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15.08.2022

22:22

Bundeskanzler in Skandinavien

„Auf Norwegen kann man sich verlassen“: Olaf Scholz und die Suche nach dem Gas-Ersatz

Von: Martin Greive

Deutschland soll bei Öl und Gas möglichst unabhängig von Russland werden. Bundeskanzler Scholz will deshalb die Energie-Partnerschaft mit Norwegen vertiefen. Doch das braucht Zeit.

„Norwegen liefert maximal das, was wir liefern können.“ IMAGO/NTB

Olaf Scholz besucht Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Störe

„Norwegen liefert maximal das, was wir liefern können.“

Oslo Auf seiner ersten Auslandsreise nach dem Urlaub gönnt sich Olaf Scholz eine kurze Auszeit zur kulturellen Weiterbildung. Der Bundeskanzler besucht in Oslo das moderne Munch-Museum und sieht sich das berühmte Gemälde „Der Schrei“ des norwegischen Malers Edvard Munch an. Das Bild zeigt eine menschliche Figur unter rotem Himmel, die ihre Hände gegen den Kopf presst, während sie Mund und Augen angstvoll aufreißt.

Es steht symbolisch für die triste, vom Krieg aufgeschreckte Weltlage, die für viele Menschen einfach nur zum Schreien ist. Die Lage ist nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ernst, entsprechend sind es die Themen auf der Scholz-Reise durch Skandinavien mit Stopps in Oslo und Stockholm: Gasknappheit, der bevorstehende Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens sowie die Debatte um ein Einreiseverbot für russische Touristen dominieren die Treffen mit den nordischen Regierungschefs.

Kurz bevor die Maschine des Kanzlers am Montagmittag in Berlin abhebt, wird in Deutschland die Höhe der Gasumlage bekannt. Diese müssen die Bürger ab Herbst infolge des Ukrainekriegs zahlen, damit Gasimporteure wie Uniper aufgrund der gestiegenen Gasimportpreise nicht pleitegehen.

In Oslo gelandet, sagt Scholz, er sei „froh, dass die Umlage nicht so hoch ist wie erwartet“. Von 1,5 bis fünf Cent war zuvor die Rede, jetzt sind es vorerst 2,4 Cent je Kilowattstunde.

Aber natürlich seien damit „Belastungen verbunden“, sagt Scholz und wiederholt den Satz, der inzwischen zu seinem Krisenmantra in diesem Sommer geworden ist: „You’ll never walk alone.“ Niemand werde mit den steigenden Preisen alleingelassen.

Norwegen nach Russland wichtigster Gaslieferant

Deshalb werde die Bundesregierung nach den ersten beiden schon bald ein drittes Entlastungspaket auflegen. „Intensiv“ werde daran gearbeitet, so Scholz, was die Schlussfolgerung zulässt, das dritte Paket könnte eher früher als später kommen.

Bei dem Versuch, die Energieprobleme dauerhaft in den Griff zu bekommen, spielt Norwegen eine wichtige Rolle. Das Land ist neben Russland der wichtigste Erdgas- und Erdöllieferant Europas und Deutschlands. Im vergangenen Jahr exportierte das skandinavische Land 110 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die EU, fast die Hälfte davon nach Deutschland. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu Russland: „Auf Norwegen kann man sich verlassen“, sagt Scholz.

Bereits kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte Norwegen angekündigt, die Erdgasförderung zu erhöhen und im Sommer mehr Gas nach Europa zu exportieren. Scholz dankt Norwegens Regierungschef dafür. Jonas Gahr Störe gibt das Lob zurück: Scholz habe nach dem Überfalls Russlands auch in der Energiepolitik eine „Zeitenwende“ eingeleitet.

„Wir wollen unsere Energiepartnerschaft ausbauen und vertiefen“, sagt Scholz in Oslo. Wie wichtig das sei, wird der Kanzler gefragt. „Sehr wichtig“, sagt Scholz knapp, um die Bedeutung noch einmal zu unterstreichen.

Doch kurzfristig wird Norwegen die russische Gaslücke nicht schließen können. Derzeit könne Norwegen die Lieferungen an die EU und Deutschland nicht weiter erhöhen, so Störe. „Norwegen liefert maximal das, was wir liefern können.“

„Auf Norwegen kann man sich verlassen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz

Schon am Tag vor dem Scholz-Besuch hatte Norwegens Regierungschef in einem Interview klargestellt: Sein Land müsse erst mal selbst seine eigene Energieversorgung sicherstellen, bevor es Energie an andere Staaten liefern könne.

Der Fokus der norwegischen Regierung liegt auf der Erschließung des norwegischen Festlandsockels, „um sicherzustellen, dass wir fast alle profitablen Ressourcen fördern können, die durch Exploration nachgewiesen wurden“, erklärte Norwegens Energieminister kürzlich in einem Interview. Einige der Unternehmen prüfen jetzt Projekte, die Gaslieferungen werden sie aber erst 2024 und 2025 erhöhen können.

Zudem wird das Gas etwa vom „Snöhvit“-Feld in Form von Flüssiggas (LNG) zum europäischen Festland transportiert – und Deutschland hat bisher kein LNG-Terminal. Das erste LNG-Terminal in Brunsbüttel soll frühstens Ende des Jahres, eher Anfang nächsten Jahres fertig sein.

Uneinigkeit bei Einreiseverbot für Russen

In Oslo bleibt die vertiefte Zusammenarbeit in Energiefragen zwischen Deutschland und Norwegen daher abstrakt und bezieht sich vor allem auf eine längerfristige Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien und einer möglichen, aber umstrittenen Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund.

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Norwegen will nach Angaben von Ministerpräsident Störe das gesamte in Europa produzierte CO2 einlagern. „Ohne die Abscheidung und anschließende Speicherung des Treibhausgases wird man die Klimaschutzziele nicht erreichen können“, sagte Störe am Montag in Oslo nach dem Treffen. Er kenne die Ängste in Deutschland, fügte Störe in Anspielung auf die Ablehnung der sogenannten CCS-Technologie in Deutschland hinzu. Aber Norwegen habe sehr große und gute Erfahrung darin, CO2 in 3000 Meter Tiefe unter der Nordsee einzulagern. Die Lagerstätten könnten künftig das gesamte in Europa produzierte Treibhausgas speichern. „Wir haben Erfahrung und wissen, dass es dort bleibt. Das ist ein sicherer Lagerort.“ Norwegen will das Kohlendioxid später wieder als Rohstoff benutzen.

Auch Scholz unterstützt das Projekt. Deutschland erhält von Norwegen Gas, will aber künftig CO2 zurückliefern. Der Kanzler wich der Frage aus, ob die CCS-Technologie dann nicht auch in Deutschland eingesetzt werden könne. „Es gibt in den letzten Jahren große, beeindruckende technologische Entwicklung“, sagte Scholz nur. Er sprach von einer faszinierenden Technologie. Eine andere Variante sei, dass entstehendes CO2 bei der industriellen Produktion gar nicht erst entweicht, sondern schon am Produktionsort genutzt werden kann.

Der mögliche Bau einer Wasserstoffpipeline zwischen beiden Ländern, die seit März geprüft wird, ist jedoch bei dem Besuch von Scholz kein Thema.

Neben der Erörterung der drängenden Fragen um die Energieversorgung soll von dem Treffen in Oslo ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Der Besuch des Bundeskanzlers bei der Konferenz der nordischen Staaten ist ein Treffen westlicher Vorbild-Demokratien mit einem gemeinsamen ausgeprägten Sinn für einen starken Sozialstaat. Für den Sozialdemokraten Scholz ist es aber noch mehr als das, es ist auch ein Besuch bei Freunden.

Vier der fünf nordischen Länder – Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark – werden von Sozialdemokraten geführt, Island von einer linken Regierungschefin. Deutschland sei der „wichtigste Partner“ für die nordischen Länder in der EU, sagt Norwegens Regierungschef Störe. Scholz lobt die Zusammenarbeit mit den nordischen Staaten als „vorbildhaft für die Kooperation von Staaten“.

Nur einmal wird die sozialdemokratische Einigkeit gestört. So spricht sich Scholz in Oslo gegen ein Einreiseverbot für russische Touristen durch Europa aus. „Das ist Putins Krieg, nicht der Krieg der Russen.“ Das müsse man klar unterscheiden. „Alle Entscheidungen, die wir treffen, sollten es nicht komplizierter für sie machen, Freiheit zu suchen und das Land zu verlassen, um der Diktatur in Russland zu entkommen“, so der Kanzler.

Nato-Beitritte erhöhen Sicherheit Deutschlands

Finnlands Regierungschefin Sanna Marin hält dagegen: Sie halte es für „falsch“, dass russische Touristen sich in Europa erholen und eine schöne Zeit machen, während das eigene Land Bomben auf die Ukraine wirft, und spricht sich für ein Visaverbot aus.

Bei der Verteidigungspolitik sind sich die Staatschefs aber schnell wieder einig. Scholz sagt, durch den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands werde die Sicherheit Nordeuropas, Deutschlands und der Nato erhöht.

Störe erklärt, Scholz habe mit seiner „Zeitenwende“-Rede „sehr wichtige Entscheidungen getroffen für die Sicherheit Nordeuropas“ und regt eine engere militärische Zusammenarbeit an. Als mögliches Beispiel nennt der norwegische Regierungschef die Anschaffung neuer U-Boote oder eine stärkere Koordinierung der militärischen Unterstützung für die Ukraine.

Die Bilder von Scholz“ Aufenthalt im Museum laufen da inzwischen über die Agenturen. Ob der Kanzler mit dem expressionistischen Bild Munchs etwas anfangen kann? Das Werk zeigt beispielhaft, wie die äußere Natur zum Spiegel des inneren Erlebens wird. Scholz ist genau dieser Wesenszug fremd. Er will sich bei Entscheidungen von der Vernunft, nicht von Emotionen leiten lassen. Und schon gar nicht von Angst.

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