Der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien genießt bei den meisten Parteien hohen Stellenwert. Doch ihre Ziele sind oft unrealistisch. Wie der Ausbau gelingen kann.
Energie und Klima
In den Wahlprogrammen von CDU/CSU, Grünen, SPD und FDP genießt das Thema Erneuerbare Energien hohen Stellenwert.
Berlin Nur wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien mit Riesenschritten vorangeht, lassen sich die Klimaziele erreichen. In den Wahlprogrammen von CDU/CSU, Grünen, SPD und FDP genießt das Thema daher hohen Stellenwert.
„Unser Ziel ist es, 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 zu erreichen“, heißt es etwa im Programm der Grünen. In ihrem „Klimaschutz-Sofortprogramm“, das die Grünen am Dienstag dieser Woche zur Ergänzung des Wahlprogramms präsentierten, legt sich die Partei auf konkrete jährliche Ausbauziele fest. Die SPD will dafür sorgen, „dass wir unseren Strom spätestens bis zum Jahr 2040 vollständig aus erneuerbaren Energien beziehen“.
CDU/CSU und FDP nennen in ihren Wahlprogrammen zwar keinen Wert, geben sich aber dennoch ehrgeizig. CDU und CSU etwa wollen die Erneuerbaren „deutlich schneller ausbauen“. Doch wie realistisch sind solche Ziele überhaupt?
„Allein die Anhebung von Zielen reicht nicht“, sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE). Alle Parteien hätten offensichtlich erkannt, dass der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt werden müsse. Die Ziele machten aber am Ende verbindliche und konkrete Maßnahmen erforderlich. Diese Maßnahmen müssten in Koalitionsverhandlungen definiert und bereits in einem ersten 100-Tage-Programm einer neuen Bundesregierung umgesetzt werden. „Dazu gehören zügig nutzbare Flächen und deutlich beschleunigte Genehmigungsverfahren“, sagte Albers.
Die Grünen greifen dieses Thema in ihrem Sofortprogramm auf. Die Hürden für eine Umsetzung solcher Ziele sind jedoch hoch, der Reformbedarf ist gewaltig. Das betrifft nicht nur die Genehmigung von Windparks, sondern auch die Genehmigung neuer Stromleitungen.
Beide Dinge sind eng miteinander verbunden: Der Ausbau der Erneuerbaren kann nur dann voranschreiten, wenn parallel die Leitungen entstehen, die den Strom etwa von den Windparks im Norden des Landes in den Westen und Süden transportieren, wo er gebraucht wird.
Ein ohnehin kompliziertes Planungs- und Genehmigungsrecht stößt dabei auf eine schwer kalkulierbare Auslegung artenschutzrechtlicher Bestimmungen. Diese Kombination lässt manche Verfahren ausufern. Windparks und Stromleitungen sind gleichermaßen betroffen.
Wer ein Gefühl für das Ausmaß der Komplexität solcher Verfahren bekommen möchte, der sollte sich mit der Geschichte der „Uckermarkleitung“ befassen. Sie soll einmal Strom von Prenzlau bis nach Neuenhagen im Norden Berlins transportieren.
Doch um jedes Teilstück der 115 Kilometer langen Leitung wird gerungen. Planungsbeginn für die Uckermarkleitung war 2005. 2009 wurde das Projekt ins Energieleitungsausbaugesetz aufgenommen. Mit dem Gesetz wurden insgesamt 22 Leitungsbauprojekte in Deutschland zu besonders wichtigen Vorhaben im Rahmen der Energiewende erklärt, die vordringlich auszubauen sind und für die deshalb ein verkürzter Rechtsweg gilt.
Gebracht hat das nicht sehr viel. Bis 2014 dauerte es zum Planfeststellungsbeschluss für die Leitung. Dann wurde gegen die Leitung geklagt. 2016 erging darauf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dem 2020 ein Planergänzungsbeschluss der zuständigen Genehmigungsbehörde folgte. Gegen diesen Beschluss klagte – wie in vielen anderen Fällen auch – der Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
Ende Juni folgte daraufhin ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts im Eilverfahren, eine endgültige Entscheidung fällt im Hauptsacheverfahren. Eine mündliche Verhandlung wird im ersten Halbjahr 2022 erwartet. Nach 17 Jahren könnte es dann endgültig grünes Licht für alle Abschnitte der Leitung geben, was aber niemand sicher vorhersagen kann. Teile der Leitung sind fertiggestellt, diese Leitungsabschnitte stehen bislang nutzlos in der Landschaft.
Das noch nicht abgeschlossene Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dreht sich um eine mögliche Gefährdung einzelner Exemplare der Rohrdommel – das ist ein Vogel aus der Familie der Reiher. Die Richter greifen in ihrem Beschluss zum Eilverfahren die Argumente des Nabu auf: Der Planergänzungsbeschluss trage „spätabendlichen oder nächtlichen Flügen nicht ausreichend Rechnung, die etwa zur Brutpflege der polygam lebenden Männchen zwischen dem Landiner Haussee und dem Felchowsee oder bei Verfolgungsjagden zu erwarten seien“, heißt es in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts. Aus Sicht des Gerichts ist das Grund genug, die aufschiebende Wirkung der Nabu-Klage zu bejahen. Der Rest wird im Hauptsacheverfahren geklärt.
Aber muss in solchen Verfahren tatsächlich auf einzelne Exemplare einer Art abgestellt werden? Sollte man sich nicht zum Beispiel fragen, wie es um den Bestand einer Art insgesamt deutschlandweit bestellt ist? Und warum wird ein Rotmilan-Brutpaar im Umfeld eines geplanten Windparks in Niedersachsen anders beurteilt als in Brandenburg?
„Notwendig ist eine einheitlichere Genehmigungspraxis beim Artenschutzrecht“, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Flasbarth verweist darauf, dass Bund und Länder bereits im vergangenen Jahr konkrete Beschlüsse gefasst haben, um artenschutzrechtliche Genehmigungen zu beschleunigen, zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.
Zu Veränderungen hat das allerdings noch nicht geführt. Seit Monaten beraten die Umweltminister der Länder über das Thema. Ein Ergebnis ist nicht in Sicht. Kann die nächste Bundesregierung darauf setzen, dass Bewegung in die Debatte kommt? Dafür gibt es keine Anzeichen.
Aber die langwierigen Debatten über den Artenschutz sind nicht die einzige Bremse. Es fehlt auch schlicht an Flächen, um rasch viele neue Windparks und Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu errichten. Die Bereitstellung geeigneter Flächen sei eine der „wichtigsten Stellschrauben“, um beim Erneuerbaren-Ausbau voranzukommen, sagt Staatssekretär Flasbarth.
„Dazu müssen entsprechende Änderungen im Bau- und Raumordnungsrecht vorgenommen werden. Jedes Bundesland muss einen bestimmten Flächenanteil bereitstellen. Ein Herausmogeln aus der gemeinsamen Verantwortung für unser Energiesystem, wie es von Bayern bei der Windenergie derzeit gemacht wird, schadet unserer Volkswirtschaft“, sagt Flasbarth.
Im Moment beanspruchen Windparks in Deutschland etwa ein Prozent der Landesfläche. Die Windbranche argumentiert, sie benötige zwei Prozent, um ihre Ausbauziele zu erreichen. Die Grünen haben sich diese Forderung zu eigen gemacht und in ihr Wahlprogramm und ihr Klimaschutz-Sofortprogramm aufgenommen. Und die Stiftung Klimaneutralität des früheren Wirtschafts- und Umwelt-Staatssekretärs Rainer Baake hatte zu Jahresbeginn Empfehlungen vorgestellt, die dabei helfen sollen, dem Zweiprozentziel näherzukommen.
Die angestrebte Änderung des Baugesetzbuchs hätte aus Sicht der Stiftung Klimaneutralität den Vorteil, dass eine einheitliche Regelung auf Bundesebene entstünde, von der die Länder nicht abweichen könnten. Man beschreite damit „den mit Abstand schnellsten Weg“, um zu einer Ausweisung von zusätzlichen Flächen für die Windenergie zu kommen.
Werden die Länder den erforderlichen Gesetzesänderungen zustimmen und ein Stück ihrer Kompetenz abgeben? Die Zweifel, dass es dazu kommt, sind groß. Die Ziele der Parteien zum Erneuerbaren-Ausbau wirken vor diesem Hintergrund sehr optimistisch.
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