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23.10.2019

16:56

CO2-Reduzierung

„Der Dämmwahn geht weiter“ – Kritik an Klimaschutzplänen für den Gebäudesektor

Von: Silke Kersting

In Wohnungen und Gebäuden steckt viel Potenzial, Emissionen einzusparen. Was die Regierung plant, ist aus Sicht von Opposition und Industrie nur halbherzig.

Der Gebäudebereich gilt neben der Energie- und Verkehrsbranche als Schlüsselsektor beim Klimaschutz. In der Gebäudesanierung steckt viel Potenzial, Emissionen einzusparen. dpa

Wohnungsbau

Der Gebäudebereich gilt neben der Energie- und Verkehrsbranche als Schlüsselsektor beim Klimaschutz. In der Gebäudesanierung steckt viel Potenzial, Emissionen einzusparen.

Berlin Die Bundesregierung treibt ihre Vorhaben rund um mehr Klimaschutz voran. Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett den Entwurf des so genannten Gebäudeenergiegesetzes (GEG), das ein neues, einheitliches und aufeinander abgestimmtes Regelwerk für die energetischen Anforderungen an Neubauten, Bestandsgebäuden und den Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden schaffen soll. Der bisherige Mix aus Energieeinsparverordnung, Energieeinspargesetz und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz soll abgelöst werden.

Der Gebäudebereich gilt neben der Energie- und Verkehrsbranche als Schlüsselsektor beim Klimaschutz. In der Gebäudesanierung steckt viel Potenzial, Emissionen einzusparen. Bislang sind 14 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland diesem Sektor zuzurechnen, vor allem für den Betrieb von Heizungen und die Bereitstellung von Warmwasser.

Noch einmal gut 15 Prozent fallen in der Energiewirtschaft für die Fernwärme- und Stromproduktion in Gebäuden an. Insgesamt steht der Gebäudesektor also für ein Drittel aller CO2-Emissionen in Deutschland.

Doch der von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sowie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorgelegte Entwurf überzeugt weder Opposition noch die Industrie. „Das GEG verfehlt sein Ziel völlig, sagte der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst. „Die Energievorschriften wurden nicht vereinfacht. Der Dämmwahn geht weiter wie bisher.“

Dem Klima helfe das alles wenig. Die krankhafte Fokussierung auf die Energieeffizienz vernachlässige das eigentliche und wichtige Ziel: die Reduzierung von Treibhausgasen. Zukunftsweisende Ideen, wie der Gebäudebestand effizient klimaneutral werden könne, suche man im GEG vergebens.

Entwurf sei ambitionslos

Auch die Grünen vermissen die Ausrichtung des GEG an der Einsparung von klimaschädlichem CO2. „Die Pariser Klimaziele können so nicht erreicht werden“, sagten Chris Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, sowie die energiepolitische Sprecherin Julia Verlinden.

Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) hält den Entwurf im Lichte der Klimakrise für ambitionslos. Grundsätzlich sei die Zusammenführung und Vereinfachung bestehender Gesetze im Gebäudeenergierecht zu begrüßen.

Doch statt innovative Lösungen für energiesparende Gebäude zu befördern, schreibe der Entwurf selbst für öffentliche Gebäude lediglich die bestehenden Standards fort. „Ob, wann und wie Deutschlands Gebäude klimaneutral werden sollen, ist weiterhin völlig unklar“, kritisierte Christian Noll, geschäftsführender Vorstand der DENEFF.

Tatsächlich wird das aktuelle Anforderungsniveau für Neubauten und Sanierung nicht weiter verschärft. Energetische Anforderungen an Gebäude leisteten schon heute einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der europäischen und nationalen Klimaschutz- und CO2-Minderungsziele im Gebäudesektor, heißt es im Wirtschaftsministerium. Das gültige Anforderungsniveau sei das EU-rechtlich geforderte kostenoptimale Niveau, Verschärfungen wären nicht wirtschaftlich.

Das Bundesumweltministerium ist davon nicht begeistert. „Hinsichtlich der energetischen Standards für Neubau und Bestandsgebäude hätten wir uns sicher auch etwas mehr vorstellen können“, sagte ein Sprecher auf Nachfrage. „Daher war es uns wichtig, dass wir eine Überprüfung im Jahr 2023 und eine anschließende Weiterentwicklung der Anforderungen im GEG festgelegt haben. Damit stellen wir sicher, dass wir diese wesentlichen Parameter genau im Blick behalten.“

Für Bestandsbauten wurden immerhin neue Regelungen in Bezug auf Heizungen verankert. Ab 2026 soll es Beschränkungen beim Einbau neuer Ölheizungen geben. Die bereits bisher in der Energieeinsparverordnung enthaltene Austauschpflicht für Öl und Gasheizkessel, die älter als 30 Jahre sind, wurde in das GEG integriert. Geplante Fördermaßnahmen speziell beim Heizungstausch stehen nicht im GEG, sondern sollen in Förderprogrammen des Wirtschaftsministeriums verankert werden.

Aufwertung von Energieberatungen

Neu im GEG ist aber die Aufwertung von Energieberatungen. Diese sollen vor wichtigen energetischen Sanierungen zur Pflicht gemacht werden. Klaus Müller, oberster Verbraucherschützer Deutschlands, begrüßte die Entscheidung. „Für Verbraucherinnen und Verbraucher gehören der Kauf von Immobilien und umfangreiche energetische Sanierungen zu den größten finanziellen Lebensentscheidungen“, sagte Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Gleichzeitig könnten sie mit einem geringeren Energieverbrauch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. „Weil energetische Sanierungen für Jahrzehnte Bestand haben sollten, Nachbesserungen dagegen ineffizient und teuer sind, ist eine Beratung durch unabhängige Profis so wichtig“, so Müller.

Auch er kritisierte, dass das GEG keine neuen Maßstäbe für energieeffiziente Gebäude setze. Schärfere Anforderungen wären aber vor allem im Neubau dringend nötig. Zudem warnte Müller davor, die Kosten für den Klimaschutz einseitig auf die Verbraucher abzuwälzen.

Tatsächlich will die Bundesregierung mit dem ebenfalls am Mittwoch beschlossenen Emissionshandel für Brennstoffe (BEHG) Unternehmen finanzielle Kompensationen im Rahmen der CO2-Bepreisung anbieten. „Der vzbv lehnt es strikt ab, dass – ähnlich wie bei der EEG-Umlage – finanzielle Erleichterungen für Unternehmen von den Verbrauchern zusätzlich geschultert werden müssen.“

Beim Emissionshandel für Brennstoffe geht es um die Einführung einer CO2-Bepreisung auf Kraft- und Heizstoffe wie Benzin, Öl und Erdgas. Diese fossilen Brennstoffe sollen ab 2021 teurer werden. So will die Bundesregierung die Menschen zu einem Umstieg auf klimafreundliche Alternativen bewegen. Die Einnahmen, so der Plan, werden im Gegenzug den Menschen über Entlastungen beim Strompreis, bei der Pendlerpauschale und beim Wohngeld zurückgegeben. Das Gesetz geht nun in die parlamentarischen Beratungen.

Mehr: Die private Wohnungswirtschaft steht beim Klimaschutz in der Verantwortung, doch es braucht auch die Politik und eine kritische Öffentlichkeit.

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