Aktuellen Umfragen zufolge tun sich viele Koalitionsoptionen auf. Wie wahrscheinlich die Bündnisse sind und was sie für die Wirtschaft bedeuten würden. Eine Übersicht.
Wahlplakate in Oberhausen
Welches Parteienbündnis ist nach der Wahl realistisch?
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Berlin Mit den jüngsten Verschiebungen bei den Umfragewerten eröffnen sich den Parteien ungeahnte Machtoptionen. Nie zuvor gab es vor einer Bundestagswahl so viele verschiedene Koalitionsmöglichkeiten, die in Betracht kommen: Ampel, Jamaika, Kenia, Deutschland-Koalition oder Linksbündnis – selbst Rot-Grün ist nicht mehr ausgeschlossen.
Die Vielzahl an Varianten macht die Wahlkämpfer nervöser. CSU-Chef Markus Söder warnte vor einem „Linksrutsch mit der Linkspartei oder mit einer Ampel“. CDU-Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz forderte die FDP auf, eine Ampel auszuschließen. Die FDP wies das umgehend zurück: Die Union schließe ja auch nicht aus, in einer Kenia-Koalition mit SPD und Grünen zu regieren.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz träumt derweil von einer rot-grünen Koalition. „Ich möchte gerne mit den Grünen zusammen regieren“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Aber auch ein Linksbündnis schließt er nicht aus – zur Freude der Linkspartei. „Das Fenster ist so weit geöffnet wie noch nie“, sagte deren Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow.
Doch welches Bündnis ist realistisch? Und was würde welche Konstellation für die Wirtschaft bedeuten? Eine Übersicht.
Aus Sicht der Wirtschaft wäre eine Jamaika-Koalition – neben Schwarz-Gelb, das aber außer Reichweite ist – wohl die wünschenswerteste Alternative. In einem solchen Bündnis dürfte der Rest-Soli für Spitzenverdiener wegfallen, und untere und mittlere Einkommen dürften entlastet werden, worauf alle drei Parteien drängen. Denkbar wären auch Entlastungen für Unternehmen in Form besserer Abschreibungsregeln, insbesondere für Klimaausgaben. Eine Vermögensteuer dürfte es dagegen sicher nicht geben.
Schwieriger wird es beim Thema Regulierung. Die FDP ist gegen staatliche Eingriffe, die Grünen fordern aber insbesondere in der Umweltpolitik strengere Auflagen. Ein Kompromiss könnte ein teurerer Emissionshandel sein, um die Bürger mit „sanftem Zwang“ zum Umstieg auf Elektroautos zu bewegen.
Einig dürften die Parteien darin sein, dass erneuerbare Energien ausgebaut werden müssen. Allen drei Parteien ist klar: Will Deutschland bis 2045 klimaneutral werden, braucht es dafür immense Mengen an grünem Strom. Der Weg dahin ist vermutlich strittig. Bei Verhandlungen könnte der Windkraftausbau ein Streitpunkt sein, da die Grünen mit 1000 Meter Mindestabstand zu Wohngebäuden nicht einverstanden sein werden. Zudem pochen die Grünen auf einen früheren Ausstieg aus der Braunkohle. Die CDU hält aber am Ausstieg 2038 fest.
Finanziert werden könnten die Ausgaben zum Teil über Schulden. Insgesamt dürfte es unter Jamaika aber eher eine konservative Haushaltspolitik geben. Das gilt auch für die Europapolitik. Union und FDP sind gegen eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden in der EU. Hier dürften es die Grünen schwer haben, sich durchzusetzen.
Auch mit einem Ampelbündnis dürfte die Wirtschaft gut leben können. Die Einführung einer Aktienrente, bei der nach dem Vorbild Schwedens ein staatlich verwalteter Fonds eingerichtet wird, der in Aktien investiert, böte sich als erstes Projekt einer Ampel an. Der Vorschlag findet sich in ähnlicher Ausprägung sowohl im Wahlprogramm der SPD als auch bei der FDP.
Auch auf bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen könnte sich eine Ampel wohl schnell einigen. Denkbar wäre auch ein grüner Staatsfonds, der die Wirtschaft mit günstigen Krediten beim ökologischen Umbau unterstützt.
Kanzlerkandidaten im TV-Triell
Eine sogenannte Kenia-Koalition aus SPD, Union und Grünen wäre nur eine Option, wenn Jamaika und eine Ampel nicht zustande kommen würden.
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Eine Kröte schlucken müssten SPD und Grüne wohl mit der Soli-Abschaffung für Gutverdiener, die die FDP fordert. Auch auf eine Vermögensteuer müssten sie verzichten. Im Gegenzug könnten die Liberalen Forderungen nach einem Mindestlohn von zwölf Euro nachgeben, vielleicht auch Forderungen nach einer Kindergrundsicherung.
Die Klimainvestitionen dürften bei einer Ampelkoalition steigen. Zur Debatte dürfte auch stehen, ob der derzeit für 2038 vorgesehene Kohleausstieg vorgezogen wird. Bleibt die Frage der Finanzierung all der Projekte. Die FDP sieht die Pläne von SPD und Grünen, höhere Schulden zu machen, skeptisch.
Allerdings hat FDP-Chef Christian Lindner zuletzt gesagt, zu Beginn einer Regierung mit FDP-Beteiligung sei er bereit, Haushaltsdefizite hinzunehmen, wenn damit sinnvolle Investitionen oder Steuererleichterungen angeschoben würden.
Eine rot-grün-rote Regierung (auch R2G genannt) gilt als Schreckgespenst für die Wirtschaft. Denn auf Gutverdiener und Unternehmen könnten unter einem Linksbündnis hohe Belastungen zukommen.
Die Linke hat am Montag in einem Positionspapier Eckpunkte für Koalitionsverhandlungen mit Grünen und SPD definiert: Danach will sie den Mindestlohn erhöhen, Hartz IV abschaffen, die Renten anheben, eine Kindergrundsicherung und einen bundesweiten Mietendeckel einführen.
Viele dieser Positionen decken sich mit denen von SPD und Grünen. Alle drei Parteien wollen zudem den Spitzensteuersatz erhöhen, die Erbschaftsteuer anheben und eine Vermögensteuer einführen.
Selbstständige und Beamte könnten in die Rentenversicherung einbezogen werden. In der Gesundheitspolitik dürfte mindestens eine milde Form der Bürgerversicherung kommen, wodurch die private Krankenversicherung ausgehebelt würde.
Finanziert würden die kostspieligen Ausgaben durch die höheren Steuern für Gutverdiener und über Schulden. Denn alle drei Parteien sind sich einig, für höhere Staatsausgaben die Schuldenbremse umgehen zu wollen. In der Europapolitik dürfte ein Linksbündnis auf eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden drängen.
Doch auch wenn eine R2G-Koalition in Wirtschaftsfragen gut zusammenpassen könnte, ist die Koalition eher unwahrscheinlich. SPD und Grüne haben in der Außenpolitik klare Bedingungen an die Linkspartei formuliert. Die Linke ist bislang aber nicht bereit, diese zu erfüllen, und beharrt etwa weiter auf einem Austritt aus der Nato.
Die Finanzpolitik einer Deutschland-Koalition wäre wohl ähnlich zu der eines Jamaika-Bündnisses, mit einem Unterschied: Die Union dürfte dann das Bundesfinanzministerium übernehmen. Zunächst würde eine Deutschland-Koalition wohl Schulden in Kauf nehmen, um die Steuern zu senken und die Investitionen zu erhöhen.
Insbesondere in der Klimapolitik würde eine Deutschland-Koalition versuchen, höhere Investitionen auf den Weg zu bringen und die Wirtschaft bei der ökologischen Transformation zu unterstützen. Allerdings würde die Union darauf pochen, die Schulden zu begrenzen.
Interessant wäre zu sehen, wer auf die Übernahme eines Klimaressorts drängt: SPD oder Union. Klar ist nur, dass beide Parteien versuchen würden, den ökologischen Umbau der Industrie möglichst sanft ablaufen zu lassen. Die FDP könnte ein neues Digitalministerium übernehmen und sich damit profilieren. Mit einem FDP-Minister im Wirtschaftsressort könnten die Liberalen zudem ihre eigene Klientel bedienen und in der Europapolitik gemeinsam mit der Union auf einen stabilitätsorientierten Kurs drängen.
Die Frage ist nur: Wer würde die Koalition führen? Die SPD hätte wohl kaum Lust, erneut in eine „GroKo“ plus FDP zu gehen. Eine Deutschland-Koalition würde daher nur zustande kommen, wenn Scholz sie anführt. Doch selbst dann scheint sie unwahrscheinlich.
Anders als bei der Deutschland-Koalition stellt sich in der Kenia-Koalition nicht die Frage, wer die Zuständigkeit für die Bekämpfung der Klimakrise übernimmt. Das dürften in jedem Fall die Grünen sein.
Die Investitionen dürften in einer Kenia-Koalition steigen, auch andere Wünsche von SPD und Grünen dürften umgesetzt werden, etwa die Kindergrundsicherung. Auch Steuerentlastungen könnten zumindest in geringem Umfang kommen. Die Union könnte im Gegenzug die Mütterrente bekommen, um die CSU zu besänftigen.
Die Konsolidierung des Bundeshaushalts dürfte in einer Kenia-Koalition eine nachgeordnete Rolle spielen, auch wenn die Union den Mahner geben dürfte. Noch spannungsreicher würde es in der Europapolitik zugehen. SPD und Grüne würden auf weitere Integrationsschritte in der Finanzpolitik drängen, die Union sieht das allerdings sehr skeptisch.
Doch für eine Kenia-Koalition gilt dasselbe wie für eine Deutschland-Koalition: Auch sie scheint unrealistisch und wäre nur eine Option, wenn Jamaika und eine Ampel nicht zustande kommen würden.
Neuerdings träumt man im Mitte-links-Lager sogar wieder von Rot-Grün. In einer Umfrage war das Zweierbündnis nur noch drei Prozentpunkte von einer Mehrheit entfernt. Allerdings wäre ein rot-grünes Bündnis ein anderes als das Reformbündnis von 2002.
Damals steckte Deutschland in einer tiefen Wirtschaftskrise, woraufhin Gerhard Schröder (SPD) die Agenda-Reformen auf den Weg brachte. Ein neues rot-grünes Bündnis würde den Fokus dagegen auf die Modernisierung des Staates legen und die Investitionen in Infrastruktur und zur Bekämpfung der Klimakrise stark erhöhen.
Gleichzeitig würde das Bündnis einige soziale Projekte auf den Weg bringen, etwa den Mindestlohn von zwölf Euro oder die Kindergrundsicherung. Um all das zu finanzieren, würde Rot-Grün über die Gründung öffentlicher Investitionsfonds die Schuldenbremse aushebeln.
Hier dürften ähnliche Belastungen für die Wirtschaft wie bei Rot-Grün-Rot drohen. Sie dürften jedoch moderater ausfallen als bei einem Linksbündnis. So könnte etwa der Spitzensteuersatz erhöht werden. Ob es eine Vermögensteuer geben wird, ist hingegen nicht ausgemacht, obwohl SPD und Grüne sie im Programm stehen haben.
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