In seinem Gesetz für die Minijob-Reform hat der Arbeitsminister auch strengere Zeiterfassungspflichten für elf Branchen und Millionen von Beschäftigten versteckt. Es regt sich bereits Protest.
Gebäudereiniger am Kölner Hauptbahnhof
Auch die Branche der Gebäudereiniger wäre von den neuen Regeln betroffen.
Bild: imago images/Future Image
Berlin Ab Oktober soll die Verdienstschwelle für geringfügige Beschäftigungen von 450 Euro auf 520 Euro im Monat angehoben werden. So sollen auch Minijobber von der geplanten Anhebung des Mindestlohns profitieren können. Doch in den dazugehörigen Gesetzentwurf hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein weiteres Vorhaben eingebaut, das auf Widerstand stoßen dürfte.
Denn nicht nur für Minijobber sollen künftig strenge Regeln zur Arbeitszeiterfassung gelten. Auch Arbeitgeber in den elf im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufgeführten Branchen will Heil verpflichten, Arbeitsbeginn, -ende und -dauer „jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen“ und die Daten zu speichern.
Von der Pflicht zur digitalen und sofortigen Arbeitszeiterfassung wären beschäftigungsintensive Branchen wie das Bau- oder Gastgewerbe, die Gebäudereiniger oder Wach- und Sicherheitsdienste betroffen. Bisher sind Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeit der Beschäftigten innerhalb von sieben Tagen aufzuzeichnen, das ist auch in Papierform möglich.
In den betroffenen Branchen regt sich nun Widerspruch zu dem Vorhaben: „Die Vorgaben zur Digitalisierung der Arbeitszeitaufzeichnungen sind fernab der betrieblichen Realität und faktisch nicht umsetzbar“, heißt es in der Stellungnahme des Bundesinnungsverbands des Gebäudereiniger-Handwerks, die dem Handelsblatt vorliegt.
Die rund 700.000 Beschäftigten der Branche seien in täglich mehr als 100.000 Objekten im Einsatz. Man könne aber kaum erwarten, dass die Kunden – von der kleinen Arztpraxis bis zum großen Industriebetrieb – eigene Zeiterfassungsterminals für die Putzkolonnen installierten.
Ähnlich verhält es sich im Bau- und Ausbaugewerbe, wenn beispielsweise das Bad eines Kunden gefliest werden soll oder Bauarbeiter auf wechselnden Baustellen eingesetzt werden.
Digitale Arbeitszeiterfassung
Für Beschäftigte mit ständig wechselnden Einsatzorten, wie beispielsweise Gebäudereiniger, sind zentrale Erfassungssysteme nicht praktikabel.
Bild: imago images / Frank Sorge
„Wir sperren uns natürlich nicht gegen eine Arbeitsdokumentation, aber diese muss auch praktisch handhabbar sein“, sagt Heribert Jöris, Geschäftsführer Sozial- und Tarifpolitik beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Da eine zentrale Erfassung bei wechselnden Einsatzorten schwierig sei, bleibe faktisch nur der Einsatz mobiler Endgeräte wie zum Beispiel Mobiltelefone.
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Diese müssten aber von den Arbeitgebern beschafft werden, da sich der Einsatz privater Geräte aus Datenschutzgründen verbiete, heißt es in den Stellungnahmen von Bauwirtschaft und Gebäudereinigern. Dies verursache erhebliche Mehrkosten. Da mobile Erfassungssysteme meist auch andere Nutzungen wie die Standortbestimmung des Mitarbeiters erlaubten, seien Konflikte mit Betriebsräten absehbar.
Bei den Gebäudereinigern – mit ihrem hohen Minijobber-Anteil von fast 32 Prozent – berge die minutengenaue und elektronische Arbeitszeiterfassung die Gefahr, dass unbewusst die Verdienstschwelle von 520 Euro im Monat überschritten wird. So wären dann Sozialbeiträge zu zahlen.
Auch die genaue Erfassung stundenbezogener Zuschläge sei kompliziert, wenn diese, wie etwa bei den Gerüstbauern, erst dann anfallen, wenn sich eine bestimmte Überstundenzahl auf dem Arbeitszeitkonto angesammelt hat.
Wegen der beschriebenen Probleme „sollte es im Kern dabei bleiben, dass es wie bisher für mobile Tätigkeiten ohne feste Betriebsstätten eine Frist für die Dokumentation der Arbeitszeiten und zuschlagspflichtigen Zeiten gibt“, fordert Jöris. Aus seiner Sicht sollte zumindest in diesen Fällen die geltende Sieben-Tage-Regel beibehalten werden.
Das Arbeitsministerium rechtfertigt die lückenlose digitale Erfassung der Arbeitszeit unter anderem mit dem Ziel, Manipulationen bei der Berechnung des Mindestlohns zu unterbinden. Außerdem könnte Heil mit dem geplanten Schritt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zumindest in einigen Branchen umsetzen.
Dieser hatte im Mai 2019 in einem spanischen Fall entschieden, dass Arbeitgeber ein System einrichten müssen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Daraufhin war ein Streit zwischen dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Heil entbrannt, ob das Urteil auch eine Gesetzesänderung in Deutschland erforderlich macht. Passiert ist aber in der abgelaufenen Legislaturperiode nichts mehr.
„Eine Arbeitszeiterfassung ist wichtig, damit jede Stunde Arbeit auch tatsächlich bezahlt wird“, sagt die Berichterstatterin für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Grünen-Bundestagsfraktion, Beate Müller-Gemmeke. Sie kann die Aufregung der Wirtschaftsverbände nicht verstehen: „In Zeiten der Digitalisierung ist die elektronische Zeiterfassung das normale Instrument dafür.“ So sei die Dokumentation doch überhaupt kein Problem.
Überrascht zeigte sich dagegen der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, dessen Partei sich für die Anhebung der Minijob-Schwelle stark gemacht hatte. SPD, Grüne und FDP hätten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, Verstöße gegen das Arbeitsrecht durch „effektivere Rechtsdurchsetzung“ bereits „geltenden“ Rechts zu verhindern.
Außerdem hätten sich die drei Parteien zum Ziel gesetzt, Abläufe und Regeln zu vereinfachen und Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben zu verschaffen. „Die Einführung von neuen Dokumentationspflichten wäre insofern erklärungsbedürftig“, sagt Kober.
Das sieht die Bundesvereinigung Bauwirtschaft in ihrer Stellungnahme ähnlich: Die Pflicht zur täglichen digitalen Arbeitszeiterfassung erscheine „als reine Gängelei der breiten Masse von mittelständischen Handwerksbetrieben durch ein ,Mehr‘ statt ,Weniger‘ an Bürokratie“.
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