Der Ampelkoalition fehlt eine Mehrheit für die allgemeine Impfpflicht. Stimmen aus der Union sollen das Vorhaben retten. Doch die gibt sich wenig optimistisch.
Olaf Scholz und Friedrich Merz
Der Bundeskanzler hofft auf eine „Große Koalition“ für die Impfpflicht.
Bild: dpa
Berlin Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt auf eine Einigung mit CDU und CSU, um doch noch ein Gesetz für eine allgemeine Impfflicht erfolgreich durch den Bundestag zu bringen. Wie das Handelsblatt aus Kreisen der Unionsfraktion erfuhr, hat die SPD um ein Gespräch mit der Unionsfraktion gebeten. „Der Kanzler will eine Einigung“, hieß es.
Nach Informationen des Handelsblatts soll das Gespräch frühestens nächste Woche Mittwoch stattfinden. Als Verhandlungsteam hat der Fraktionsvorstand der Union den parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, benannt sowie den für Gesundheitspolitik in der Fraktion verantwortlichen Sepp Müller. Wie es hieß, sind Grüne und FDP nicht zu dem Gespräch eingeladen. „Scholz hofft auf eine Große Koalition für die Impfpflicht“, hieß es.
„Es stimmt, dass es Gesprächskontakte gibt und wir uns Gesprächen auch nicht verschließen“, bestätigte Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Mit Blick auf die Erfolgsaussichten sagte er: „Allerdings bin ich da nicht optimistisch.“ So wolle die „Gruppe Scholz“ an einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 festhalten. „Auf dieser Basis wird es sicher keine Verständigung geben.“
Frei betonte, die Union habe mit ihrem Antrag für ein Impfvorsorgegesetz „einen klassischen Kompromissvorschlag vorgelegt“. Dieser sieht unter anderem ein Impfregister vor und, eine Impfpflicht vom Infektionsgeschehen für bestimmte Altersgruppen abhängig zu machen. Dies sei die Grundlage für Gespräche. „Eine allgemeine Impfpflicht, wie sie Bundeskanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach vorschlagen, halte ich jedoch für politisch falsch und rechtlich unzulässig.“ Das Bundesverfassungsgericht habe klar festgelegt, dass nur die Lage des Gesundheitswesens und der kritischen Infrastruktur harte Grundrechtseingriffe rechtfertigen könne. „Von einer Überlastung kann derzeit aber nicht die Rede sein.“
Auch der Bundestagsabgeordnete Patrick Schnieder (CDU) hält die Impflicht für rechtlich nicht umsetzbar. „Das war auch die überwiegende Auffassung der geladenen Verfassungsrechtler bei der Anhörung im Ausschuss.“ Zwar gebe es viele Infektionen, das Gesundheitssystem sei aber nicht überlastet. Auch habe die Ampelkoalition vergangene Woche im Bundestag alle Schutzmaßnahmen weitgehend gestrichen. „Auf der einen Seite nahezu alle Maßnahmen abschaffen und auf der anderen Seite das schärfste Schwert zur Bekämpfung der Pandemie einführen, das passt nicht zusammen.“
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist deswegen völlig offen. Ein Vorschlag liege mit dem Unions-Antrag längst auf dem Tisch, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (CDU). Die Konzepte lägen aber „in zentralen Punkten auseinander“. Als Beispiel nennt er die nötige Datengrundlage und dass die Impfpflicht nicht „auf Vorrat“ beschlossen werden könne. „Eine allgemeine Impfpflicht wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern“, sagte Sorge.
Der Grund für die Initiative des Kanzlers ist, dass sich im Bundestag derzeit keine Mehrheit für einen der Vorstöße abzeichnet. Jener für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren hat derzeit 220 Unterstützer, der Vorschlag für eine Impfpflicht ab 50 Jahren kommt auf rund 40 Unterstützer. Hinter den Antrag der Union hat sich die Fraktion mit 197 Mitgliedern fast einstimmig versammelt. Nötig sind 369 Stimmen für eine absolute Mehrheit. Ohne die Stimmen der Union, heißt es aus der Ampel, sei die allgemeine Impfpflicht gescheitert. Eine Abstimmung im Parlament ist im April geplant.
Olaf Scholz
Der Bundeskanzler hofft auf eine „Große Koalition“ für die Impfpflicht.
Bild: IMAGO/Christian Spicker
Die Debatte erreiche nun die „Zielgerade“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt. „Die drei in einigen Punkten noch unterschiedlichen Vorschläge gilt es nun mit dem Ziel zusammenzuführen, einen nachhaltigen und wirksamen Schutz für unsere Bevölkerung zu erreichen“, sagte sie. Sie halte es daher für geboten, dass die Unterstützer der anderen Vorlagen für eine Impfpflicht wie die Union „dafür das konstruktive Gespräch suchen und eine gemeinsamen Lösung erarbeiten“. Sie entnehme zumindest aus Teilen der Union ein „ernsthaftes Interesse“ dafür.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, nennt die Union das „Zünglein an der Waage“. Die Chancen stünden etwa fünfzig zu fünfzig, dass die Impfpflicht kommt. Ullmann ist Initiator eines Antrags für eine allgemeine Impfpflicht ab 50 Jahren. Diese „könnte ein auch für die CDU tragbarer Kompromiss gegenüber der Impfpflicht ab 18 oder gar keiner Lösung sein“. Ausgeschlossen sei, dass sich seine Gruppe in Richtung einer Impfpflicht ab 18 bewege.
Experten sehen eine hohe Impfquote weiterhin als das wichtigste Instrument im Kampf gegen die Pandemie an. Die Impfquote ist in Deutschland – vor allem in älteren Bevölkerungsschichten – niedriger als in anderen europäischen Ländern wie etwa England oder Dänemark, die bereits seit geraumer Zeit auf fast alle Maßnahmen verzichten. „Wenn es die Politik nicht schafft, im Mai eine Impfnachweispflicht einzuführen, kommen im Herbst wieder erhebliche Belastungen auf unser Gesundheitswesen zu“, warnt deswegen die Vorsitzende des Marburger Bunds, Susanne Johna.
Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres könne sie sich schwer vorstellen, dass eine Aufklärungskampagne allein die notwendige Wirkung erziele. „Ich fürchte, ohne eine allgemeine Nachweispflicht kommen wir einfach nicht weiter und riskieren zusätzliche Belastungen, die schlichtweg vermeidbar sind.“ Sie appelliert an die Abgeordneten des Bundestags, „bei ihrer Entscheidung auch das Personal im Gesundheitswesen im Blick zu behalten“. Die vergangenen zwei Jahre seien für viele Pflegende und viele Ärztinnen und Ärzte ein Belastungsmarathon gewesen. „Sie haben ihren Beitrag zur Sicherstellung der Versorgung geleistet, jetzt ist die Politik gefragt, ihren Beitrag zu leisten.“
Selbst die als vergleichsweise mild eingestufte Omikron-Variante führe gerade zu enormen Belastungen der Normalstationen und der Arztpraxen. Zuletzt gab die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) an, dass laut einer Umfrage 75 Prozent der Krankenhäuser ihr Angebot einschränken müssten. „Wir sprechen uns für eine allgemeine Impfpflicht aus, damit wir auch im kommenden Herbst nicht wieder vor der Gefahr einer zu starken Belastung des Gesundheitssystems stehen und erneut in Lockdowns gehen müssen“, sagte DKG-Chef Gerald Gaß.
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