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26.11.2021

07:18

Ampel-Kabinett

Grüner Machtkampf um Ministerämter – Das sind die Gewinner und Verlierer

Von: Jürgen Klöckner, Silke Kersting

Die Grünen haben sich nach einem Flügelstreit auf die Ministerposten geeinigt. Die Liste enthält einige Überraschungen. Prominente Kandidaten gehen leer aus.

Bundestagswahl 2021

Ampel-Koalition: Dies sind die grünen Minister

Bundestagswahl 2021: Ampel-Koalition: Dies sind die grünen Minister

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Berlin Die Grünen haben ihren Machtkampf um die Ministerposten einer künftigen Ampelregierung beigelegt. Am späten Donnerstagabend kündigte Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner an, mit welchem Personal die Partei in eine Koalition mit SPD und FDP eintreten will.

Demnach wird Grünen-Chef Robert Habeck Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock übernimmt als erste Frau in dieser Position das Außenministerium. Beide Entscheidungen waren so erwartet worden.

Eine Überraschung ist die Ernennung von Cem Özdemir als Landwirtschafts- und Ernährungsminister. Die Personalie sorgte hinter den Kulissen für Streit, da mit Özdemir ein Realo den Parteilinken und bisherigen Favoriten für diesen Posten, Anton Hofreiter, verdrängte.

Mit dem Vorstoß von Özdemir, der vom einflussreichen baden-württembergischen Landesverband unterstützt wurde, geriet das ursprünglich angedachte Personaltableau der Grünen ins Wanken. „Ich kann mir kein Kabinett mit grüner Beteiligung vorstellen, in dem Cem Özdemir nicht dabei ist“, twitterte der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz am Donnerstag. Auch Baerbock und Habeck sprachen sich nach Darstellung aus der Partei für Özdemir aus, der in der Öffentlichkeit als populär gilt.

Aus dem Lager der Linken kam dagegen Unterstützung für Hofreiter. Es sei versucht worden, den promovierten Biologen hinauszudrängen, der auch fachlich die bessere Besetzung für das Ministeramt sei, hieß es. Hofreiter und Özdemir waren bereits vor zwei Jahren aneinander geraten: Özdemir wollte den Bayern da von der Doppelspitze der Fraktion verdrängen, scheiterte damit aber.

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Hofreiter selbst wollte sich Donnerstag am Rande eines Bund-Länder-Forums der Grünen nicht äußern. Auf entsprechende Fragen sagte er nur stereotyp: „Der Koalitionsvertrag ist sehr gut.“´

Für sie blieb am Ende kein Kabinettsposten übrig. imago images/Political-Moments

Katrin Göring-Eckardt

Für sie blieb am Ende kein Kabinettsposten übrig.

Um die Kräfteverhältnisse der Flügel auszutarieren, fiel nach Özdemirs Benennung auch Hofreiters bisherige Kollegin an der Fraktionsspitze, die Reala Katrin Göring-Eckardt, durch das Raster. An ihrer Stelle übernimmt nun die Parteilinke Anne Spiegel aus Rheinland-Pfalz das Familienministerium. Sie dürften die wenigsten auf dem Zettel gehabt haben. Im Gespräch ist jetzt wohl, Göring-Eckardt nun das Amt der Vizepräsidentin des Bundestages anzubieten.

Als zweite Parteilinke übernimmt Steffi Lemke das Umweltministerium. Die bisherige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth wird zudem Staatsministerin für Kultur und Medien im Kanzleramt.

Wird Staatsministerin für Kultur und Medien. dpa

Claudia Roth

Wird Staatsministerin für Kultur und Medien.

Kellner erklärte, der Bundesvorstand habe das Personaltableau einstimmig „und anschließend gemeinsam mit dem Parteirat die Einleitung der Urabstimmung“ entschieden.

Nun hat die Grünen-Basis von Freitag bis Anfang Dezember Zeit, über die Personalien und den Koalitionsvertrag abzustimmen. Das Votum der 125.000 Parteimitglieder soll am Freitag beginnen und nach zehn Tagen beendet sein.

Das Personaltableau der Grünen – die zukünftigen Minister im Kurzporträt

Robert Habeck – Vizekanzler, Wirtschaft und Klimaschutz

dpa

Robert Habeck

Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium hat für die Grünen zentrale Bedeutung. Von hier aus soll Robert Habeck die Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität steuern. Der Ausstieg aus der Kohle bis 2030, der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und milliardenschwere Klimainvestitionen fallen in seinen Aufgabenbereich.

Ob die Ampel tatsächlich den 1,5-Grad-Pfad einschlägt, liegt zu einem großen Teil auch daran, ob das Habeck gelingt. Dass es vier ruhige Jahre für den 52-Jährigen werden, ist deswegen nahezu ausgeschlossen.

Nicht nur Industrieverbände und Lobbygruppen für fossile Energie werden dem Minister genau auf die Finger schauen. Auch das eigene Lager erwartet von Habeck Ergebnisse. Schließlich war er es, der die Grünen von Oppositions- auf Regierungskurs gebracht hat.

Für ihn spricht, dass er auf viel Erfahrung zurückblicken kann. Habeck war sechs Jahre Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und Digitalisierung in Schleswig-Holstein. Er war sich in dieser Aufgabe nicht zu schade, über die Dörfer zu reisen und für Energietrassen und Windräder zu werben, um Widerstände abzubauen. Diese Überzeugungskraft wird er auch in seiner neuen Aufgabe gebrauchen können.

Dass Habeck auch Vizekanzler geworden ist, könnte an dem enttäuschenden Wahlergebnis der Kanzlerkandidatin Baerbock liegen. Zwar holten die Grünen das beste Ergebnis ihrer Geschichte, blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück – auch wegen schwerer Fehler von Baerbock im Wahlkampf, etwa rund um die Plagiatsvorwürfe gegen ihr Buch, nicht gemeldeter Nebeneinkünfte und falscher Angaben im Lebenslauf.

Annalena Baerbock – Außenministerin

AP

Annalena Baerbock

Nach rund 20 Jahren soll das Außenministerium wieder von einer Grünen geführt werden. Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock tritt in die Fußstapfen von Joschka Fischer und ist die erste Frau auf diesem Posten.

Die Grünen sehen in dem Ressort die Chance, klimapolitische Fragen auf europäischer oder weltpolitischer Ebene voranzubringen. Außerdem strebt die Partei eine Außenpolitik an, die gegenüber Staaten wie China, der Türkei und Russland wieder deutlicher europäische Werte vertritt.

Neuland ist die internationale Politik für die 40-Jährige nicht: Sie studierte unter anderem Völkerrecht. Bisher lagen Baerbocks Stärken im verständlichen Erklären komplexer politischer Konzepte. Als Außenministerin müsste sie eher souveräne Auftritte in heiklen Situationen meistern.

Wie viel Einfluss Baerbock allerdings tatsächlich auf diesem Posten ausüben kann, ist noch völlig offen. Das eigentlich prestigeträchtige Ministerium verlor in den vergangenen Jahren an Ansehen und Einfluss.

Noch-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte Außenpolitik zu ihrem Aufgabenbereich. Ob in Europa, der Flüchtlingskrise oder in der Russlandpolitik – hier hatte meist das Kanzleramt das letzte Wort. Bleibt es dabei, müsste sich Baerbock gegen Bald-Kanzler Olaf Scholz (SPD) durchsetzen, dessen Partei etwa zu Russland eine weniger kritische Haltung hat.

Cem Özdemir – Landwirtschaft und Ernährung


imago images/Arnulf Hettrich

Cem Özdemir

Seine Ernennung ist eine Überraschung. Özdemir ist in erster Linie Außenpolitiker. Zuletzt war er Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Der Agrarsektor wäre ein neuer Bereich mit vielen Herausforderungen für ihn. Steigende gesellschaftliche Erwartungen zu Tierwohl und Nachhaltigkeit, veränderte Ernährungsgewohnheiten und die Verschärfung von Umweltauflagen sind nur einige der Themen, die er angehen muss.

Özdemir ist einer der profiliertesten Grünen, sein Ruf in der Partei hat jedoch in den vergangenen Jahren gelitten. Der Realo gilt nicht gerade als Teamplayer. Trotzdem hat er sich gegen den Parteilinken Anton Hofreiter durchgesetzt, der eigentlich für das Verkehrsministerium vorgesehen war. Das geht nun aber an die FDP.

Der Schwabe mit türkischen Wurzeln steht ein Stück weit für etwas Diversität in der Regierung. In der ersten Reihe der Grünen findet sich niemand mit Migrationshintergrund – das passt schlecht zusammen mit dem Anspruch der Partei, für mehr Vielseitigkeit zu sorgen.

Özdemir zog bereits 1994 in den Bundestag ein, saß später im EU-Parlament und kehrte 2013 in den Bundestag zurück. Zehn Jahre lang, bis Anfang 2018, war er Parteichef der Grünen. Vor allem in dieser Zeit setzte er sich für eine Annäherung der Grünen an die Wirtschaft ein.

Der 55-Jährige ist vor allem in der Bevölkerung angesehen. Bei den Bundestagswahlen war er in seinem Stuttgarter Wahlkreis mit einem Ergebnis von rund 40 Prozent in den Bundestag gewählt worden.

Steffi Lemke – Umwelt und Verbraucherschutz

imago images/Political-Moments

Steffi Lemke

Die 53-Jährige aus Dessau ist parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Naturschutzpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. Die Diplomagraringenieurin zog das erste Mal 1994 in den Bundestag ein. Zwischen 2002 und 2013 war sie politische Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei. 2013 zog sie das zweite Mal in den Bundestag ein.

Lemke schreibt über sich, die massiven Umweltzerstörungen in der Region Bitterfeld hätten ihre Kindheit in der DDR begleitet, „genauso wie ein Staat, der über mein persönliches Leben bestimmen wollte“. Die heutigen Probleme seien andere, aber zum Teil ähnlich geblieben, unter anderem die Klimakrise und der Raubbau an der Natur.

Das Thema Umwelt ist Lemke also nicht fremd. Vor allem das Thema Biodiversität und die Vermeidung weiterer Pandemien liegen ihr am Herzen. Die Coronapandemie hält sie für menschengemacht und für eine „Katastrophe mit Ansage“. Naturzerstörung sei Ursache dieser Pandemie, sagte sie vor gut einem Jahr. Man habe gewusst, „dass das auf uns zukommt“, doch das Problem sei vernachlässigt worden.

Anne Spiegel – Familienministerin

imago images/Sämmer

Anne Spiegel

Die Nachricht wird sie vielleicht selbst überrascht haben: dass sie die Ampelregierung in Rheinland-Pfalz verlassen soll, um in der Berliner Ampel ein Regierungsamt zu übernehmen. Spiegel, 40, ist heute Umweltministerin in Mainz, war zuvor aber Integrations- und Familienministerin in Rheinland-Pfalz. Spiegel hat damit Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verdrängt, die als Familienministerin gehandelt worden war.

Politik sei nichts Abstraktes, sondern es verändere ganz konkret Lebensrealität, schreibt Spiegel, die als Kind „unbedingt Pinguinforscherin“ werden wollte, auf ihrer Website. Als vierfache Mutter sei das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur ein politisches Anliegen, es bewege sie auch persönlich.

Die Stärkung von Frauen und Familien sei ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit. Die Grünen hatten im Wahlkampf immer wieder betont, wie wichtig ihnen eine Stärkung der Rechte von Familien und Kindern ist.

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