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16.06.2022

18:00

Bettina Stark-Watzinger im Interview

„Man darf nicht naiv sein“ – Forschungsministerin rät Hochschulen zu radikalem Schritt gegen China

Von: Barbara Gillmann

PremiumDie Forschungsministerin will mehr Distanz zu China – auch in der Wissenschaft. Die Innovationsmüdigkeit der Wirtschaft erklärt sie mit der deutschen Angst vorm Risiko.

Die Ministerin will eine intensivere wissenschaftliche Kooperation mit freiheitlichen Ländern. imago images/photothek

Bettina Stark-Watzinger

Die Ministerin will eine intensivere wissenschaftliche Kooperation mit freiheitlichen Ländern.

Berlin Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat zu mehr Distanz gegenüber China auch in der Wissenschaft aufgerufen. Deutsche Forscher sollten Kooperationen nicht nur „bei allen Dual-Use-Fällen, bei denen militärischer Nutzen nicht ausgeschlossen ist“ und bei Künstlicher Intelligenz, die China zur Überwachung seiner Bürger missbrauche, meiden, sagte sie im Gespräch mit dem Handelsblatt. Ein Rückzug sei „generell überall dort angesagt, wo wir China helfen würden, einen Vorteil im Systemwettbewerb zu erringen“.

Ein solches Decoupling dürfe aber nicht generell sein. Denn in manchen Feldern – vor allem beim Klimawandel – könne Deutschland auf die Zusammenarbeit mit der Forschungsnation China nicht verzichten. Die Entscheidung im Einzelfall müsse die Forschung selbst treffen.

Die Liberale ermunterte die Hochschulen dabei auch zu radikalen Schritten. „Wenn ich Uni-Präsidentin wäre, gäbe es bei mir kein Konfuzius-Institut“, sagte Stark-Watzinger. Diese Institute seien „von Peking mitfinanziert und werden von der Kommunistischen Partei politisch instrumentalisiert“. Eine „solche direkte Einflussnahme Chinas auf unsere Lehre und Wissenschaft lehne ich ab – wir sollten uns klar abgrenzen“.

Die aktuelle Innovationsschwäche der deutschen Wirtschaft erklärt sich die Ministerin auch mit der Risikoabneigung vor allem des Mittelstands. Dazu komme, „dass die Wirtschaft vor Corona brummte – und da ist der Innovationsdruck geringer, auch wenn das für die Zukunft nicht gut ist“.

In Deutschland seien die Menschen generell weniger risikobereit als in anderen Nationen – daher strebten auch „so viele junge Menschen nach dem Studium in den Staatsdienst“, sagte Stark-Watzinger. „Deutsche empfinden Verluste emotional doppelt so stark“, verwies sie auf Studien des US-Psychologen Daniel Kahneman. Als Gegenmittel könne „mehr finanzielle Bildung in der Schule“ helfen.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Frau Stark-Watzinger, im ersten Coronajahr haben die deutschen Unternehmen ihre Ausgaben für Forschung um mehr als sechs Prozent gedrosselt – allen anderen Industrienationen haben zugelegt. Können Sie sich das erklären? 
Ein Faktor könnte sein, dass unsere vielen Mittelständler Risiken eher etwas scheuen, schon alleine aufgrund ihrer Größe. Dazu kommt, dass die Wirtschaft vor Corona brummte – und da ist der Innovationsdruck geringer, auch wenn das für die Zukunft nicht gut ist. Klar ist auch: Die Risikobereitschaft der Deutschen ist weniger groß als in anderen Ländern. Das sieht man daran, dass viele junge Menschen nach dem Studium in den Staatsdienst wollen. Risiko wird bei uns negativ, kaum als Chance gesehen. Der US-Psychologe Daniel Kahneman sagt, Deutsche empfinden Verluste emotional doppelt so stark, haben also mehr Angst. Da sollten wir ran, etwa durch finanzielle Bildung in der Schule, die wir ohnehin dringend ausbauen müssen.

Wie sollen wir innovativ top sein, wenn wir digital hinterherhinken?
Neben Digitalminister Volker Wissing müssen alle Ressorts bei diesem wichtigen Thema mithelfen – wir zum Beispiel mit der KI-Strategie und der Digitalisierung von Schulen und Hochschulen. Es ist selbstverständlich, dass auch das Kanzleramt dabei ist.

Zur Person

Die Politikerin

Bettina Stark-Watzinger (54) ist seit 2021 Bundesministerin für Bildung und Forschung und Mitglied im FDP-Präsidium. In den Bundestag zog die Frankfurterin 2017 ein und war dort bis 2020 Vorsitzende des Finanzausschusses.

Die Managerin

Vor dem Wechsel in die Politik war die Diplom-Volkswirtin und Psychologin bei der BHF Bank, der European Business School in Oestrich-Winkel und der interdisziplinären Forschungseinrichtung LOEWE-Zentrum tätig.

Deutschland fällt sogar bei Schlüsseltechnologien zurück – vor allem weil Systemrivale China rasend schnell aufholt. Brauchen wir auch in der Forschung ein Decoupling?
Wir dürfen nicht nur jammern, dass China so stark ist, wir müssen selbst stärker werden. Teilweise können wir auf eine Kooperation mit der Forschungsnation China kaum verzichten – etwa beim Klimawandel. Aber in sensiblen Bereichen müssen wir klare Grenzen ziehen: bei allen Dual-Use-Fällen, bei denen militärischer Nutzen nicht ausgeschlossen ist, und auch bei Künstlicher Intelligenz, die China zur Überwachung seiner Bürger missbraucht. Generell überall dort, wo wir China helfen würden, einen Vorteil im Systemwettbewerb zu erringen.

Wie zieht man die Grenze?
Das war gerade Thema beim G7-Wissenschaftsministertreffen: Wir werden eine gemeinsame virtuelle Akademie gründen, die der Forschung hilft, zu erkennen, wo Gefahren lauern. Mein Haus wird Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiter beim Ausbau ihrer unabhängigen China-Kompetenz unterstützen, also beraten, was geht und was nicht. Denn selbst wenn es gute persönliche Kontakte zu Forschern in China gibt, darf man nicht naiv sein. In China dient heute alles der Kommunistischen Partei.

Wird die neue China-Strategie der Bundesregierung rote Linien ziehen? Konkret Felder benennen, auf denen unsere Forscher nicht kooperieren sollen oder dürfen?
Die Wissenschaft ist frei – und hat eine besondere Verantwortung. Ich habe dazu eine klare Haltung: Wenn ich Uni-Präsidentin wäre, gäbe es bei mir kein Konfuzius-Institut. 

Warum? 
Die Konfuzius-Institute an unseren Hochschulen sind von Peking mitfinanziert und werden von der Kommunistischen Partei politisch instrumentalisiert. Eine solche direkte Einflussnahme Chinas auf unsere Lehre und Wissenschaft lehne ich ab. Wir sollten uns klar abgrenzen.

Aber mit der konkreten Entscheidung, mit wem sie in China kooperiert, lassen Sie die Forschung allein. 
Wir stehen der Wissenschaft als beratende Partner zur Verfügung. Und wir bringen uns aktiv in die Gestaltung der China-Strategie der Bundesregierung ein, die Leitplanken formulieren sollte. Aber wir haben es beim Einfrieren der Forschungskooperation mit Russland gesehen: Man muss jedes einzelne Projekt kritisch prüfen.

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Ist China in vielen Feldern heute nicht schon längst so weit, dass kein Wissensabfluss droht, sondern dass wir froh sein müssen, wenn sie uns noch mitforschen lassen?
Ja, China hat große Sprünge gemacht und ist in manchen Feldern international ganz vorn, gerade bei der KI. Umso ehrgeiziger müssen wir sein und unsere Hausaufgaben machen. Das bedeutet auch, noch intensiver mit Ländern zu kooperieren, die unsere freiheitlichen Werte teilen.

Apropos Hausaufgaben: Was sind Ihre wichtigsten Strategien damit wir innovativ aufholen?
Wir müssen über die ganze Breite der Forschung Innovationsbrücken bauen und den Transfer beschleunigen. Dafür müssen Universitäten ihre Transfer-Abteilungen professionalisieren, da müssen Leute sitzen, die die Welt der Unternehmen kennen. Wir brauchen auch viel mehr Studiengänge, die Entrepreneur-Geist vermitteln – das darf es nicht nur an der TU München geben. Die neue Transferagentur Dati wird dafür sorgen, dass Erkenntnisse aus der Forschung schneller in der Wirtschaft ankommen und dort zu Innovationen werden. Mit der Start-up-Strategie werden wir viel mehr privates Geld in Ausgründungen lenken. Schließlich werden wir noch in diesem Jahr das Freiheitsgesetz für die Agentur für Sprunginnovationen Sprind anschieben, die dann mit mehr Geld und frei von staatlicher Bürokratie revolutionäre Innovationen fördern kann.

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Wie wichtig ist die neue Start-up-Strategie von Robert Habeck?
Ein unverzichtbarer Teil. Wir werden sie genau anschauen – aber sie enthält viel, was die FDP schon lange fordert. Etwa die Stärkung des Staates als Auftraggeber nach dem Motto „Gebt uns kein Geld, gebt uns Aufträge.“

Kann die Start-up-Strategie denn wirklich so schnell wirken, dass sie die akute Finanzierungskrise der Start-ups noch abfedert?
Wir werden Tempo machen, der Entwurf soll noch im Sommer unter allen beteiligten Ministerien abgestimmt werden. Daneben muss auch der schon existierende Zukunftsfonds mit seinen zehn Milliarden Euro schnell seine Kraft entfalten.

Ihr Konzept für die Dati hat massive Kritik geerntet. Unter anderem wird bemängelt, dass es viel zu zaghaft sei. Stimmt das?
Es ist ein guter Anfang, größer geht immer. Wir wollen ein schlankes, agiles System, das eine Lücke füllt und von unten nach oben funktioniert. Das Konzept ist völlig neu, es wird wachsen. 

Dati soll ein Leuchtturm werden. Aber das Finanzministerium hat Ihnen nur 15 Millionen Euro bewilligt – und die auch noch gesperrt ...
Das ist völlig normal, solange es keinen Gesetzentwurf gibt. Ich bin überzeugt, dass wir die Dati über die Legislatur mit einem größeren dreistelligen Millionenbetrag aufbauen werden. 

Erfordert die Klimawende nicht neue Schwerpunkte? Wasserstoff ist gut, wann kommt Kernfusion?
Ich bin sicher, dass sie spätestens in 10 bis 15 Jahren einen Beitrag zur Energieversorgung liefert. Und wenn ich mir die Start-ups auf diesem Feld anschaue, glaube ich, dass es auch deutlich schneller gehen kann.

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