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11.05.2022

18:04

Bundeswehr

Nato-Übung in Niedersachsen: Der Ukraine-Krieg ist stets im Hinterkopf

Von: Frank Specht

Wie leistungsfähig ist die Bundeswehr? Eine Übung der Nato Response Force, bei der Deutschland im kommenden Jahr die Führung übernimmt, offenbart Probleme. Ein Report aus Munster.

An der Übung nahmen Soldatinnen und Soldaten aus neun Nationen teil. Getty Images

Belgische Soldaten

An der Übung nahmen Soldatinnen und Soldaten aus neun Nationen teil.

Munster Ruhig liegt die Heidelandschaft in der gleißenden Morgensonne, der Blick reicht weit über die freie Fläche. Plötzlich blitzt es am Waldrand in der Ferne, ein kleiner Rauchpilz steigt auf, dann kommt der Knall. Danach noch eine Explosion und noch eine.

Kurze Zeit später steht eine Wand aus Qualm über der Heide. Hätte sich dort der Feind aufgehalten, beispielsweise gebremst durch eine Minensperre, wäre von ihm nicht mehr viel übrig.

Hier auf dem niedersächsischen Truppenübungsplatz Munster wird ein fiktiver Gegner bekämpft, „Rot“ gegen „Blau“. Bei der Übung „Wettiner Heide“ bereiten sich rund 7500 Soldatinnen und Soldaten aus neun Ländern darauf vor, im kommenden Jahr die Nato Response Force (NRF) zu stellen. Diese schnelle Eingreiftruppe muss in der Lage sein, binnen Tagen in verschiedensten Krisen- und Konfliktsituationen weltweit eingesetzt zu werden.

Auch an der Nato-Ostflanke gegen ein imperialistisch auftretendes Russland? Artillerie-Bataillonskommandeur Timo Kaufmann schließt das nicht aus. „Wir bereiten uns auf einen gleichwertigen Gegner vor.“ Die Truppe werde so ausgebildet, dass sie in jedem Konflikt eingesetzt werden könne. Aber natürlich sei bei den Soldatinnen und Soldaten der Ukrainekrieg immer im Hinterkopf.

Im nächsten Jahr wird die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ der Bundeswehr Leitverband für die NRF-Landstreitkräfte sein. Sie stellt dann knapp ein Drittel der bis zu 12.000 Mann starken Bodentruppe, der Rest kommt aus anderen Teilen der deutschen Armee oder den acht Partnernationen.

Schon die Übung zeigt den enormen logistischen Aufwand, der betrieben werden muss, um eine schlagkräftige Nato-Speerspitze bereitzuhalten. Innerhalb von weniger als zehn Tagen sind die Kräfte aus den Benelux-Staaten, Tschechien, Skandinavien und dem Baltikum zusammengeführt worden, Übergänge über die Weser oder die Elbe wurden geprobt.

Der Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 37, Brigadegeneral Alexander Krone, betont die Herausforderung. „Das Kunststück ist jetzt hier das Zusammenwirken aller Teile“, sagt er. Vor allem die Logistik wird geübt – Versorgung, Nachschub, Reparatur von ausgefallenem Gerät.

Eine deutsche Brigade soll im kommenden Jahr Leitverband für die NRF-Streitkräfte sein. Getty Images

Bundeswehrsoldat

Eine deutsche Brigade soll im kommenden Jahr Leitverband für die NRF-Streitkräfte sein.

In der Lüneburger Heide wird die nächste Artilleriesalve vorbereitet, ein Spähwagen „Fennek“ fährt vor, um Zieldaten zu erfassen, und zieht sich dann rasch wieder zurück. Ein paar Meter weiter stehen norwegische Artilleriebeobachter, mit dabei Captain Karl Jonas Vandbakk von einer Einheit, die nach der größten Piranhaart Piraya benannt ist.

Die Zusammenarbeit klappe gut, man arbeite als eingespieltes Team, sagt der Soldat. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Gerade die Bundeswehr steht im Verruf, etwa bei der Funkausrüstung nicht auf dem Standard zu sein, der ein reibungsloses Zusammenspiel mit anderen Nationen ermöglicht.

Dass es durchaus zu Reibungsverlusten kommt, gesteht auch Brigadekommandeur Krone ein. „In der idealen Welt haben immer alle das Gleiche und machen immer gleichzeitig ein Software- und Hardware-Update, dann gibt es nie Schnittstellenprobleme“, sagt er.

Bundeswehrsoldaten trainieren mit einer Panzerhaubitze 2000 den Einsatz. Getty Images

Übung in Munster

Bundeswehrsoldaten trainieren mit einer Panzerhaubitze 2000 den Einsatz.

Momentan ist die Schnittstelle aber oft noch der Soldat auf dem Drehstuhl im Aufklärungspanzer. Er tippt die Daten, die er von einem Kollegen aus einem anderen Nato-Staat bekommen hat, erneut händisch ins eigene System ein. Bei der Interoperabilität habe man das Ziel vielleicht zu 50 Prozent erfüllt, sagt Krone. „Hier gibt es immer Luft nach oben.“

Bundeswehr wird wieder sichtbar

Das Manöver findet im Dreieck Lüneburg-Hannover-Gifhorn statt und ist nicht auf die Truppenübungsplätze beschränkt. Soldaten campieren auf Bauernhöfen oder sind im Dorfgemeinschaftshaus in Burgwedel untergebracht. Die Bundeswehr wird wieder sichtbarer. Von den Älteren in den Dörfern höre er, dass es so etwas früher häufiger gab, sagt Krone.

Früher, das war die Zeit des Kalten Kriegs, als noch mit sowjetischen Panzerattacken gerechnet wurde. Dann kam die Hoffnung auf die Friedensdividende und der Umbau der Bundeswehr in eine auf Auslandseinsätze spezialisierte Armee. Mit dem Ukrainekrieg gebe es jetzt wieder mehr Rückenwind für die Truppe, sagt Krone, während Maschinengewehrfeuer über das Übungsgelände hallt.

Die Vorbereitung des NRF-Einsatzes stand für die Panzerbrigade 37 unter keinem guten Stern. Durch die Pandemie gab es beispielsweise Restriktionen bei der Unterbringung von Truppenteilen, die gemeinsam üben wollten. Auch stellte Krone zeitweise 3500 Soldatinnen und Soldaten für die Corona-Amtshilfe ab. Die Zeit fehlte für das Training. Umso mehr hofft Krone, dass jetzt alles klappt und die multinationale Truppe, die er führen wird, die Nato-Zertifizierung erhält.

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Ist also die Bundeswehr besser als ihr Ruf, wenn sie im kommenden Jahr die Landstreitkräfte der schnellen Nato-Eingreiftruppe führen kann? Der NRF-Status sei schon etwas Besonderes, sagt Bataillonskommandeur Kaufmann. „Schön wäre, wenn es für die gesamte Bundeswehr auch so wäre.“ Da gebe es Nachholbedarf, etwa bei der Ersatzteilversorgung.

Die sollte bei der Übung natürlich funktionieren. Im Lager Hörsten auf dem Truppenübungsplatz Bergen hat das multinationale Versorgungsbataillon einen von drei Stützpunkten eingerichtet. Eine Panzerhaubitze 2000 ist ausgefallen, die wichtigste Waffe der Artillerietruppe, von denen Deutschland und die Niederlande zwölf Stück an die Ukraine liefern wollen.

Sofort rollt ein Bergepanzer „Büffel“ heran, und Soldaten machen sich an dem knapp 60 Tonnen schweren Gerät zu schaffen. Oberstleutnant Sven Heidel, der das Versorgungsbataillon kommandiert, hofft, dass die Waffe in spätestens 48 Stunden wieder instandgesetzt sein wird. Wenn die Bundeswehr will, dann kann sie auch.

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