Angesichts von Ukrainekrieg und Inflation vertagen die Chemie-Tarifparteien die Verhandlungen über eine Prozenterhöhung bis Oktober. Bis dahin erhalten Beschäftigte 1400 Euro Einmalzahlung.
Protestaktion von Chemiebeschäftigten im Industriepark Frankfurt-Höchst
Arbeitgeber und Gewerkschaft wollen ab Oktober weiter über eine prozentuale Lohnerhöhung verhandeln.
Bild: dpa
Berlin In den Tarifverhandlungen für die rund 580.000 Beschäftigten der Chemieindustrie haben sich der Arbeitgeberverband BAVC und die Gewerkschaft IG BCE auf eine „Atempause“ verständigt. Angesichts der Ungewissheit über die weitere Entwicklung des Ukrainekriegs und der Preissteigerung erhalten die Beschäftigten im Mai zunächst eine „Brückenzahlung“ in Höhe von 1400 Euro. Im Oktober wollen beide Seiten dann die Verhandlungen fortsetzen und über eine eventuelle Prozenterhöhung reden.
„Das ist die richtige Antwort auf die maximale Unsicherheit, die wir seit Putins Invasion erleben“, sagte BAVC-Verhandlungsführer Hans Oberschulte. „Jetzt um Prozente zu streiten, würde dem Ernst der Lage nicht gerecht.“
„Diese Zwischenlösung ist alles andere als unsere Wunschvorstellung“, betonte IG-BCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski. Aber sie biete die Möglichkeit, die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der kommenden Monate abzuwarten und die Tarifrunde im Herbst auf Basis einer dann hoffentlich klareren Datenlage fortzusetzen.
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Die Gewerkschaft hatte ihre Forderung am 22. Februar beschlossen – zwei Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Sie wollte angesichts der galoppierenden Preise eine Kaufkraftsteigerung für die Beschäftigten erreichen, hatte aber auf eine konkrete Prozentforderung verzichtet.
Nach IG-BCE-Angaben entspricht die Brückenzahlung von 1400 Euro im Durchschnitt über alle Entgeltgruppen 5,3 Prozent eines Jahresentgelts. Für Auszubildende gibt es nach dem Tarifkompromiss 500 Euro.
Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten können die Zahlung auf 1000 Euro reduzieren. Dies gilt quasi automatisch, wenn sie Verluste geschrieben haben. Bei Unternehmen mit einer Nettoumsatzrendite von höchstens drei Prozent ist eine Absenkung der Brückenzahlung nach Rücksprache mit den Tarifparteien möglich.
Zuletzt hatte es angesichts der stark gestiegenen Inflationszahlen Warnungen vor einer Lohn-Preis-Spirale gegeben - etwa von den sogenannten Wirtschaftsweisen. Mit der jetzt gefundenen Lösung, die keine dauerhafte Erhöhung der Tabellenentgelte vorsehe, trage man dem Rechnung, sagte Oberschulte. Sikorski nannte die Befürchtungen angesichts eines durchschnittlichen Personalkostenanteils von nur knapp 14 Prozent in der Chemischen Industrie unbegründet. Die gestiegenen Energiekosten fielen da viel stärker ins Gewicht.
Lösungen haben die Tarifparteien zudem für die anderen von der Gewerkschaft erhobenen Forderungen gefunden. So erhalten Schichtarbeiter ab Juli eine einheitliche Zulage von 20 Prozent, was laut IG BCE einem Lohnplus von 1,7 Prozent im Durchschnitt aller Schichtarbeiter entspricht.
Bisher lagen die Zuschläge bei 15 oder 20 Prozent, je nachdem, ob es sich um regelmäßige oder unregelmäßige Schichtarbeit handelt. Die Gewerkschaft hatte eine Anhebung auf einheitlich 25 Prozent verlangt.
Um Auszubildende mit Förderbedarf zu unterstützen, investieren die Chemie-Sozialpartner drei Millionen Euro in ein neues, auf zwei Jahre befristetes Förderprogramm. Je Auszubildenden ist eine Förderung von bis zu 1000 Euro möglich. Auf eine Regelung zum mobilen Arbeiten konnten sich beide Seiten nicht einigen. Sie vereinbarten aber, eine wissenschaftliche Studie zur Praxis des mobilen Arbeitens in Auftrag zu geben, deren Ergebnisse 2023 vorliegen sollen.
Außerdem wollen BAVC und IG BCE bis Ende Juni tarifliche Regelungen für ein sogenanntes Sozialpartner-Modell für die betriebliche Altersvorsorge schaffen. Das mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz von 2018 eingeführte Modell ermöglicht den Sozialpartnern, Betriebsrenten mit einer reinen Beitragszusage anzubieten, was die Renditechancen erhöht.
Ziel der Chemie-Tarifparteien ist es, den gemeinsam mit der R+V-Versicherung angebotenen Pensionsfonds entsprechend umzustellen. Es wäre dann das erste branchenweite Sozialpartnermodell für die betriebliche Altersvorsorge.
Arbeitgeber und Gewerkschaft einigten sich darüber hinaus auch auf mehr Flexibilität bei der branchenspezifischen „Altersfreizeit“, die für Beschäftigte ab 57 Jahren (Schichtarbeiter ab 55 Jahren) verkürzte Wochenarbeitszeiten vorsieht. So sollen Betriebe beispielsweise ihren Mitarbeitern anbieten können, auf die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung zu verzichten und dafür früher in den Ruhestand zu gehen oder höhere Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung zu erhalten.
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