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14.05.2021

16:49

Bundesparteitag

Christian Lindner will FDP unentbehrlich für Regierungsbildung machen

Von: Till Hoppe

Der FDP-Vorsitzende sieht seine Partei als verbliebene Kraft der Mitte. In ihrem Wahlprogramm setzen die Liberalen auf Marktwirtschaft und niedrigere Steuern. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen sie grundlegend reformieren.

Der dreitägige Parteitag wird Corona-bedingt ohne Delegierte vor Ort in digitaler Form durchgeführt. dpa

Bundesparteitag FDP

Der dreitägige Parteitag wird Corona-bedingt ohne Delegierte vor Ort in digitaler Form durchgeführt.

Berlin Es ist erst einige Monate her, da blickten viele Freie Demokraten nervös auf die neuesten Umfragen. Damals, im vergangenen Herbst, war der Sicherheitsabstand zur Fünfprozenthürde nicht sonderlich groß, die Stimmung in der Partei trübe und der Vorsitzende angeschlagen.

Welch ein Kontrast zu heute. Die FDP erzielt in allen Umfragen zweistellige Zustimmungswerte – sogar die einstige Volkspartei SPD scheint in Reichweite. Parteivize Wolfgang Kubicki gibt beim Parteitag am Freitag bereits das Ziel aus, bei der Bundestagswahl im September drittstärkste Kraft hinter Union und Grünen zu werden: „Wir wollen aufs Treppchen.“

135 Tage sind es noch bis zum Urnengang, und die Ausgangslage damit „so gut wie kaum jemals vor einer Bundestagswahl“, wie Christian Lindner frohlockt. Der FDP-Vorsitzende hatte sich im vergangenen Jahr noch einige Fehltritte geleistet, darunter einen verbalen Lapsus gegenüber der einstigen Generalsekretärin Linda Teuteberg beim Parteitag im vergangenen September.

Inzwischen hat sich Lindner längst gefangen. Die Delegierten bestätigten den dienstältesten Parteivorsitzenden im Kreis der Bundestagsparteien beim Parteitag mit großer Mehrheit – 534 von 576 Delegierten stimmten für den 42-Jährigen.

Und sollte, angesichts seines Ausstiegs aus den Jamaika-Verhandlungen 2017, jemand Zweifel an seinem Machthunger hegen, so will Lindner diese entschlossen ausräumen: Er sei „niemals motivierter als jetzt“ gewesen, die FDP in Regierungsverantwortung zurückzuführen, sagte er.

Lindners Ziel: Ohne die FDP soll es keine Koalitionsmöglichkeiten geben. „Unser Wahlziel ist, so stark zweistellig zu werden, dass sowohl schwarz-grüne als auch grün-rot-rote Mehrheitsbildungen ausgeschlossen sind“, sagt er.

Schließlich solle Deutschland „weiter aus der Mitte regiert“ werden – und dort verortet der FDP-Chef eigentlich nur noch seine eigene Partei. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet gehe bei der Schuldenpolitik so weit auf die Grünen zu, dass sich die Frage stelle, ob die beiden Parteien irgendwann fusionierten.

Marktwirtschaft unabdingbar für „soziales Netz“

Ihre komfortable Ausgangslage haben sich die Liberalen teils selbst erarbeitet. Sie haben die Fehler in der Pandemiepolitik, die teils drastischen Grundrechtseinschränkungen nicht nur angeprangert. Vielmehr habe man, wie Lindner betont, „jede Kritik mit einem Gegenvorschlag verbunden oder geschwiegen“. Damit unterscheide sich die FDP als Partei der Mitte von den Kritikern am rechten und linken Rand.

Hinzu kommt, dass die Coronakrise viele Schwächen des Landes entblößt – von der schleppenden Einführung digitaler Technologien bis hin zum Hang zum Bürokratismus selbst in einer Ausnahmesituation. Gegen vieles davon haben die Liberalen schon vor der Pandemie gewettert, jetzt hören ihnen mehr Bürger zu. Auch in der Wirtschaft finden ihre Ideen und Konzepte Applaus.

Digitaler, moderner und freiheitlicher solle Deutschland werden, so Lindner. Anders als die anderen Parteien setzten die Liberalen dabei nicht zuerst auf den Staat: Ohne ein starkes wirtschaftliches Fundament blieben alle gesellschaftlichen und ökologischen Ziele unerreichbar. „Es ist die Marktwirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an der das soziale Netz aufgehängt wird.“ Was das im Einzelnen bedeuten soll, benennen die Freien Demokraten in ihrem Wahlprogramm, das auf dem Parteitag beschlossen wurde.

Ein Überblick über das Wahlprogramm der FDP:  

  • Steuern senken: Der überwiegende Teil der Modernisierungsinvestitionen könne nicht vom Staat ausgehen, sondern von der Wirtschaft, sagt Lindner. Die Partei will daher über Steuersenkungen den Unternehmen mehr Spielraum geben, in der Hoffnung, dass diese massiv investieren. Die Abgabenquote für Bürger will die FDP wieder auf unter 40 Prozent drücken. Dafür will sie den Solidaritätszuschlag auch für Besserverdienende abschaffen und den Spitzensteuersatz erst ab einem Jahreseinkommen von 90.000 Euro greifen lassen. Davon würden auch Normalverdiener wie Fachkräfte profitieren, sagt Lindner – es sei die „qualifizierte Mitte der Gesellschaft, die Entlastung verdient“.
  • Bürokratie abbauen: Lindner verspricht einen „Entfesselungspakt“ für die Wirtschaft. Die Auskunftspflichten sollen reduziert und Vergabeverfahren verschlankt werden. Die geltende „One in, one out“-Regel, wonach für ein neues Gesetz vorhandene Belastungen im gleichen Umfang reduziert werden müssen, wollen die Liberalen zu einem „One in, two out“ verschärfen und auch für die europäische Gesetzgebung gelten lassen.
  • Verwaltung modernisieren: Die Liberalen fordern eine umfassende Föderalismus- und Verwaltungsreform. Die Coronakrise habe gezeigt, dass die Kompetenzverteilung zwischen den staatlichen Ebenen neu geregelt und die Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben werden müsse. Ein „Ministerium für digitale Transformation“ soll dafür zudem die Nutzung neuer Technologien beschleunigen.
  • Bildung fördern: Auch die heutige Bildungslandschaft mit 16 verschiedenen Systemen ist aus Sicht der FDP nicht mehr zeitgemäß. Die Liberalen wollten über eine Grundgesetzänderung ein „Kooperationsgebot“ zwischen Bund und Ländern erreichen, so Lindner. So soll es etwa bundesweite Abschlussprüfungen geben. Zugleich sollen die einzelnen Schulen mehr pädagogische und finanzielle Freiheiten erhalten. Zusätzliche Mittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro will die Partei mobilisieren, indem ein Prozentpunkt des Mehrwertsteueraufkommens in die Bildung fließen soll.
  • öffentlich-rechtlichen Rundfunks reformieren: Die FDP will mit der Forderung nach einer Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und einer Senkung des Rundfunkbeitrags in den Bundestagswahlkampf ziehen. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht eine Auftrags- und Strukturreform“, heißt es in einem Änderungsantrag für das Wahlprogramm, den der Parteitag am Samstagabend mit knapper Mehrheit annahm. „Wir Freie Demokraten wollen einen moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der sich primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren soll. Damit wollen wir den Rundfunkbeitrag absenken.“ Vergeblich appellierte FDP-Generalsekretär Volker Wissing an die Delegierten, den Antrag abzulehnen. Er wurde mit 185 zu 179 Stimmen angenommen. Allerdings hatte es früher noch weiterreichende Forderungen der FDP bis hin zu Privatisierungen öffentlich-rechtlicher Sender gegeben.
  • Sozialpolitik über das Bildungssystem: „Unsere Sozialpolitik beginnt im Bildungssystem“, sagt Lindner. Die unterschiedlichen Bildungschancen seien die größte soziale Ungerechtigkeit, daher gelte es, etwa Kinder in sozialen Brennpunkten besonders über sogenannte Talentschulen zu fördern. Zudem wollen die Liberalen Sozialleistungen weniger direkt mit Zuverdiensten verrechnen, um den Beziehern den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
  • Klimaschutz über Emissionshandel: Das Thema kommt in Lindners Rede wie im Wahlprogramm erst weiter hinten vor. Den Liberalen schwebt ein festgelegtes CO2-Limit vor, das mit den Temperaturzielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist. Um dieses Limit einzuhalten, sollen auch die Sektoren Verkehr und Gebäude ins europäische Emissionshandelssystem aufgenommen werden. Man verzichte so auf Verbote und überlasse es der Innovationskraft der Einzelnen, wie sie die Emissionen einsparen, sagt Lindner. Allerdings kritisiert auch der BDI diesen Ansatz als unzureichend.

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