Der Minister müsste eigentlich zügig ein Sofortprogramm vorlegen, weil der Verkehr die Klimaziele 2021 verfehlt hat. Doch so genau nimmt es die Regierung nicht mehr.
Volker Wissing
Der Minister wird nicht müde zu betonen, dass er dafür zuständig sei, Mobilität zu ermöglichen.
Bild: dpa
Berlin Die neue Bundesregierung will offenkundig darauf verzichten, dass der Verkehrssektor in Zukunft jedes Jahr seine Klimaziele erreicht. Bei der Präsentation des jährlichen Klimaberichts erklärte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, es seien „strukturelle Maßnahmen erforderlich“, damit der Verkehrssektor wie im Übrigen auch der Gebäudesektor seine Klimaziele erreiche – und zwar bis 2030. Das „Leitmotiv“ laute künftig: „Welche Wirkungen entfalten die beschlossenen Maßnahmen, und reichen sie aus?“
Beide Sektoren haben 2021 die Klimaziele verfehlt, der Verkehrssektor lag 2021 laut Umweltbundesamt mit 148 Millionen Tonnen CO2 drei Millionen Tonnen über den Vorgaben. 2030 sollen es eigentlich nur noch 85 Millionen Tonnen sein. Doch in der Vergangenheit wie auch im vergangenen Jahr verfehlten Autos, Bahnen, Busse, Flugzeuge, Lastwagen und Schiffe immer wieder ihre Jahresziele, der Ausstoß sinkt vor allem nicht wesentlich.
Laut Klimaschutzgesetz muss Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun binnen vier Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um die Ziele in den folgenden Jahren wieder zu erreichen. So will die Regierung ein „Osterpaket“ und ein „Sommerpaket“ zum Klimaschutz vorlegen. Doch scheint es nicht mehr darum zu gehen, Ziele kurzfristig zu erreichen, wie Klimastaatssekretär Graichen durchblicken ließ. Stattdessen dürfte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP das Ziel 2030 in den Blick nehmen.
Auch der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner, bestand nicht auf Sofortmaßnahmen, zu denen etwa ein generelles Tempolimit gehören könnte. Er verwies vielmehr auf die Freiwilligkeit der Bürger: Wenn jeder auf der Autobahn nur noch 100 Stundenkilometer fahren würde und auf Landstraßen 80, dann ließen sich sofort „fünf Millionen Tonnen“ CO2 einsparen, sagte Messner.
Bis 2030, so kalkuliert die Regierung bereits, wird der Sektor 270 Millionen Tonnen mehr ausstoßen, als eigentlich geplant sind. Das geht aus dem Projektionsbericht der Regierung hervor. Darin war sie davon ausgegangen, dass der Sektor 2021 rund sieben Millionen Tonnen zu viel ausstoßen würde. Angesichts der Coronakrise ist es weniger geworden.
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Der aktuelle Wert sei zwar niedriger, sagte Umweltbundesamt-Präsident Messner. Aber die strukturellen Probleme bestünden weiterhin, so sei die „Elektrifizierung des Verkehrs“ zwingend nötig. Graichen betonte, im Verkehrsbereich bestehe „größter Handlungsdruck, weil es Zeit braucht, in diesen Bereichen die Emissionen zu senken“. So sei es wichtig, kurzfristig Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die mittelfristig wirkten. Dazu gehöre etwa, die Schienenwege auszubauen.
Die neue Linie spielt Verkehrsminister Wissing in die Hände, auch der Umstand, dass von einem allgemein verpflichtenden Tempolimit nicht mehr die Rede ist. Ein Tempolimit hatten die Grünen gefordert, die FDP hatte es aber immer abgelehnt und dies im Koalitionsvertrag auch durchgesetzt.
Minister Wissing hat in seinem Haus alle bereits bekannten und in der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität gesammelten Maßnahmen zusammenstellen lassen, mit denen sich CO2 einsparen lässt: Dazu gehören steuerliche Anreize, Sonderabschreibungen bei Elektroautos, der Ausbau der Ladesäulen, Flottengrenzwerte für Autohersteller, Kaufanreize und Flottenmodernisierungsprogramme etwa bei Bussen und Lkw. Die Maßnahmen sollen helfen, mittelfristig 41 Millionen Tonnen einzusparen. Die Kosten der zahlreichen Fördermaßnahmen sollen sich auf mehr als 100 Milliarden Euro belaufen, wie es hieß.
Allein eine CO2-basierte Lkw-Maut steht für die Nutzer belastend im Raum. Das EU-Recht erlaubt sie ab 2023, in Deutschland sollen die technischen Voraussetzungen bis 2024 vorhanden sein. Mit ihr könnte der Bund mehr als sechs Milliarden Euro zusätzlich einnehmen.
Wissing wird nicht müde zu betonen, dass er als Verkehrsminister dafür zuständig ist, Mobilität zu ermöglichen. „Um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen, arbeiten wir mit Hochdruck am Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie der Förderung alternativer Antriebe auch im Transportgewerbe. Wir wollen den Verkehr dekarbonisieren, um unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu werden“, erklärte eine Sprecherin auf Nachfrage. Zudem hieß es, das Ministerium bringe „in die derzeit laufenden Abstimmungen zum Klimaschutz-Sofortprogramm entsprechende Maßnahmen ein, sodass das sektorübergreifende nationale Klimaschutzziel, die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent zu senken, gemeinsam erreicht werden kann“.
Neben der Modernisierung der Nutzfahrzeugflotten setzt das Ministerium auf Wasserstoff im Lastverkehr. Auch will Wissing Verkehr auf die Schiene verlagern und entsprechend mehr in den Nah- wie in den Fernverkehr der Bahn investieren, was allerdings neben Geld vor allem Zeit kostet.
Graichen hingegen setzt vor allem auf die Elektrifizierung, wozu mehr Ladesäulen und ein größeres Angebot der Autohersteller gehören. Er forderte von BMW, Daimler, Volkswagen und Co.: „Die knappen Chips sollten in Elektroautos verbaut werden. Wir haben ein Angebotsproblem.“ Allerdings verdienen die Hersteller mit E-Autos noch kein Geld, mit Verbrennungsmotoren indes sehr wohl.
Bis 2030 sollen auf den Straßen 15 Millionen E-Autos fahren, allerdings wird auch das nur helfen, die Hälfte der vorgegebenen CO2-Einsparung zu erreichen. Graichen sieht zugleich noch „im Straßengüterverkehr großes Einsparpotenzial“. Er empfahl allen Transporteuren, auch denen, die jüngst auf politische Empfehlung hin gasbetriebene Fahrzeuge gekauft haben und nun angesichts der explodierenden Preise nicht mehr wirtschaftlich fahren können: „Beim nächsten Mal sollte es ein E-Lkw sein.“ Er kündigte an, die im Etat 2022 gekürzten Fördermittel für den Kauf von umweltfreundlichen Nutzfahrzeugen nachverhandeln zu wollen. Da angesichts des Ukrainekriegs ein Nachtragshaushalt vorgesehen sei, werde entsprechend noch neu verhandelt. „Wir haben Handlungsbedarf“, sagte Graichen.
Kritik kam vom Thinktank Agora Verkehrswende. So forderte die stellvertretende Direktorin Wiebke Zimmer ein Sofortprogramm. „Bisher hat die Ampelkoalition vor allem deutlich gemacht, was sie im Verkehr nicht für den Klimaschutz angehen möchte: Sie ist gegen ein Tempolimit auf Autobahnen und auch gegen eine Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw über den Vorschlag der EU-Kommission hinaus“, kritisierte Zimmer. „Doch ein starres Festhalten am Koalitionsvertrag wird für die Klimaschutzziele nicht reichen.“
Mehr: „Menschen zum Nachdenken motivieren“ – Wissing will Klimaziele gemeinsam mit den Bürgern erreichen
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