In Deutschland wähnen sich Maßnahmen-Gegner schon in einer „Corona-Diktatur“. Ein Blick auf andere Länder zeigt, wie Staatschefs die vergangenen zwei Jahre für ihre Zwecke ausgenutzt haben.
Polizei-Sicherung bei Corona-Demo
In vielen deutschen Städten gehen „Querdenker“ auf die Straße, um gegen Impfungen und Corona-Regeln zu demonstrieren. Die Polizei sichert mit erhöhten Aufgebot die Veranstaltungen.
Bild: imago images/Marc John
Sie wähnen sich im Widerstand. In vielen deutschen Städten gehen „Querdenker“ auf die Straße, um gegen Impfungen und Corona-Regeln zu demonstrieren. Manche schrecken dabei nicht vor Gewalt zurück – wie diese Woche in Bautzen, wo bei einer Demonstration zehn Polizisten durch Flaschenwürfe und Böller verletzt wurden.
Viele „Querdenker“ glauben, die Bundesrepublik verkomme zur „Corona-Diktatur“, der Infektionsschutz werde für die schleichende Abschaffung der Demokratie genutzt. Das stimmt natürlich nicht. Die Gerichte arbeiten in der Pandemie weiter unabhängig, der Bundestag kontrolliert die Regierung, der Rechtsstaat funktioniert.
Um einschätzen zu können, wie eine Diktatur wirklich aussieht, könnte den „Querdenkern“ ein Blick ins Ausland helfen. Viele Regierungen haben das Jahr 2021 dafür genutzt, um ihre Macht am eigenen Volk vorbei auszubauen. Meist waren es Regime, die schon vor der Pandemie autokratisch aufgetreten sind. Nun sind sie noch weiter gegangen.
Die Regierungen Lateinamerikas reagierten völlig unterschiedlich auf die Pandemie. Brasiliens ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro leugnete die Gefahr ebenso wie der linke nicaraguanische Diktator Daniel Ortega. Demgegenüber machte das kommunistische Regime Kubas eine vorbildliche Kampagne zur Eindämmung der Pandemie. Und im rechts-konservativ regierten Chile wurde ebenso ernsthaft wie im links-peronistischen Argentinien versucht, das Virus zu bekämpfen – während Mexiko unter dem Linkspopulisten López Obrador wiederum eine völlig wirre Politik verfolgte.
Heraus sticht allerdings Venezuela, das von katastrophalen wirtschaftlichen Zuständen und der Repression durch das sozialistische Regime von Präsident Nicolás Maduro geplagt wird. Der ließ den Ausnahmezustand zur Virusbekämpfung verhängen. Unter dessen Deckmantel wurden politische Gegner verhaftet, darunter Journalisten, Abgeordnete und Angestellte aus dem Gesundheitsbereich, die den Umgang mit der Pandemie kritisierten.
Auch Demonstranten, die gegen den fehlenden Zugang zu Wasser und Medikamenten protestierten, wurden festgenommen. Die Menschenrechtsorganisation „Foro Penal“ verzeichnete mit Beginn der Pandemie einen drastischen Anstieg der politisch motivierten Verhaftungen. Gleichzeitig verbreitete Maduro Verschwörungstheorien über das Virus, etwa dass es als Waffe gegen China entwickelt worden sei.
Viele der rund sechs Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner, die wegen der Wirtschaftslage aus dem Land geflohen waren, wollten in der Pandemie zurückkehren. Die Regierung drangsalierte sie an der Grenze und beschimpfte sie als „Bioterroristen“, die für den Anstieg der Covid-19-Fälle verantwortlich seien. Venezuela verimpft einzig Stoffe aus Bruderländern: Sputnik-V aus Russland, Sinovac und Sinopharm aus China und Abdala aus Kuba. Dem Gesetz zufolge sind alle Einwohner zur Impfung verpflichtet. Doch dazu fehlt es an ausreichend Impfdosen.
Ein Land in Isolation war Nordkorea schon vor Corona. Nicht nur steht der asiatische Staat wegen seines Atomprogramms unter UN-Sanktionen. Das kommunistische Regime schottet die Bevölkerung auch ab, Internetzugang oder Telefonverbindungen ins Ausland gibt es so gut wie gar nicht. In der Coronapandemie hat Diktator Kim Jong-Un die Isolation verschärft. Dass nicht einmal eine nordkoreanische Mannschaft zu den Olympischen Spielen reiste (das erste Mal seit 1988), war wohl Teil von Kims Strategie der totalen Abschottung.
Zeitweise verschwand Kim länger aus der Öffentlichkeit und tauchte mit deutlich weniger Gewicht wieder auf, weshalb es im Ausland Spekulationen um eine Krankheit oder Corona-Infektion gab.
Kim Jong Un
Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un feierte im Dezember sein zehnjähriges Amtsjubiläum.
Bild: via REUTERS
Der junge Diktator ist jetzt seit zehn Jahren im Amt. Als der damals 27-Jährige im Dezember 2011 als „oberster Führer“ auf seinen verstorbenen Vater Kim Jong-Il folgte, keimte kurz die Hoffnung auf, er könne Nordkorea etwas öffnen. Tatsächlich stieß er einige Reformen an. Im vergangenen Jahr entschuldigte er sich dann jedoch tränenreich im Staatsfernsehen, dass es ihm nicht gelungen sei, die Lebenssituation im Land zu verbessern.
„Die Zahl der Obdachlosen steigt“, sagte der UN-Sonderberichterstatter für Nordkorea, Tomas Ojea Quintana, im Oktober. Viele hätten „weder Einkommen noch einen Job oder Essen, um zu überleben“. Obwohl kaum ein Flecken Land brach liegt, hungert fast die Hälfte der Bevölkerung. Kim hingegen findet immer neue Wege, um sich an UN-Sanktionen vorbei mit Luxusgütern einzudecken.
Mit der Ausbreitung des Coronavirus starb die letzte Hoffnung auf Besserung. Wie stark Covid-19 im Land wütet, lässt sich kaum abschätzen. Die Behauptung des Regimes, das Land sei coronafrei, ist Propaganda. Die Regierung kontrolliert sämtliche Informationen. Die meisten ausländischen Diplomaten und Vertreter von Hilfsorganisationen haben das Land verlassen.
Die in der Pandemie ausgebauten Grenzkontrollen, samt Stacheldraht und Schießbefehl, brachten nicht nur den Schmuggel von Waren aus dem benachbarten China nahezu zum Erliegen, sondern schnitten auch die wenigen Fluchtwege ab. Normalerweise gelingt laut südkoreanischer Regierung rund 1000 Nordkoreanern pro Jahr die Flucht über China in den Süden. Im ersten Corona-Jahr waren es knapp 230. Im zweiten Quartal dieses Jahres wurden nur zwei registriert. Die Gesamtzahlen 2021 stehen noch aus.
Das kleine ostafrikanische Land Uganda hält einen traurigen Weltrekord: Mehr als 80 Wochen waren dort wegen der Pandemie die Schulen geschlossen. Kein anderer Staat hat einen längeren Bildungslockdown verhängt. Im Januar, so kündigte Ugandas Präsident Yoweri Museveni kürzlich an, sollen die 15 Millionen Schülerinnen und Schüler in den Unterricht zurückkehren.
Dass sich der Staat fast zwei Jahre lang faktisch aus der Verantwortung für das Bildungssystem gestohlen hat, hat für die jungen Menschen in Uganda verheerende Folgen. Für viele ist es das Ende ihrer Bildungslaufbahn. Viele Kinder wurden von ihren Eltern zum Arbeiten geschickt – als Straßenhändler, in der Landwirtschaft oder im Bergbau.
Für sie besteht genauso wenig Aussicht auf Rückkehr in die Schule wie für Mädchen, die in den Zwangsferien schwanger wurden. Laut Unicef ist die Zahl der Teenager-Schwangerschaften um ein Viertel gestiegen.
Was Todes- und Infektionsfälle angeht, sind die 46 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Uganda bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen. Etwas mehr als 3000 Tote gab es bisher und rund 100.000 Infizierte. Zugleich sind die politischen Folgen der Krise gravierend. Von Anfang an nutzte Langzeitpräsident Museveni – er regiert seit 1986 – den Infektionsschutz als Vorwand, um seine Macht zu festigen. So ließ er Veranstaltungen der Opposition mit Tränengas und Schlagstöcken auseinandertreiben. Bei seinen Anhängern nimmt er es mit Abstandsregeln und Maskenpflicht nicht so genau.
Willkürliche Verhaftungen und Polizeigewalt sind häufig. Besonders auf seinen Erzfeind Robert Kyagulanyi Ssentamu, besser bekannt als Bobi Wine, hat es Museveni abgesehen. Der populäre Musiker und Parlamentsabgeordnete hatte den Präsidenten in der Wahl im Januar 2021 herausgefordert – Museveni ließ ihn unter Hausarrest stellen.
Der Präsident gewann die Wahl, wenig überraschend, Wine sprach vom „schlimmsten Betrug, den das Land je erlebt hat“. Seither setzen die beiden Rivalen ihren Kampf fort: Museveni nutzt die Macht des Staatsapparats, Wine die Macht seiner Popularität. In seinem jüngsten Protestsong warnt der Popstar den Präsidenten. „Du wirst stürzen“, singt er. „Die Macht des Volks wird dich aus dem Amt jagen.“
Die Demokratiebewegung in Hongkong ist gegenwärtig so gut wie zerschlagen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes – und Covid-19. Die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone verfolgt mittels strenger Quarantäne-Regeln eine No-Covid-Strategie, die mit nur 213 Todesfällen bei 7,6 Millionen Einwohnern sehr erfolgreich ist. Zum Vergleich: Berlin hat mit 3,6 Millionen Einwohnern rund 4000 Tote zu beklagen.
Doch die prochinesische Regierung um Verwaltungschefin Carrie Lam nutzt die Bedrohung durch das Virus eben auch, um gegen demokratische Aktivisten und die politische Opposition vorzugehen. So wurde die eigentlich für September 2020 vorgesehene halbdemokratische Wahl zum Hongkonger Stadtparlament wegen der Coronapandemie verschoben. Zu diesem Zeitpunkt sahen Prognosen viele oppositionelle Kandidaten vorne, weshalb die Demokraten politische Gründe hinter der Verschiebung der Wahl vermuteten.
Carrie Lam
Die prochinesische Regierung um Verwaltungschefin Carrie Lam nutzt die Bedrohung durch das Virus, um gegen demokratische Aktivisten und die politische Opposition vorzugehen.
Bild: AP
Tatsächlich änderte die von Peking unterstützte Stadtregierung in der Zwischenzeit das Wahlrecht und ließ für die Abstimmung Ende Dezember 2021 nur noch „nationale Patrioten“ als Kandidaten zu. Die gewannen dann auch – bei sehr niedriger Wahlbeteiligung. Wegen Covid sind auch sämtliche Versammlungen und Demonstrationen der Opposition verboten. Sogar die jährliche Gedenkfeier für die Opfer des Tiananmen-Massakers in Peking 1989 wurde untersagt. Jene prominenten Demokratie-Aktivisten, die sich am 4. Juni 2020 für eine Pressekonferenz am Gedenkort im Victoria Park eingefunden hatten, wurden später zu vier bis 14 Monaten Gefängnis verurteilt, darunter der prominente Medienunternehmer Jimmy Lai.
„Wir dürfen uns nicht täuschen lassen, dass es hier nur um Covid-19 geht“, sagte die ebenfalls verurteilte Politikerin Chow Hang-Tung vor Gericht. „Was hier passiert, ist ein weiterer Schritt zur systematischen Ausradierung der Geschichte, nämlich des Tiananmen-Massakers und von Hongkongs eigener Geschichte des bürgerlichen Widerstands.“
Ausländische Besucher sind in Myanmar zurzeit unerwünscht – zumindest von der Regierung. Einreisegenehmigungen erteilt das asiatische Land nur in Einzelfällen. Was auf den ersten Blick wie eine strenge Maßnahme gegen das Coronavirus wirkt, hat andere Gründe. Die Militärregierung will offenbar verhindern, dass es internationale Zeugen der schweren Verbrechen im Land gibt. So ließ das Regime in diesem Monat das Büro der UN-Sondergesandten für Myanmar schließen. Erst vergangene Woche haben Hilfsorganisationen 35 verbrannte Leichen von Zivilisten entdeckt – Augenzeugen zufolge Opfer des Militärs.
Myanmar
Mitarbeiter übergeben von China an Myanmar gespendete Corona-Impfstoffe des chinesischen Herstellers Sinovac am Internationalen Flughafen Yangon.
Bild: dpa
Am 1. Februar hat die Junta um General Min Aung Hlaing die Macht an sich gerissen. Doch offenbar hat er die Widerstandsbereitschaft der jungen Leute unterschätzt. Sie hat es nicht eingeschüchtert, dass die lange als Demokratieikone verehrte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi eingesperrt und inzwischen wegen dubioser Vorwürfe verurteilt wurde.
Die Gefangenenhilfsorganisation AAP meldete am 21. Dezember 1351 Getötete und 11.101 willkürlich Verhaftete seit dem Putsch. 36 Menschen erhielten Todesurteile, zwei davon Kinder. Reporter ohne Grenzen zählte in diesem Jahr 53 inhaftierte Journalisten. 2020 waren es zwei. „Ich kann gar nicht mehr weinen, der Schmerz ist unendlich“, sagte Nyein Chan May dem „Tagesspiegel". Die Studentin unterstützt mit „German Solidarity with Myanmar Democracy“ ihre Freunde daheim.
Schneller als von vielen erwartet haben sich Studenten, die vorher ruhig bei den Eltern lebten, im Dschungel für den Kampf ausbilden lassen, nachdem so viele Demonstrationen niedergeschlagen worden waren. Die Junta geht längst nicht mehr nur gegen ethnische Milizen vor, die seit Jahren gegen das Militär kämpfen. Sie brennen auch ganze Dörfer jenseits der Kampfzonen nieder, um die Menschen gefügig zu machen. Aung Hlaing forderte sogar Suu Kyi auf, sie solle die jungen Leute zurückpfeifen.
Doch für viele ist die 76-Jährige eine Politikerin der Vergangenheit. Sie wollen für die Demokratie kämpfen, auch wenn es ihr Leben kostet. Andere hoffen auf die internationale Gemeinschaft – und auch auf die neue Bundesregierung. Von der fordern sie scharfe Sanktionen und politischen Druck auf Myanmars Militärjunta.
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