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28.03.2021

22:37

Corona-Politik

Rufe nach hartem Oster-Lockdown werden lauter – Merkel lehnt neuen Corona-Gipfel ab

Von: Dietmar Neuerer, Daniel Delhaes

In der Corona-Debatte mehren sich Forderungen nach einer Rücknahme der Lockerungen. Die Arbeitgeber zeigen sich offen für einen temporären harten Lockdown. Auch die Kanzlerin schaltet sich ein.

Einige Politiker fordern einen harten Lockdown über Ostern. dpa

Lockdown

Einige Politiker fordern einen harten Lockdown über Ostern.

Berlin Angesichts der zurückliegenden chaotischen Woche mühen sich Politiker in Bund und Ländern, Vertrauen zurückzugewinnen. Allerdings gibt es weiterhin keine einheitliche Linie, wie auf die steigenden Infektionszahlen reagiert werden sollte, nachdem die zunächst beschlossenen sogenannten „Ruhetage“ zu Gründonnerstag und Ostersamstag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als „Fehler“ zurückgenommen worden sind.

Am Sonntagabend meldete sich Merkel zu Wort und forderte die Länder eindringlich zur Umsetzung der sogenannten Notbremse auf. Auch schärfere Maßnahmen, wie etwa Ausgangsbeschränkungen, könnten in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen ein wirksames Mittel sein, sagte Merkel in der ARD-Sendung „Anne Will“.

Die Kanzlerin sprach sich gegen eine vorgezogene Bund-Länder-Runde aus, betonte aber, sie werde nicht zuschauen, bis es 100.000 Neuinfektionen pro Tag gebe. Geplante Lockerungen wie etwa in Nordrhein-Westfalen und im Saarland seien nicht akzeptabel.

Merkel kritisierte auch Regelungen für sogenannte Modellregionen, in denen ein vermehrtes Testen nicht für die Reduktion der Infektionszahlen, sondern für weitere Öffnungsschritte eingesetzt werde. Wenn sich die Länder nicht an die Umsetzung der Anfang März vereinbarten Notbremse hielten, sei dies ein Verstoß gegen die gemeinsam getroffenen Beschlüsse.

Die CDU-Politikerin deutete zudem an, dass auch der Bund tätig werden könnte, falls die Länder die nötigen Maßnahmen nicht ergreifen sollten. Eine Möglichkeit sei, das Infektionsschutzgesetz noch einmal zu ändern, erklärte Merkel.

Zuvor hatte etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für einen Lockdown über „noch mal zehn, 14 Tage“ geworben, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stimmte dem zu und brachte eine neuerliche Ministerpräsidentenkonferenz ins Gespräch. Dagegen forderte Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) seine Kollegen auf, die beschlossene Notbremse „konsequent“ anzuwenden. „Das haben wir vereinbart, und das erfordern die dramatisch steigenden Infektionszahlen“, sagte er dem Handelsblatt.

Arbeitgeber offen für temporären harten Lockdown

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schloss sich der Forderung an. „Es braucht nicht ständig neue Gespräche“, sagt er der „Augsburger Allgemeinen“. Es sei beschlossen worden, Lockerungen ab einer Inzidenz von mehr als 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen zurückzunehmen. „Die Corona-Lage spitzt sich zu, einige Länder haben den Ernst der Lage leider noch nicht verstanden.“

Auch die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, erinnerte an die bereits Anfang März zwischen Bund und den Ländern vereinbarten „klaren Mechanismen“. „Alle vorsichtigen Öffnungsschritte müssen mit sofortiger Wirkung zurückgenommen werden, wenn die Inzidenz den Wert von 100 stabil übersteigt“, sagte Esken. „Auch die vereinbarten Modellversuche dürfen bei Inzidenzen oberhalb der kritischen Grenze von 100 nicht durchgeführt werden.“

Söder hält zudem Ausgangssperren für legitim, ebenso der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der wie Spahn einen Lockdown fordert. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) lehnt dies ab: „Ein harter Lockdown verschafft zwar kurzfristig Zeit zum Impfen, die Pandemie ist damit aber nicht überwunden.“ Wichtiger sei „schnelleres Impfen und intensiveres Testen“.

Allerdings gibt es auch in der Wirtschaft Sympathie, das gesellschaftliche Leben lieber einmal richtig herunterzufahren, als es immer wieder aufs Neue einzuschränken. „Es wäre mir lieber, wenn wir noch mal zehn Tage bundesweit in einen harten Lockdown gehen und danach überall öffnen können, anstatt über Monate keine klaren Strukturen zu haben“, sagt der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, der „Welt am Sonntag“. Die Ministerpräsidentenrunde und die Bundeskanzlerin hätten das Gefühl für die Wirtschaft verloren.

Wolf wie Althusmann lehnten die erneut diskutierte Testpflicht für Unternehmen ab. „Die meisten Industrieunternehmen testen bereits freiwillig ihre Mitarbeiter“, sagte Althusmann. „Die kleinen und mittleren Unternehmen bauen inzwischen die dafür notwendigen Strukturen auf.“ Es gebe eine gemeinsame Verantwortung: „Ich vertraue hier auf Einsicht und Eigenverantwortung. Einer staatlichen Verpflichtung bedarf es nicht.“

Appell an Eigenverantwortung der Bürger

Er wundere sich, warum er als 72-Jähriger bis heute noch keinen Impftermin erhalten habe. „Ein Lockdown würde keine Akzeptanz mehr finden“, warnte er angesichts der laufenden Debatte. Vielmehr solle jeder eigenverantwortlich Vorsicht walten lassen.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU hatte am Freitag in einem Beschluss den „Kurswechsel“ in der Corona-Politik gefordert. Anstatt allein die Inzidenzwerte zu betrachten, sollten für immune oder vollständig Geimpfte sowie Getestete alle Grundrechte so weit es geht wieder gelten.

Allerdings plädiert die MIT dafür, dass Unternehmen verpflichtend ihre Mitarbeiter testen. „Die Kosten für Tests und Organisationsaufwand sollen ihnen vom Staat anteilig erstattet werden“, heißt es in dem Beschluss.



Bund und Länder wollten die Unternehmen bereits Anfang März verpflichten, Tests für ihre Beschäftigten anzubieten. Darüber war es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft gekommen, die etliche juristische und logistische Fragen ungeklärt sahen.

BDA, BDI, DIHK und ZDH bekannten sich in einer Selbstverpflichtung zu ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und riefen ihre Mitglieder auf, Tests anzubieten. Bis allen Bürgern ein Impfangebot gemacht werden könne, wolle man die Teststrategie „mit aller Kraft“ unterstützen. „Vermehrte Tests sind eine wirksame Brücke, die mindestens bis Juni notwendig sein wird.“

Berlin prescht vor – und hält Geschäfte offen

Nun aber prescht Berlin vor. Der rot-rot-grüne Senat hatte am Samstag trotz einer hohen Inzidenzzahl von fast 140 zwar beschlossen, die Geschäfte weiter offen zu halten, weitet dafür aber die Testpflicht deutlich aus. So soll beim Shopping ab Mittwoch die Pflicht bestehen, ebenso bei Museums- und Friseurbesuchen.

Auch soll eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken kommen, obwohl sich etliche Menschen bereits mit medizinischen Masken versorgt haben. Unternehmen sollen verpflichtet werden, Mitarbeitern zweimal in der Woche Tests anzubieten. Eine Testpflicht für die Arbeitnehmer besteht indes nicht. Auch will der Senat die Pflicht zum Homeoffice auf 50 Prozent der Büroarbeitsplätze ausweiten.

Die Debatte über die Testpflicht für Unternehmen hatte auch Kanzlerin Merkel am Donnerstag befeuert. Sie erklärte wie im März bereits zu überprüfen, ob die Selbstverpflichtung der Wirtschaft erfolgreich sei. Aus ihrer Sicht sollen „in die Richtung 90 Prozent“ der Unternehmen Tests anbieten – wenn nicht, „dann werden wir mit regulatorischen Maßnahmen in der Arbeitsschutzverordnung dazu vorgehen“. Merkel kündigte eine Entscheidung für Mitte April an.

In der ARD deutete indes die Kanzlerin am Sonntagabend an, dass die Bundesregierung den Unternehmen wohl vorschreiben müsse, ihren Mitarbeitern zweimal wöchentlich Corona-Tests anzubieten. Es sehe so aus, als ob die Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht ausreichend umgesetzt werde, sagte sie. Man müsse das Testen in den Betrieben „wahrscheinlich verpflichtend“ machen.

IW-Ökonom Hüther mahnt die Regierung zu „Augenmaß und Miteinander“

Nach Ansicht von Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, gibt es eine große Testbereitschaft. Er verwies dabei auf eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, wonach knapp 50 Prozent der Firmen bereits Tests anböten oder damit begännen.

Andere Unternehmen hätten ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt oder seien vollständig vom Lockdown betroffen. „Eine Testpflicht ist deshalb zum gegebenen Zeitpunkt vor allem eine Misstrauenserklärung der Politik an die Unternehmen in ihrer Gesamtheit, für die es keine Grundlage gibt“, sagte Hüther. Er forderte die Regierenden auf, „auch in der Pandemiebekämpfung zu Augenmaß und Miteinander zurückkehren“.

Hüther wandte sich auch gegen eine Pflicht zum Homeoffice. „Das Homeoffice ist weit verbreitet, trifft allerdings mit immer längerer Dauer auf Probleme, weil Geschäftskontakte, aber auch die Unternehmenskultur darunter leiden“, sagte der IW-Chef. „Eine Pflicht zum Homeoffice gehe zudem an der Sache vorbei, zumal in Büro über die Covid19-Arbeitsschutzregeln alle relevanten Vorkehrungen getroffen sein müssen und eine Anfahrt mit Auto oder Bike risikosensibel ist.“

Der Kanzleramtschef spricht sich für härteres Vorgehen aus. Reuters

Helge Braun

Der Kanzleramtschef spricht sich für härteres Vorgehen aus.

SPD-Chefin Esken fordert, dass Länder und Kommunen nicht nur an allen Schulen und Kitas zweimal pro Woche einen Schnelltest anbieten: „Dieselbe Verpflichtung muss jetzt auch für Unternehmen und Institutionen gelten“, sagte sie. „Alle, die nicht im Homeoffice arbeiten können, müssen sich zweimal die Woche testen können.“

Außerdem verlangte Esken, dass die Bundesländer, die noch keine Ferien haben, ab sofort die Präsenzpflicht an ihren Schulen aufheben. Es sei „unverantwortlich“, Schülerinnen und Schüler „per Bußgeldandrohung in die Schule zu zwingen, die sich in der Lage sehen, dem Distanzunterricht zu folgen.“

Das Robert Koch-Institut meldete am Sonntag 17.176 Neuinfektionen. Das waren 3443 mehr als vor sieben Tagen. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 129,7. Vor einer Woche hatte sie noch bei 104 gelegen.

90 weitere Menschen starben binnen 24 Stunden an oder mit dem Virus. Damit erhöhte sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle auf 75.870. Insgesamt wurden bislang mehr als 2,77 Millionen Menschen in Deutschland positiv auf das Coronavirus getestet.

Werden die Corona-Vorschriften für die Ostertage doch noch verschärft? dpa

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