Grünen-Fraktionschef Hofreiter würde in der Verkehrspolitik gern einiges ändern. Beim Zugbauer Stadler hat er erfahren, wie schwer es sein wird, seine Verkehrswende zu organisieren.
Anton Hofreiter
Anton Hofreiter und seine Partei wollen Klimaschutz, der viele Veränderungen bedeutet.
Bild: dpa
Berlin Im Foyer des Zugherstellers Stadler sitzt ein langhaariger Mann mit Bart und wartet. Er trägt ein graues Sakko. Aus der verwaschenen Bluejeans lugt das hellblaue Hemd. Dieser Mann, dessen Äußeres längst sein Markenzeichen geworden ist, könnte in wenigen Monaten Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland sein und dafür sorgen, dass die Bahn im Nah- und Fernverkehr einer rosigen Zukunft entgegenfährt.
Anton Hofreiter, 51 Jahre alt, verheiratet, seit Kurzem Vater eines Sohns und im Hauptberuf Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, war in der letzten Sitzungswoche der Legislaturperiode in Berlin-Pankow.
Dort hat er sich angesehen, wie S-Bahnen für die Hauptstadt oder Doppelstockzüge für Schleswig-Holstein entstehen – mit Akkus, damit sie auch auf den 40 Prozent der Schienen mit Ökostrom fahren können, die noch keinen Stromanschluss haben. „Ein Akkuzug hilft enorm, Kosten zu sparen“, sagt Hofreiter. Einen Tunnel zu elektrifizieren würde „ein Schweinegeld“ kosten.
„Toni“, wie ihn seine Parteifreunde nennen, ist der heimliche Verkehrsminister der Grünen. Er redet nicht über seinen Plan. Aber wenn nicht noch weitere Fehler passieren wie die Sache mit dem Verbot von Einfamilienhäusern oder den Pannen der Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, dann dürfte er in das seit zwölf Jahren von CSU-Politikern geführte Bundesverkehrsministerium einziehen.
Der gebürtige Münchener sitzt so lange im Bundestag wie Angela Merkel im Bundeskanzleramt. Bevor er 2013 als Vertreter des linken Flügels Fraktionschef mit Katrin Göring-Eckardt wurde, leitete er leidenschaftlich den Verkehrsausschuss. Darin unterscheidet er sich vom heutigen Vorsitzenden Cem Özdemir. Der geht lieber mit den Despoten dieser Welt in den Clinch als mit den Autobossen.
Auch in Berlin-Pankow macht Hofreiter keinen Hehl daraus, dass er eine klare Agenda verfolgt: Genehmigungsverfahren für viele Schienenprojekte will er deutlich vereinfachen und frühe Bürgerbeteiligung ermöglichen. Das wird schon seit Jahren diskutiert und probiert.
Hofreiter indes will es „richtig“ machen und Ersatzneubauten, Elektrifizierungen oder „kleine Streckenerweiterungen“ als Plangenehmigung umsetzen, nicht mit Planfeststellungsverfahren. „Das geht viel, viel schneller“, erzählt er dem Stadler-Deutschlandchef, Jure Mikolcic.
Ob die Umweltverbände dem Grünen folgen würden? Die seien in den vergangenen Jahren immer wieder enttäuscht worden – so etwa von der Agrarpolitik – und würden deshalb um jeden Zentimeter Natur kämpfen, räumt der promovierte Biologe ein.
Er will einen „Deal anbieten“: garantierten Arten- und Flächenschutz, dafür aber auch keinen Widerstand gegen die für das CO2-freie Zeitalter nötigen Strom- und Bahntrassen. „Dann wären sie dabei“, gibt er sich zuversichtlich.
Hofreiter weiß, was er der Gesellschaft zumuten würde. Er und die Grünen wollen ambitionierten Klimaschutz, der viel Veränderung bedeutet und auch Verbote. Zugleich trägt Deutschland selbst nur zwei Prozent zu den global entstehenden Klimagasen bei, sodass die Zustimmung schnell kippt, wenn Klimaschutz Wohlstand und Jobs kostet.
Die Manager sollen Industrieanlagen nicht in andere Teile der Welt verlegen, sondern noch mehr in Deutschland produzieren. Die Welt soll sagen: Wow, ökologisch-soziale Erneuerung funktioniert und rechnet sich. „Sonst haben wir nichts gewonnen.“
Hofreiter arbeitet an dem Drehbuch und besucht dazu seit einigen Jahren Unternehmen: DB Cargo, MTU, Salzgitter, Thyssen-Krupp, Volkswagen, Infineon und viele mehr standen in seinem Terminkalender. Auch bei Stadler kann er die großen Ziele im Kleinen nachzeichnen. Das Schweizer Unternehmen gehört neben Siemens und Alstom zu den letzten großen Zugbauern.
Einst mit 19 Mitarbeitern gestartet, erwirtschaften heute fast 13.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro. In Pankow bauen sie eine neue Produktionshalle. Allerdings ersetzen sie damit eine alte und schaffen keine neuen Kapazitäten. Gibt es zu viele Aufträge, dann bauen sie seit eh und je Zelthallen auf und arbeiten dort die Spitzen ab.
Und wenn nach der Bundestagswahl Milliarden über die Nahverkehrsbranche kommen, um die Verkehrswende zu meistern? „Wir reagieren nur auf Ausschreibungen“, sagt der Deutschlandchef angesichts der Marktkonsolidierung und des Preisdrucks.
Jener Hofreiter, der es als Bayer gewagt hat, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren, glaubt trotz aller Widrigkeiten an seinen Plan. Vor fünf Jahren, sagt er, hätten weder Parteifreunde noch die Funktionäre der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie daran geglaubt, gemeinsame Workshops abzuhalten. Deren Boss, Michael Vassiliadis, versteht sich bestens mit CDU-Chef Armin Laschet – und redet nun mit den Grünen, stehen sie doch alle hinter der Zauberformel: grüner Wasserstoff.
Weil der Öko-Wasserstoff rar ist, sollen ihn die energieintensiven Industrien bekommen und nicht die Autobauer – es sei denn, sie stimmen einem Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu. „Danach reden wir darüber, was mit den restlichen Verbrennungsmotoren passiert“, sagt Hofreiter. Die könnten vielleicht E-Fuels, also Elektrokraftstoffe, tanken.
Während auf der Straße der Wandel voranschreitet, ist es im Schienenverkehr mit Innovationen so eine Sache. Stadler-Chef Mikolcic beklagt geringe Margen, weil die öffentlichen Auftraggeber nur auf den Preis achten. „Besser wäre es, den CO2-freien Betrieb einer Strecke auszuschreiben.“ So wie in Schleswig-Holstein, wo ab Ende 2022 statt Dieselloks 55 Akkuzüge rollen werden.
Hofreiter stimmt dem zu und schlägt gleich noch vor, dass Zughersteller „sich verpflichten, nach einer verlorenen Ausschreibung nicht mehr zu klagen“. Dann würden sich die Aufgabenträger trauen, nach Qualitätskriterien zu vergeben. Mikolcic findet die Idee gut.
Der Deutschlandchef berichtet allerdings auch davon, dass den Aufgabenträgern vor einer Ausschreibung oft wichtige Informationen zu Fahrplänen, Haltezeiten, Topografie, Lademöglichkeiten entlang der Schienenwege fehlen würden. „All das müssen wir vorher wissen, um beurteilen zu können, ob ein Angebot mit Akkuzügen Sinn macht.“
Bislang liegt das Wissen an anderer Stelle: Zuständig für die Bahnhöfe und die Schienenwege – und damit auch für die Ladeinfrastruktur – ist die Bahn-Tochter DB Netz AG. Es könne gut und gerne „sechs bis acht Jahre“ dauern, bis die Netzgesellschaft für einen Aufgabenträger der Länder anfängt zu bauen, schätzt der Stadler-Deutschlandchef. „Da muss sich einiges ändern“, pflichtet Hofreiter bei.
Er schlägt unter anderem vor, die Trassenpreise zu flexibilisieren, damit die Züge möglichst viel fahren können und nicht an den Endhaltestellen lange Pausen machen. Stattdessen könnte der Zug „zu Grenzkosten fahren“. So könnten die Länder schnell deutlich mehr Nahverkehr anbieten, glaubt er. Die Grünen wollen auch die Deutsche Bahn AG gehörig umkrempeln.
Bei Stadler lernt der Genussmensch Hofreiter noch, dass in der neuen Halle erstmals eine Kantine entsteht – wenn auch ohne Veggie-Day, dafür aber garantiert mit gesunder und ausgewogener Kost. Bei Stadler kann sich niemand mehr an den zehn Jahre alten Wahlkampfpatzer der Grünen erinnern. Den Fraktionschef freut es.
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