Angesichts der anstehenden Landtagswahlen steht die einstige Regierungspartei unter Zeitdruck. Die jüngsten Personalentscheidungen zeigen einmal mehr, wie sehr es in der CDU rumort.
Friedrich Merz beim Wahlkampfauftakt der Jungen Union NRW am Samstag
Die Kritik an dem neuen Parteichef mehrt sich.
Bild: dpa
Berlin Die CDU will ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Doch gleich zu Beginn gibt es Durcheinander und Kritik bei einer Frage: Wer arbeitet nun in welcher Fachkommission mit?
Die Christdemokraten hatten Anfang März im saarländischen Sankt Ingbert mit ihrem neuen Bundesvorsitzenden Friedrich Merz getagt. Zum einen ging es um die Unterstützung von Saar-Ministerpräsident Tobias Hans im Endspurt des Landtagswahlkampfes – zum anderen um die Benennung jener Personen, die künftig maßgeblich den inhaltlichen Kurs der Partei mitgestalten sollen.
Eine offizielle Übersicht aber gibt es bis heute nicht. Zehn Tage später kursierte zumindest ein erstes Papier, auf dem die Vorsitzenden und Stellvertreter benannt waren. Doch die Liste sorgte bei manchen für Verwunderung: Die einen hatten eigentlich „ausdrücklich verzichtet“ und fanden sich dennoch auf dem Papier wieder. Andere blieben unberücksichtigt, obwohl sie mitarbeiten wollten.
Auch fehlte eine Übersicht der weiteren Mitglieder in den einzelnen Kommissionen. Erst an diesem Freitag kursierte eine erste, 20 Seiten umfassende Übersicht.
Die Personalentscheidungen zeigen einmal mehr, wie sehr es derzeit in der CDU rumort. Seit Januar führt Merz die langjährige Regierungspartei. Die CDU muss nun zügig ihre Oppositionsrolle im Bund finden, damit sie bei den Landtagswahlen im Saarland (Ende März), in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen (Mai) nach dem Kanzleramt nicht auch noch die Staatskanzleien verliert und damit ihren letzten Einfluss im Bund über den Bundesrat.
Für gewöhnlich, so hieß es in der CDU, wäre ein Jahr nötig, um die Partei für die Oppositionszeit auszurichten.
Welches Tempo die CDU in Anbetracht der Wahlen an den Tag legen muss, um sich neu zu erfinden, zeigt der Fahrplan für das Grundsatzprogramm. So soll eine Grundwertekommission bereits im Frühsommer ein wenige Seiten umfassendes Wertegerüst zu Papier bringen. Es soll als Präambel und damit als Leitschnur für das Grundsatzprogramm dienen und bereits auf dem Parteitag im September in Hannover beschlossen werden.
Schließlich steht im Oktober in Niedersachsen die vierte wichtige Landtagswahl in diesem Jahr an: Hier will die CDU die Rolle des Juniorpartners in der Großen Koalition aufgeben und stattdessen mit Spitzenkandidat Bernd Althusmann in die Staatskanzlei einziehen.
Er leitet eine Kommission, die aktueller nicht sein könnte: Versorgungssicherheit. Dabei geht es dem Landeswirtschaftsminister und seiner Stellvertreterin Gitta Connemann, Chefin der Mittelstandsunion (MIT), nicht nur um Energiefragen, sondern auch um Ernährung und Landwirtschaft, Infrastruktur und Verkehr, Bauen, Wohnen wie auch Daseinsvorsorge.
Weniger diese, dafür aber andere Namen auf der Übersichtsliste haben in der CDU jedoch Fragen aufgeworfen. So leitet etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, nachweislich ein Vertreter des liberalen Flügels, die Kommission für soziale Sicherung. Sie soll etwa Antworten auf Fragen in den Bereichen Rente, Gesundheit, Pflege und Sozialhilfe geben. Der Chef des Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, hingegen muss sich mit der Rolle des Stellvertreters zufriedengeben. Kretschmer wolle sich auf dem Feld rund um den demografischen Wandel für die Landtagswahlen 2024 profilieren, hieß es zur Entscheidung.
Wie der moderne Staat aussehen soll, koordiniert die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach, die als Stellvertreter den Innenpolitiker Philipp Amthor zur Seite gestellt bekommen hat. Der Greifswalder fiel in der vergangenen Wahlperiode durch den Skandal um die US-amerikanische Firma Augustus Intelligence negativ auf, für die er lobbyiert hatte und zugleich gegen Entgelt tätig gewesen war.
Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, in der Fraktion zuständig für Wirtschaftspolitik, leitet die Kommission „Wohlstand“. Sie soll sich nicht nur um den Mittelstand, Steuern und Finanzen oder Wettbewerb kümmern, sondern auch um Vermögenspolitik und Eigentumsbildung.
Das sorgt für Verwunderung: Als Minister hatte der gelernte Bankkaufmann mit seinem Mann für mehr als vier Millionen Euro eine Villa in Berlin gekauft und nicht nur jegliche Nachfragen zu den Umständen zurückgewiesen, sondern auch versucht, Berichterstattung dazu gerichtlich zu verbieten.
Die Gruppe für Internationales soll die Fraktionschefin im hessischen Landtag, Ines Claus, leiten. Der aus Baden-Württemberg stammende Europapolitiker Daniel Caspary hingegen soll für die Kommission „Sicherheit“ zuständig sein. Sie befasst sich mit der Justiz, Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung sowie mit dem Katastrophenschutz – das sind Themen, bei denen eher die konservative hessische CDU stark ist. Und so lautet die Frage in der Partei: Warum tauschen Claus und Caspary nicht die Zuständigkeiten?
Die Personalentscheidungen verstärken bei den Merz-Kritikern den Eindruck, er agiere wie ein „Alleinherrscher“. Womöglich sei sein jüngstes Buch die Blaupause für das neue Grundsatzprogramm, hieß es. 2021 hatte Merz im Kampf um den Parteivorsitz seine Ideen von Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert auf 222 Seiten skizziert.
Als Oppositionsführer hatte Merz zuletzt zu vielen aktuellen Themen wie etwa Ukrainekrieg oder Klimawandel Position bezogen. Seine Aussagen musste er jedoch auch vielfach wieder ändern – was selbst seine Unterstützer laut Parteikreisen kritisch sehen.
So war er zunächst dagegen gewesen, Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift auszuschließen. Nach der russischen Invasion in die Ukraine plädierte er plötzlich dafür.
Auch habe der neue Parteichef Kritik auf sich gezogen, weil er sich plötzlich doch für ein Gasembargo aussprach. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) soll sogar beim Bundesverband der Deutschen Industrie darum gebeten haben, Merz angesichts des möglicherweise steigenden öffentlichen Drucks von seiner Position abzubringen, wie CDU-Politiker berichten.
Zu groß sei die Abhängigkeit von russischem Gas. „Keiner von uns will den Krieg verlängern, aber manche Sanktionen bringen nichts und treffen uns stärker als die Russen“, hieß es in der Union.
Wie schwer es manchem fällt, mit dem neuen Chef zurechtzukommen, zeigt sich zuletzt auch an kulturellen Fragen. So habe sich die Fraktion kurz vor seiner Wahl zu einer außerordentlichen Sitzung per Videokonferenz getroffen. Die Abgeordneten hätten sich von zu Hause aus zugeschaltet, der überwiegende Teil in Freizeitkleidung. Merz indes zeigte sich akkurat gekleidet und empörte sich, dass er fast der Einzige mit Krawatte sei. Die Anekdote erzählen sich die Abgeordneten noch heute.
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