Auf einem Gipfeltreffen mit der Branche diskutiert Verkehrsminister Wissing über die Mängel im Schienennetz. Nötig sind Milliardeninvestitionen. Woher kommt das Geld?
Umschlagterminal Hamburg-Billwerder
Das Schienennetz soll für den zunehmenden Güterverkehr ausgebaut werden.
Bild: dpa
Berlin Der Druck auf die Deutsche Bahn AG wächst, sich von Beteiligungen zu trennen und den Erlös in das Schienennetz zu investieren. So begrüßt etwa das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) den vom Bahn-Eigentümer Bund geplanten Verkauf der Logistiktochter DB Schenker. „Der Erlös soll vollumfänglich dazu genutzt werden, die Modernisierung der Schieneninfrastruktur zu finanzieren“, forderte Verbandssprecher Ludolf Kerkeling. „Die eingenommenen Gelder sollten ohne Abzug in einen transparenten Schieneninfrastrukturfonds nach Schweizer Vorbild fließen.“
Kerkeling schloss sich damit der Forderung der Deutschen Bauindustrie an. „Der Bund sollte einen Schienenfonds einrichten“, hatte Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller im Handelsblatt erklärt und die Bahn aufgefordert, sich von ihren Auslandsbeteiligungen zu trennen, wenn sie zur Qualität des Netzes in Deutschland nichts beitragen.
Ähnliche Forderungen stellen auch Verbraucherschützer. „Es muss endlich heißen: Keine Zeit und kein Geld mehr für Sperenzien“, sagte die Mobilitätsexpertin bei der Verbraucherzentrale Bundesverband, Marion Jungbluth. Die Auslandsexpansion sei für Fahrgäste „nicht nachvollziehbar“. Die Bahn solle für ein „angemessenes und für Klimaschutz notwendiges Bahnangebot“ sorgen und das Chaos auf dem Schienennetz beseitigen.
Angesichts des schlechten Zustands des Netzes wächst der Druck auf die Bahn. Um über das Thema zu reden, traf sich die Branche am Donnerstag mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in Berlin zu einem „Schienengipfel“.
Wissing erwartet, dass Digitalisierung und Generalsanierung des Netzes zu mehr Kapazität und Verlässlichkeit führen, um das heutige „Chaos“ auf dem Netz zu beenden. „Die Bahn gehört ins Zentrum einer zukunftsfesten, klimafreundlichen Mobilität“, sagte der Minister.
Die Bahn führt heute mehr als 500 Beteiligungen. Dazu gehört neben Schenker auch die inzwischen zum Verkauf stehende Nahverkehrstochter Arriva. Dieses Jahr engagierte sich die Bahn auch in Ghana, um dort das Schienennetz auszubauen, sowie in Kanada. Dort geht es um ein Nahverkehrssystem in Toronto.
Bahnchef Richard Lutz will an Auslandsbeteiligungen festhalten, wenn diese Aktivitäten einen Beitrag zur Strategie der „starken Schiene“ leisteten. Er warnt davor, Schenker zu verkaufen. „Der einmalige Verkauf von Tafelsilber“ sei „keine nachhaltige Lösung für die strukturelle Unterfinanzierung von Infrastrukturinvestitionen“.
Allein der Schenker-Verkauf könnte bis zu 15 Milliarden Euro einbringen. „Als Teil eines Sondervermögens für die 2024 geplante gemeinwohlorientierte Schieneninfrastrukturgesellschaft kann mit diesen Mitteln Versäumtes nachgeholt werden“, sagte NEE-Sprecher Kerkeling.
„Das bundeseigene Schienennetz muss endlich ins 21. Jahrhundert gebracht werden – etwa mit neuer Fahrplan- und Betriebs-IT, digitalen Stellwerken, Überholgleisen mit europäischer 740-Meter-Normlänge und einer preisstabilen Versorgung mit erneuerbaren Energien.“ Der Erlös dürfe aber weder im Bundeshaushalt versickern noch „unkontrolliert“ der Bahn überlassen werden.
Die Verschuldung der Bahn liegt inzwischen wieder auf dem Niveau zum Zeitpunkt der Privatisierung. Mitte der 90er-Jahre hatte der Bund die Bahn entschuldet, damit sie als Aktiengesellschaft prosperieren sollte. Das Eigenkapital wurde mehrfach aufgestockt.
„Keine nachhaltige Lösung für die strukturelle Unterfinanzierung von Infrastrukturinvestitionen.“ Bahnchef Lutz zu Forderungen nach einem Verkauf der Logistik-Tochter Schenker
Minister Wissing will nun, dass die Bahn ihre Logistik-Tochter Schenker verkauft. Der Aufsichtsrat der Bahn soll darüber in seiner nächsten Sitzung entscheiden. Auch will der Bund den Netzbetreiber, DB Netz AG, in eine gemeinwohlorientierte Gesellschaft überführen. Diese soll aber Teil des Bahnkonzerns bleiben.
Die Bahn stellte auf dem Schienengipfel ihre Überlegungen vor, wie sie ab 2024 bis 2030 pro Jahr jeweils zwei stark befahrene Streckenabschnitte im Netz umfassend sanieren will. Kern des Konzepts ist es, nicht mehr einzelne Elemente auf Strecken je nach Abnutzung zu sanieren, sondern Streckenabschnitte komplett zu erneuern. So soll verhindert werden, immer wieder Baustellen zu eröffnen. Das neue Konzept wird kurzfristig mehr Geld kosten, als Bund und Bahn bisher für den Erhalt des Netzes vereinbart haben.
Für die Bahn sieht der Haushaltsentwurf 2023 noch 8,9 Milliarden Euro vor, weniger als in den Vorjahren. Insgesamt will der Bund 18,6 Milliarden Euro in seine Infrastruktur investieren, 2021 waren es noch 1,7 Milliarden Euro mehr. Ein „fatales Signal“ sei dies, warnt Christian Funke, Geschäftsführer vom Verband Pro Mobilität. So führe die Geldentwertung dazu, dass weniger fürs gleiche Geld gebaut werden könne.
Zumindest plant der Bund, im Rahmen des Entlastungspaketes 500 Millionen Euro extra für die Bahn bereitzustellen sowie eine Milliarde Euro für „klimaschonende Mobilität“. Minister Wissing erklärte, dies „unterstreicht den Stellenwert des Verkehrsträgers“.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, das zusätzliche Geld solle „vor allem dem Ausbau der IT-Infrastruktur auf der Schiene zugutekommen“. Der Güterverkehr nehme auf den hochausgelasteten Strecken zu. „Kapazitätsengpässe lassen sich auf absehbare Zeit nicht allein durch klassischen Infrastrukturausbau lösen“, hieß es. „Notwendig sind digitale Lösungen für den Schienenverkehr.“ Sie schafften mehr Zuverlässigkeit, höhere Kapazität und höhere Effizienz.
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