Der Bundesbankpräsident sieht erhebliche Risiken in der Inflation, doch die Politik sieht bislang teilnahmslos zu. Dabei spüren die Bürger die Geldentwertung bereits.
Christian Lindner, Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock
Die Politik sieht in Sachen Inflation teilnahmslos zu.
Mit dem Wahlkampfslogan „It’s the economy, stupid!“ gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Wenn Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet noch an seinem Konkurrenten von der SPD Olaf Scholz vorbeiziehen will, sollte er sich ein Beispiel daran nehmen und den Slogan in „It’s the inflation, stupid“ abwandeln.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann rechnet, wie er diese Woche sagte, mit einem weiteren Anstieg auf fünf Prozent bis zum Jahresende. Auch wenn die Europäische Zentralbank die Gefahren dieser Entwicklung bei jeder Gelegenheit herunterspielt. Aus Sicht Weidmanns „überwiegen derzeit die Aufwärtsrisiken“.
Die nächste Gelegenheit für Laschet, die zunehmende Geldentwertung als Wahlkampfthema zu setzen, gibt es schon am kommenden Montag. Da stellt er sein Wirtschaftsprogramm vor. Der Rohstoffmangel und die Engpässe bei den Halbleitern treiben die Preise in Deutschland.
Noch ist das, anders als in den USA, keine Gefahr für das Wachstum. In den USA macht aber schon das Wort der Stagflation die Runde. Eine Lage, die viele Ökonomen fürchten.
Von Stagflation spricht man, wenn trotz steigender Preise die Wirtschaft nur stagniert. Dieses Phänomen gab es in Deutschland in den 70er-Jahren zu Zeiten der Ölkrise. Dieses Horrorszenario ist noch nicht eingetreten.
Die Bürger spüren jedoch die Inflation bereits im Geldbeutel. Jeder Häuslebauer muss 20.000 bis 30.000 Euro mehr zahlen, weil der Handwerker sagt, er bekommt die Materialien nicht mehr zum vereinbarten Preis.
Tankstelle
Will Deutschland seine Klimaziele einhalten, wird Kraftstoff bald deutlich mehr kosten müssen.
Bild: dpa
Damit nicht genug. Die nächste Regierung muss Mobilität enorm verteuern, will sie ihre selbst gesteckten Klimaziele erreichen. Klimaschutz wird zum Preistreiber. Ökonomen gehen davon aus, dass der Preis für Benzin um 70 Cent je Liter oder mehr steigen wird.
Die Bürger spüren inzwischen an der Tankstelle die CO2-Bepreisung, die Heizkosten steigen und auf den Sparbüchern gibt es keine Zinsen. Noch ein Beispiel aus der Praxis: Der Bahn-Gewerkschafter Claus Weselsky begründet seine Lohnforderung auch mit der anziehenden Inflation. Der Fachkräftemangel wird sein Übriges dazutun, dass die Gehälter anziehen. Richtig gefährlich wäre es, wenn damit ein Signal für eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt würde.
Erstaunlicherweise hat die Politik, mit Ausnahme der FDP, noch nicht auf all diese Inflationsgefahren reagiert. Warum ist das so?
Für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist das ein unbequemes Thema. Seine Parteilinke will mehr Schulden machen, was nicht gut ist für die Inflation und ein ordentlicher Schluck aus der Lohnpulle ist der Co-Vorsitzenden Saskia Esken und Parteivize Kevin Kühnert im Wahlkampf lieber.
Außerdem lässt sich Scholz von linksgerichteten Ökonomen beraten, die seit einiger Zeit die Gefahren einer Geldentwertung verharmlosen. Vorstandschefs von internationalen Autobauern sehen das anders: „Was ich jetzt sehe, ist eine erhebliche Inflation. Ich höre meine Wirtschaftsexperten, die sagen, dass es keine strukturelle Inflation gibt, aber ich sehe das anders“, sagte vor ein paar Tagen Carlos Tavares, CEO von Stellantis.
Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup stellte kürzlich fest: „Die Löhne in China und anderen asiatischen Ländern sind spürbar gestiegen. Weitere Preissenkungen sind daher nicht zu erwarten.“ Das alles spricht gegen sinkende Preise Anfang kommenden Jahres und dürfte dem Bundesfinanzminister nicht entgangen sein.
Grünen-Chef Robert Habeck, der gerne Finanzminister werden würde, schweigt sich zu makroökonomischen Themen meistens aus. Seine Twitter-Fangemeinde feierte ihn jüngst für eine eher philosophische Erwiderung zu den Appellen des Maßhaltens von Friedrich Merz in einer TV-Runde.
Im Grunde hat er die hochumstrittene „Modern Monetary Theory“ im typischen Habeck-Stil verklärt. Demnach spielen in der schönen neuen Welt Inflation und Schulden keine Rolle mehr. Merz blickte wie eine „grumpy cat“, aber zu packen bekam er den philosophierenden Habeck nicht.
Erstaunlich bei den Grünen ist, dass sie sonst viel Wert auf Nachhaltigkeit legen. Bei den Schulden haben sie immer neue Ideen, vergessen aber dabei die nachfolgenden Generationen.
Die größten Chancen auf das Bundesfinanzministerium hat mittlerweile FDP-Chef Christian Lindner. Egal ob Ampel- oder Jamaika-Koalition. Er will Kassenwart werden. Bislang überlässt er das Thema Inflation seinen engen Vertrauten Volker Wissing und Marco Buschmann. Die erheben immer wieder mahnend die Stimme.
Für Lindner würde sich das Thema gut eignen. Solide Finanzen, die sich der FDP-Chef auf die Fahnen geschrieben hat, sind ein wichtiger Pfeiler der Geldwertstabilität. Er steht dem geldpolitischen Falken Jens Weidmann näher als der Französin Christine Lagarde. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank steht eher im Lager der Inflationisten.
Unions-Kanzlerkandidat Laschet, der weiß, was ein halbes Pfund Butter kostet, sollte deshalb nicht mehr zögern. Denn Inflation schadet den Sparern. Das Sparguthaben der Deutschen beträgt 6,7 Billionen Euro. Es schadet zudem den Arbeitnehmern und den Rentnern und Studenten.
Den größten Hebel gegen steigende Preise hat natürlich die Zentralbank in der Hand. Wenn aber der mögliche künftige Bundeskanzler Laschet die Steigerungen adressiert, dann hat das in ganz Europa Gewicht.
Will Laschet seinen knappen Rückstand in den Umfragen aufholen, muss er Themen setzen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Olaf Scholz weicht bisher nur aus. Das Inflationsthema eignet sich dazu, ihn auf ein breites Spielfeld zu ziehen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×