50 Tage vor der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke Deutschlands fordert der Unions-Wirtschaftsflügel eine Kurskorrektur. Die Konservativen schließen auch den Bau neuer AKWs nicht aus.
Kernkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen
Die Anlage gehört zu den letzten drei Atomkraftwerken, die am 15. April vom Netz genommen werden sollen.
Bild: imago/Hans Blossey
Berlin Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) von CDU und CSU pocht 50 Tage vor dem beschlossenen Aus für die drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland auf einen Kurswechsel. „Die Ampel steuert uns sehenden Auges in eine Energiemangellage. Ein milder Winter löst nicht das Grundproblem“, sagte die MIT-Vorsitzende Gitta Connemann dem Handelsblatt.
Jede Kilowattstunde müsse ans Netz, doch die Ampel mache das Gegenteil. „In 50 Tagen sollen die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet werden, ohne gesicherte Alternative“, kritisierte Connemann.
Connemann stützt sich auf einen noch unveröffentlichten Beschluss des MIT-Präsidiums vom Mittwoch, der dem Handelsblatt vorliegt. Darin fordert das Gremium, die drei noch laufenden Reaktoren Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 „über den 15. April 2023 hinaus weiter zu betreiben“. Außerdem müssten die drei bereits Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke „unverzüglich wieder in Betrieb“ gehen, sofern dies technisch noch möglich sei.
„Für diese sechs Kernkraftwerke ist unter Einhaltung der sicherheitstechnischen Erfordernisse eine Betriebserlaubnis für mehrere Jahre zu erteilen“, heißt es in dem Beschluss weiter. Der Kernenergieausstieg dürfe nicht wirksam werden, bevor Deutschland flächendeckend wieder über ausreichend gesicherte Kraftwerksleistung und Stromtransportkapazitäten verfüge.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Mitte Oktober vergangenen Jahres durchgesetzt, dass die drei letzten Meiler in Deutschland über das Ende des Jahres 2022 bis zum 15. April weiter betrieben werden dürfen. Der Entscheidung war ein Streit zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorausgegangen.
Lindner hatte dafür plädiert, die drei Atomkraftwerke noch länger laufen zu lassen. Habeck dagegen hatte ein Konzept vorgeschlagen, bei dem zwei der drei Meiler – Neckarwestheim 2 und Isar 2 – in einem Standby-Betrieb im ersten Quartal 2023 hätten weiterlaufen können. Das AKW Emsland sollte mit dem Jahreswechsel abgeschaltet werden. Scholz entschied, dass alle drei Anlagen zunächst weiterlaufen dürfen.
Der Streit innerhalb der Koalition ist damit aber nicht beendet. Viele Beobachter rechnen damit, dass er kurz vor dem geplanten Ende für die drei AKWs neu entflammt. Zwar suggeriert der Anfang des Jahres vom Bundeskabinett beschlossene Bericht zur Versorgungssicherheit im Elektrizitätssektor, dass die Versorgung auch dann gesichert ist, wenn die Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet werden und in den kommenden Jahren weitere Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Allerdings haben Fachleute erhebliche Zweifel an den Schlussfolgerungen des Berichts.
Connemann appellierte an die Ampelkoalition, den Streit über die Zukunft der Atomkraft zu beenden. Deutschland steuere sehenden Auges in eine Energiemangellage und brauche grundlastfähigen Strom, und zwar für Elektromobilität und Digitalisierung künftig noch weitaus mehr als bislang. „Wenn jemand ein Krankenhaus abreißt, ohne ein neues gebaut zu haben, würden selbst Idealisten die Reißleine ziehen“, sagte sie.
Aus Sicht der Mittelstands- und Wirtschaftsunion muss Deutschland nicht nur über den Weiterbetrieb der letzten Meiler nachdenken, sondern das Thema Kernenergie auch langfristig besetzen. Deshalb fordert die MIT, Deutschland müsse wieder zum Forschungs- und Entwicklungscluster für jede Form der friedlichen Nutzung der Kernenergie werden.
„Wir fordern eine verstärkte Forschung und Entwicklung mit dem Ziel eines möglichst baldigen Einsatzes von Kernreaktoren der nächsten Generation mindestens in den Ländern, in denen der dort wachsende Energiebedarf anderweitig nicht CO2-frei gestillt werden kann“, heißt es in dem Beschluss. Damit schließt die MIT den Neubau von Kernreaktoren auch in Deutschland nicht grundsätzlich aus.
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