn Milliarden Euro kalkuliert. Die Rücklage der BA lag Ende vergangenen Jahres bei rund 26 Milliarden Euro.
Dieses Geld würde reichen, um 4,5 Millionen Durchschnittsverdiener mit rund 3.300 Euro Bruttolohn drei Monate lang in Kurzarbeit „Null“ zu schicken, sie also gar nicht mehr arbeiten zu lassen, hat Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) errechnet.
Im Handwerk haben 36 Prozent der Betriebe bereits Kurzarbeit beantragt, zeigt eine Umfrage, die der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) vom 2. bis zum 5. April durchgeführt hat. Hier stechen vor allem die Gesundheitsgewerke, Kfz-Betriebe sowie Anbieter von konsumnahen Lebensmittel- und persönlichen Dienstleistungen hervor.
In der Chemie- und Pharmabranche wird im April jeder siebte Beschäftigte in Kurzarbeit sein – knapp 85.000 von insgesamt 580.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, teilte der Arbeitgeberverband BAVC unter Berufung auf eine Ende März durchgeführte Mitgliederumfrage mit. Gegenüber März ist das ein Anstieg um den Faktor fünf.
„Mit schon jetzt über 80.000 Beschäftigten in Kurzarbeit trifft uns die Coronakrise weitaus härter als die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009“, sagte BAVC-Präsident Kai Beckmann. „Damals waren in der Spitze etwa 50.000 Beschäftigte in unserer Branche in Kurzarbeit.“
Der durchschnittliche Arbeitsausfall der betroffenen Beschäftigten werde mit 65 Prozent doppelt so hoch liegen wie in der Krise 2009, teilte der Verband weiter mit. Ursache für Kurzarbeit ist in den allermeisten der betroffenen Betriebe die mangelnde Nachfrage von Seiten der Kunden, dies trifft auf 76 Prozent der Unternehmen zu. Aber auch Personalengpässe durch hohen Krankenstand oder fehlende Kinderbetreuung tragen in fast einem Drittel der betroffenen Betriebe zu Kurzarbeit bei.
Gesamtwirtschaftlich kommen Kurzarbeitsanzeigen laut BA aus nahezu allen Branchen. Schwerpunkte seien unter anderem der Einzelhandel und das Gastgewerbe. „Mit dem Kurzarbeitergeld sichern wir Millionen von Arbeitsplätzen“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil.
„Wir sehen in anderen Ländern, welche dramatischen Auswirkungen die Pandemie auch für den Arbeitsmarkt hat.“ So seien in den USA binnen zwei Wochen mehr als sechs Millionen Menschen arbeitslos geworden. Österreich verzeichne derzeit den höchsten Stand an Arbeitslosigkeit seit 1946.
Vor allem die Gewerkschaften machen aber weiter Druck, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen. Die aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanzierte Leistung ersetzt für die Ausfallstunden 60 Prozent des Nettoeinkommens, bei Beschäftigten mit Kindern sind es 67 Prozent.
„Das Kurzarbeitergeld muss deutlich aufgestockt werden“, forderte etwa der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Guido Zeitler. „Passiert das nicht, rutschen Hunderttausende Beschäftigte schuldlos in Armut.“
Aktuell würden zwar richtigerweise die Unternehmen mit hohen Milliardenbeträgen unterstützt, die Beschäftigten gingen dabei aber meist leer aus, sagte Zeitler. „Hier ist eine gefährliche Unwucht mit einigem sozialen Sprengstoff entstanden.“ Die Gewerkschaften fordern eine gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 80 beziehungsweise 87 Prozent des letzten Nettolohns.
Nach Informationen des Handelsblatts wollte Arbeitsminister Heil an diesem Donnerstag einen entsprechenden Vorschlag ins Corona-Kabinett einbringen. Unklar war aber, ob die Union mitspielt.
Nachdem schon die Zugangsvoraussetzungen gelockert wurden, würde eine erneute Rechtsänderung bedeuten, dass die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit von rund 26 Milliarden Euro schneller abschmilzt.
Außerdem müsste sich die Arbeitsverwaltung, die mit der Antragsflut kämpft, erneut umstellen. Laut BA-Chef Scheele bearbeiten derzeit knapp 8.000 Beschäftigte Kurzarbeitsanzeigen und rechnen Kurzarbeit ab. Das seien zehn Mal so viele wie in normalen Zeiten.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnt eine gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitergelds strikt ab. Nur bei „Kurzarbeit null“, also wenn gar nicht mehr gearbeitet werde, liege ein Arbeitnehmer bei 60 beziehungsweise 67 Prozent seines alten Nettoeinkommens, heißt es in einem Positionspapier des Verbandes.
Bei 50 Prozent Arbeitsausfall komme ein Beschäftigter dagegen mit der Kombination aus dem verbleibenden Lohn, dem Kurzarbeitergeld und gegebenenfalls Kindergeld auf 80 bis 90 Prozent seines bisherigen Nettoeinkommens aus Vollzeitarbeit, obwohl nur halb so viel gearbeitet werde.
„Schon deshalb ist eine generelle Aufstockung nicht gerechtfertigt“, schreibt die BDA. Ohne Betrachtung des gesamten Haushaltseinkommens könne überhaupt keine Aussage darüber getroffen werden, ob eine Notlage tatsächlich gegeben ist. Soll heißen: Wenn ein Partner in Kurzarbeit ist, der andere aber weiter voll arbeitet, kann das Haushaltseinkommen dennoch ausreichend sein, um zumindest zeitweise über die Runden zu kommen.
Der CDU-Sozialflügel schlägt eine differenzierte Lösung vor, um vor allem Beschäftigten mit niedrigem Einkommen zu helfen. „Unser Ziel muss sein, dass Geringverdiener in Kurzarbeit nicht auf Sozialtransfers angewiesen sein müssen“, sagt der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion im Bundestag, Uwe Schummer (CDU).
Funktionieren soll das über ein steuerfinanziertes Mindestkurzarbeitergeld. Hat ein Beschäftigter durch die Kurzarbeit weniger Geld zur Verfügung, als er mit einem mit Mindestlohn bezahlten Job hätte, soll die Arbeitsagentur das Kurzarbeitergeld automatisch aufstocken. Der Differenzbetrag zum regulären Kurzarbeitergeld soll ihr anschließend aus Steuermitteln erstattet werden.
„Mit einem Kurzarbeitergeld in Höhe von 67 oder 60 Prozent des normalen Einkommens rutschen viele direkt in die Grundsicherung“, sagte Schummer. „Das müssen wir verhindern.“ IW-Arbeitsmarktexperte Schäfer hält allerdings nichts von der Idee. Es gebe schon ein Auffangnetz, und das sei die staatliche Grundsicherung – umgangssprachlich Hartz IV. Es mache keinen Sinn, jetzt teure Doppelstrukturen aufzubauen.
Eine Lösung hat die Bundesregierung inzwischen für Unternehmen gefunden, die bald die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds von zwölf Monaten erreichen. So hatte etwa der Maschinenbauverband VDMA in einem Brief an Arbeitsminister Heil darauf hingewiesen, dass aufgrund der schon länger anhaltenden Industrierezession etliche Firmen bereits seit dem Frühjahr 2019 in Kurzarbeit seien und ihr Anspruch bald ende.
Wie Heil am Donnerstag mitteilte, können alle Firmen, die in den kommenden Wochen und Monaten die maximale Bezugsdauer erreichen, bis Ende des Jahres weiter Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiter beziehen. Diese „alten“ Fälle von Kurzarbeit würden dann unter den neuen Regelungen weiterlaufen, die unter anderem eine vollständige Erstattung der vom Arbeitgeber zu leistenden Sozialabgaben vorsehen.
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