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10.05.2021

08:19

CO2- und Erdgaspreise

Studie: Strompreis steigt bis 2030 um 50 Prozent

Von: Klaus Stratmann

Steigende CO2- und Erdgaspreise sorgen in den kommenden Jahren für einen massiven Anstieg der Stromgroßhandelspreise. Zu diesem Ergebnis kommt eine Prognos-Studie. Die Wirtschaft ist alarmiert.

Private Haushalte zahlen in Deutschland im europäischen Vergleich die höchsten Strompreise. Auch das Strompreisniveau für Industriekunden ist hierzulande hoch. dpa

Stromzähler

Private Haushalte zahlen in Deutschland im europäischen Vergleich die höchsten Strompreise. Auch das Strompreisniveau für Industriekunden ist hierzulande hoch.

Berlin Die Preise im Stromgroßhandel werden einer Studie des Beratungsunternehmens Prognos zufolge bis 2030 um rund 50 Prozent steigen, und zwar ohne Steuern und Abgaben von derzeit etwa vier auf sechs Cent je Kilowattstunde. Treiber des Anstiegs sind steigende CO2- und Erdgaspreise. In Auftrag gegeben hat die Studie, die dem Handelsblatt vorliegt, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW).

Der Stromgroßhandelspreis ist nicht identisch mit dem Preis für Endkunden. Er macht nur einen kleinen Teil des Endkundenpreises aus. Der Strompreis für private Haushalte liegt hierzulande bei rund 30 Cent je Kilowattstunde; der größte Teil dieser 30 Cent ist auf staatlich vorgeschriebene Abgaben, Steuern und Umlagen zurückzuführen. Deutsche Haushalte zahlen im europäischen Vergleich seit Jahren die höchsten Strompreise.

Für Großverbraucher aus der Industrie gibt es unter bestimmten Voraussetzungen Entlastungen, etwa bei den Netzentgelten, bei der Stromsteuer oder bei der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dennoch ist das Stromeisniveau auch für die Industrie in Deutschland im weltweiten und im europäischen Vergleich hoch.

Ein Beispiel: Schwedische Industriekunden mit einem jährlichen Stromverbrauch zwischen 20.000 bis 70.000 Megawattstunden zahlten im vergangenen Jahr rund 4,62 Cent pro Kilowattstunde Strom. Bei derselben verbrauchten Menge war der Preis für deutsche Industriekunden mit 12,06 Cent pro Kilowattstunde deutlich höher.

In vielen Branchen ist die Höhe des Strompreises ein entscheidender Standortfaktor. Schon minimale Steigerungen schlagen massiv auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit durch.

Strompreis als Standortfaktor für die Industrie

Der VBW warnt daher vor gravierenden Folgen eines Strompreisanstiegs. „Wenn in Deutschland nicht gegengesteuert wird, drohen zwangsläufig Betriebsschließungen und Standortverlagerungen“, sagte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt dem Handelsblatt. Dauerhaft niedrige Industriestrompreise seien die Voraussetzung für einen wettbewerbsfähigen Standort und für die Transformation zu einer CO2-neutralen Industrie.

Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist aus Sicht des VBW ein Industriestrompreis von unter vier Cent erforderlich. Um das Strompreisniveau zu dämpfen, sei ein ambitionierter Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlich. „Wir brauchen die Erneuerbaren für niedrige Strompreise. Industrieinteressen und Klimaschutz wachsen zusammen“, sagte Brossardt.

In der Wirtschaft wird die Forderung erhoben, einen „europäischen Industriestrompreis“ zu etablieren, der den Unternehmen über Jahre Planungssicherheit gibt. In der Politik gibt es allerdings Vorbehalte, insbesondere mit Blick auf das europäische Beihilferecht.

Neue Klimaziele erhöhen den Druck

Die Prognos-Experten haben in ihrer Strompreisprognose das neue EU-Klimaziel berücksichtigt. Die EU-Staaten hatten kürzlich beschlossen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Zuvor galt ein Wert von 40 Prozent. Die Bundesregierung hat auf diesen Beschluss reagiert, indem sie das deutsche Minderungsziel für 2030 von 55 auf 65 Prozent erhöht hat. Das Bundeskabinett will kurzfristig eine entsprechende Änderung des Klimaschutzgesetzes verabschieden.

Die Zielverschärfung hat auch spürbare Auswirkungen auf die einzelnen Sektoren. So soll der Energiesektor 2030 nur noch 108 Millionen Tonnen CO2 emittieren dürfen, bislang betrug der Wert 175 Millionen Tonnen.

Die Zielverschärfung wird sich im Europäischen Emissionshandelssystem niederschlagen. Die EU-Kommission erarbeitet derzeit die entsprechenden Pläne.

Stromverbrauch wird massiv steigen

Prognos geht davon aus, dass die Steigerung des Zielniveaus im Klimaschutz die Stromnachfrage massiv erhöht. Treiber sind die Elektromobilität, der Einsatz elektrischer Wärmepumpen im Gebäudesektor und die Produktion von grünem Wasserstoff. Weite Teile der Industrie sind dringend auf grünen Wasserstoff angewiesen, um Prozesse klimaneutral zu gestalten, die derzeit noch auf dem Einsatz von Kohle, Öl und Erdgas basieren.

Zusätzlich steigt der Wasserstoffbedarf, weil die gesicherte Leistung von Kraftwerken, die mit Erdgas und Kohle betrieben werden, schrittweise wegfällt; dafür kommen mehr und mehr Kraftwerke zum Einsatz, die mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden. Für eine Übergangsphase bis Ende des Jahrzehnts dürften aber nach einhelliger Einschätzung von Fachleuten Kraftwerke, die mit Erdgas betrieben werden, zunächst noch eine wachsende Bedeutung bekommen. Das liegt daran, dass klimaneutraler Wasserstoff auf mittlere Sicht noch nicht in größeren Mengen verfügbar ist.

In ihren Berechnungen gehen die Prognos-Experten davon aus, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung 2030 rund 72 Prozent beträgt, nach 2030 zunehmend Wasserstoff zur Stromerzeugung eingesetzt wird und der Kohleausstieg 2034 erfolgt.

Gesetzlich vorgesehenes Ende der Kohleverstromung ist zwar erst das Jahr 2038. Angesichts stark steigender Preise im Emissionshandel gehen viele Fachleute aber davon aus, dass Kohlekraftwerke deutlich früher aus dem Markt gehen. Teile der Politik fordern, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen.

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