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01.09.2021

04:00

Wahlprogramme 2021 im Vergleich

Vom besseren Ansehen bis hin zur Garantie: Was die Wahlprogramme für Ausbildung und Weiterbildung versprechen

Von: Barbara Gillmann

FDP, Grüne und SPD wollen die Ausbildung künftiger Fachkräfte nicht mehr nur der Wirtschaft überlassen, sondern selbst in die Hand nehmen. Nur die Union scheut den staatlichen Eingriff. 

Mittlerweile gibt es mehr als 2,1 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsausbildung.

Auszubildende

Mittlerweile gibt es mehr als 2,1 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsausbildung.

Berlin Die nächste Regierung steht vor der Jahrhundertherausforderung, die duale Ausbildung zu retten – und so die Fachkräfteversorgung zu sichern. Gleich mehrere Parteien wollen das Problem mit einer weit aktiveren Rolle angehen als bisher üblich, zeigt der Blick in die Wahlprogramme.

Drei der vier Parteien, die eine realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben, versprechen eine Art Ausbildungsgarantie: die SPD und die Grünen – und erstmals auch die FDP. Dafür plant das Trio überbetriebliche Ausbildungen. 

Die Union hingegen will lediglich das Ansehen der dualen Ausbildung weiter stärken – und hofft, das werde genügen, um dieser den früheren Stellenwert für die Fachkräfteversorgung zurückzugeben. 

Bisher galt im Prinzip, dass die Wirtschaft am besten weiß, in welchen Berufen sie wie viele Nachwuchskräfte ausbilden muss – und dies auch bedarfsgerecht tut. Überbetriebliche Ausbildungsgänge waren daher stets die Ausnahme, so wie etwa nach der Wiedervereinigung im Osten, wo es noch viel zu wenige Unternehmen gab, die hätten ausbilden können.

Hintergrund für den akuten Handlungsbedarf, den inzwischen auch die Liberalen sehen, ist der Rückzug der Wirtschaft aus der dualen Ausbildung: 

Junge Menschen sind das Ziel der Parteien

Dieses ungenutzte Reservoir ist das Ziel der drei Parteien: Die Liberalen  versprechen eine „Zukunftsgarantie“ für die, die keine Lehrstelle finden. Dazu wollen sie dort, wo eine „erhebliche Unterversorgung“ an Ausbildungsplätzen herrscht, außerbetriebliche Ausbildungsangebote durch den Staat machen. 

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Dafür will die FDP das in den vergangenen Jahren entstandene kleinteilige „Übergangssystem“ bundesweit organisieren – und die Effektivität prüfen. Aktuell werden in diesem System zwischen Schule und Arbeit – das einige  abschätzig „Warteschleifen“ nennen – rund 234.000 Jugendliche nachgeschult oder schlicht beschäftigt, bis sie nicht mehr schulpflichtig sind. 

Um die Berufsausbildung aufzuwerten, plant die FDP eine Exzellenzinitiative nach dem Vorbild der Hochschulen, eine Begabtenförderung, wie es sie für Studenten gibt, und ein Zentrum für digitale Berufsbildung. 

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Ein Austauschdienst soll einem Fünftel der Azubis einen Auslandsaufenthalt ermöglichen. Verwandte Berufe will die FDP zusammenfassen und in der ersten Phase gemeinsame Kompetenzen vermitteln, zudem plant sie mehr Teilqualifizierungen in der Lehre.

Im Prinzip ist die Strategie der Liberalen, grundsätzlich jedem ein Angebot zu machen, nah an den Vorstellungen von Sozialdemokraten und Grünen. Auch die Grünen haben eine „Ausbildungsgarantie“ in ihr Programm geschrieben. Sie wollen diese vor allem dadurch einlösen, indem sie die gemeinsame Ausbildung mehrerer Unternehmen stärker fördern – aber eben auch, „wo notwendig“, durch außerbetriebliche Ausbildungen. 

Auch viele Dax-Konzerne haben die Berufsausbildung zurückgefahren 

Zudem kündigen die Grünen aber auch finanzielle Hilfe für die Unternehmen an, die noch ausbilden. Zuletzt engagierte sich nicht einmal mehr jeder fünfte Betrieb in der Lehre – im Jahr 2007 tat dies noch ein Viertel der Betriebe. Die große Masse ging in Kleinbetrieben verloren – doch auch die Dax-Konzerne bilden heute weit weniger aus

Ein entscheidender Unterschied zur FDP ist: Geht es nach den Grünen, sollen diejenigen Unternehmen, die sich aus der Lehre zurückgezogen haben, über eine Umlagefinanzierung beteiligt werden. 

Für die Sozialdemokraten steht eine „Ausbildungsgarantie“ schon traditionell auf dem Zettel. Alle erfolglosen Bewerber sollen eine praxisnahe Ausbildung in einer Berufsschule oder außerhalb bekommen. Wie die Grünen wollen auch die Sozialdemokraten das über Umlagen oder Fonds finanzieren – etwa innerhalb der jeweiligen Branchen. 

Mit einer solchen Ausbildungsabgabe hatte 2004, zur Zeit der „Lehrlingsschwemme“,  der damalige SPD-Chef Franz Müntefering der Wirtschaft gedroht. Diese verhinderte die Abgabe, indem sie den „Pakt für Ausbildung“ schloss. Das erhöhte das Angebot an Ausbildungsplätzen zwar für kurze Zeit – konnte aber den tendenziellen Niedergang nicht aufhalten. 

Serie: Wahlcheck

Die Idee der Serie

Am 26. September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. In loser Folge stellt das Handelsblatt deshalb in den kommenden Wochen zentrale Themen vor, die die künftige Regierung angehen muss. So geht es zum Beispiel um den Ausbau Erneuerbarer Energien, die Digitalisierung, den Wohnungsbau und die künftige Steuerpolitik.

Teil 1 – Steuern für Unternehmer, Spitzenverdiener oder Familien: Wen die Parteien entlasten wollen

In der Steuerpolitik setzen die Parteien – je nach Profil – eigene Akzente.

>> Lesen Sie die Folge hier

Teil 2 – Wohnraum, Eigentum: Um diese fünf Baustellen muss sich der neue Bauminister kümmern

Die Wohnungspolitik dürfte für die künftige Bundesregierung zu einem zentralen Thema werden.

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Teil 3 – Ausbildung und Weiterbildung: Wie die Parteien den Fachkräftemangel bremsen wollen

Die nächste Regierung steht vor der Jahrhundertherausforderung, die duale Ausbildung zu retten – Was die Parteien geplant haben.

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Teil 4 – Energie und Klima: Wo es beim Bau von Solaranlagen und Windrädern hakt

Der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien genießt bei den meisten Parteien hohen Stellenwert. Doch die Wahlprogramme operieren oft mit unrealistischen Zielen.

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Teil 5 – Kinderbetreuung, Elterngeld, Ehegattensplitting: So wollen die Parteien den Familien helfen

In der Pandemie sind vor allem Familien unter Druck geraten. Doch die Parteien setzen bislang nur auf moderate Anpassungen. Experten erklären, welche Vorschläge besser funktionieren.

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Teil 6 – Digitalisierung der Verwaltung: Warum vieles in den neuen Wahlprogrammen gar nicht neu ist

Seit 2009 wirbt jede Koalition in ihrem Regierungsplan mit der „Digitalisierung“. Doch „digital first“ gilt bis heute selten in der Verwaltung.

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Teil 7 – Steuerzuschuss, Beitragssatz, Alter: An welchen Stellschrauben die Parteien bei der Rente drehen wollen

Die Rente ist kein Gewinnerthema im Wahlkampf, weil jede Reform Verlierer mit sich bringt. In den Parteiprogrammen dominiert deshalb das Prinzip Hoffnung.

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Teil 8 – Schulden, Klimaschutz, Digitales: Diese Europa-Themen muss die nächste Bundesregierung anpacken

Wer Deutschland regiert, kann entscheidend Einfluss nehmen auf die Schicksalsfragen der Europäischen Union. Schon bald stehen Richtungsentscheidungen bevor.

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Teil 9 – Was Frauen von der neuen Regierung erwarten können

Lohncheckverfahren, staatliches Wagniskapital nur für Gründerinnen, Quoten – die Parteien versprechen in ihren Wahlprogrammen den Frauen einiges. Doch was erwarten Unternehmerinnen und Gründerinnen?
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Teil 10 – Diese zentralen Herausforderungen sehen Ökonomen auf dem Arbeitsmarkt nach der Wahl

Rot-Rot-Grün wirbt für höhere Mindestlöhne und Weiterbildungsansprüche, Schwarz-Gelb will wenig regulieren. Wo die Trennlinie bei den arbeitsmarktpolitischen Plänen verläuft.

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Teil 11 – Viele Milliarden, zu wenig Erfolge: Parteien streiten über bessere Förderung von Spitzenforschung

Für Union und Grüne gilt: Mehr finanzielle Förderung bringt auch bessere Forschungsergebnisse. Die FDP dagegen will die Leistung von Forschern strenger kontrollieren.

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Unterm Strich dürfte es einer Ampelkoalition also nicht schwerfallen, sich auf ein System überbetrieblicher Ausbildung zu einigen – zumal oftmals betont wird, die Lehre in den Betrieben müsse auch künftig stets Priorität behalten. Lediglich bei einer Umlagefinanzierung wäre die FDP vermutlich nicht mit von der Partie.

Im Gegensatz zu Liberalen, Grünen und SPD bietet das Programm der Union weder eine durch den Staat gedeckte Ausbildungsgarantie – noch eine Alternative. CDU und CSU verweisen lediglich auf ihr „Herzensanliegen“: die „Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung“. Daher wollen sie „wieder mehr Gewicht auf die Ausbildung junger Menschen als Facharbeiter und Handwerker legen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“, heißt es schwammig. 

Sollte die CDU regieren, wäre es allerdings vermutlich schwieriger als früher, einem Koalitionspartner aus dem Kreis der drei anderen die staatliche Ausbildungsgarantie zu verwehren. Denn der Druck ist angesichts der schlechten Lage am Ausbildungsmarkt und des sich verschärfenden Fachkräftemangels weit größer als in früheren Wahljahren. 

Das Ampel-Trio verspricht mehr Hilfe bei der Weiterbildung

Größere staatliche Aktivität zeichnet sich daneben auch in der Weiterbildung ab – dem zweiten großen Hebel, um die Qualifikation der Erwerbstätigen entscheidend zu steigern. SPD und Grüne fordern jeweils ein Recht auf Weiterbildung. Die FDP kündigt ein „zweites Bildungssystem für das ganze Leben“ an. 

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Die Sozialdemokraten wollen den Anspruch „auf beruflichen Neustart“ erfüllen, indem sie Lohneinbußen während der Weiterbildung oder Umschulung „lange genug kompensieren, um anerkannte Abschlüsse zu erwerben“ – zumindest denjenigen, die das nicht aus eigener Kraft können. Zudem sollen die Volkshochschulen mit Bundesmitteln in die Lage versetzt werden, weit mehr in die Weiterbildung einzusteigen. 

Die FDP verspricht ein „Midlife-Bafög“ von bis zu 1000 Euro im Jahr und die Möglichkeit, steuer- und abgabenfrei Geld für Bildungsauszeiten zu sparen. Auch die Grünen wollen ein „Weiterbildungs-Bafög“.

Nur die Union kündigt vage an, das Bundesprogramm Bildungsprämie auszubauen. Und sie verspricht,  jedem einen Platz in einem Alphabetisierungskurs anzubieten. Nach letztem Stand gibt es in Deutschland rund sechs Millionen Erwachsene, die nicht richtig lesen und schreiben können.

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