Die Forderungen der Wirtschaft nach konkreten Öffnungsperspektiven zeigen Wirkung. Wirtschaftsminister Altmaier will ein eigenes Öffnungskonzept präsentieren.
Berlin Wenige Tage vor den nächsten Corona-Beratungen von Bund und Ländern kann die Wirtschaft auf eine Öffnungsperspektive hoffen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat am Freitag nach Beratungen mit seinen Kollegen in den Bundesländern ein eigenes Öffnungskonzept angekündigt.
Er werde am Wochenende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder darüber informieren, sagte Altmaier in Berlin. Eine „unveränderte Fortführung“ der Corona-Beschränkungen könne Deutschland sich nicht leisten, betonte der Minister. Dabei gehe es nicht um die staatlichen Hilfsmittel, „hier geht es um die Substanz unserer Wirtschaft“.
Eine Öffnung der Außengastronomie hält der Minister um Ostern herum für möglich. Voraussetzung sei die Einhaltung von Hygienevorschriften. Die Verfügbarkeit von Schnelltests könne eine Öffnung der Außengastronomie noch sicherer machen. Mit Blick auf das weitere Vorgehen in der Coronakrise wollte Altmaier aber nicht von einem „Paradigmenwechsel“ sprechen. Die Strategie aber müsse angepasst und weiterentwickelt werden. Es gehe um eine Perspektive, die Mut mache.
Zwar sei der deutliche Rückgang bei der Zahl der Neuinfektionen zum Stillstand gekommen. Experten diskutierten darüber, ob und inwieweit eine neue Infektionswelle unterwegs sei. So beobachtet etwa der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, bei den Infektionszahlen „deutliche Signale einer Trendumkehr zum Schlechteren“, wie er sagte. „Wir müssen alle Maßnahmen weiter konsequent umsetzen, ansonsten steuern wir in eine dritte Welle hinein“, mahnte Wieler. Varianten des Virus breiteten sich rasch aus. Eine, nämlich die Mutante B.1.1.7, sei deutlich ansteckender und gefährlicher.
Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI binnen eines Tages 9997 Corona-Neuinfektionen, zudem wurden 394 weitere Todesfälle verzeichnet, wie aus den Zahlen vom Freitag hervorgeht. Vor genau einer Woche waren es 9113 Neuinfektionen und 508 neue Todesfälle.
Die unsichere Lage zeigt das Dilemma, in der die Politik steckt. Viele Unternehmen seien innerhalb von zwölf Monaten nun schon seit insgesamt sechs Monaten geschlossen, sagte Altmaier. Es gehe um eine Perspektive und um Planbarkeit. Gesundheitsschutz und vorsichtige, aber konsequente Öffnungen müssten miteinander verbunden werden.
Mehr als 40 Wirtschaftsverbände hatten Öffnungskonzepte an Altmaier übersandt. Das Ministerium hatte daraufhin eine „Gesprächsgrundlage“ für Beratungen der Wirtschaftsminister von Bund und Ländern“ erstellt. In der Vorlage wurden wesentliche Feststellungen und Vorschläge für Öffnungen verschiedener Wirtschaftsverbände zusammengefasst. Konkrete Vorschläge, wie die Wirtschaft trotz Pandemie wieder geöffnet werden kann, macht Altmaier in dem Papier nicht.
„Die lange Dauer des derzeitigen Lockdowns hat erhebliche Auswirkungen auf betroffene Unternehmen und führt teilweise zu einer drastischen Verschärfung ihrer wirtschaftlichen Lage“, heißt es in dem Papier. Dies führe in vielen Fällen zu einer „Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz und zu der Gefahr eines längerfristigen Substanzverlustes der deutschen Volkswirtschaft“. Konkret werden Arbeitsplatzverluste, Insolvenzen, weniger Ausbildungsplätze, eine rückläufige Zahl von Neugründungen sowie ein Attraktivitätsverlust vieler Innenstädte als Folgen genannt.
Das heutige Bund-Länder-Treffen schloss an den Wirtschaftsgipfel vor zehn Tagen an, zu dem Altmaier Vertreter von mehr als 40 Verbänden geladen hatte. Als Ziel war ausgegeben worden, bis zu den nächsten Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder am kommenden Mittwoch eine Öffnungsstrategie zu erarbeiten. Der wochenlange Lockdown mit der Schließung etwa der Gastronomie und vieler Einzelhandelsgeschäfte war zuletzt noch einmal bis zum 7. März verlängert worden.
Am Freitag sagte Altmaier, dass er den Betrieb der Außengastronomie bald wieder für möglich halte. Das sei gegen Ostern vermutlich drin, so der CDU-Politiker.
Die Verbände halten laut dem Papier des Wirtschaftsministeriums eine „klare und planbare Perspektive für die Öffnung der geschlossenen Unternehmen für notwendig“. Darauf pocht auch der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Am Anfang war die Corona-Politik gut strukturiert und klar. Was jetzt fehlt, sind eine klare Vision und ein klares Ziel“, sagte Wolf.
Die Menschen brauchten eine Perspektive, die Beschäftigten wollten mal wieder aus dem Homeoffice in die Firma, wollten Kontakt zu Kollegen. „Das soziale Element ist nicht zu unterschätzen“, betonte Wolf, der auch Chef des Autozulieferers Elring-Klinger ist.
Eine gestaffelte Öffnung je nach Inzidenzwert hält der Gesamtmetall-Chef für problematisch: „Nehmen wir an, Reutlingen hat eine Inzidenz von 70 und Tübingen von 25, und Tübingen macht die Geschäfte auf. Wie wollen Sie dann verhindern, dass die Reutlinger die 15 Kilometer nach Tübingen zum Einkaufen fahren? Wir brauchen eine klare Linie.“
Eine Messung der bundesweiten Infektionsfälle sage zu wenig aus, geben die Verbände laut dem Altmaier-Papier zudem zu bedenken. „Deutlich oberhalb einer Inzidenz von 50 Infektionen je 100.000 Einwohner eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt werden weitreichende zusätzliche Lockerungen kaum befürwortet beziehungsweise für möglich gehalten. Umgekehrt wird das Erreichen einer (bundesweiten oder regionalen) Inzidenz von 35 oder darunter dann nicht für unbedingt erforderlich gehalten, wenn ausreichende Sicherheitsvorkehrungen gegen eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus getroffen sind.“
Die große Mehrheit der Verbände spreche sich überdies für ein branchenübergreifendes Öffnungskonzept aus, heißt es in dem Papier weiter. Damit solle verhindert werden, dass einzelne Bereiche benachteiligt würden. Schnelltests müssten zudem eine wichtige Rolle spielen, um Öffnungen zu ermöglichen. Ein Flickenteppich sei zu vermeiden. „Die Umsetzung des gemeinsamen Rahmens soll stärker länder- und regionalspezifisch erfolgen.“
Außerdem weisen mehrere Verbände laut Papier ausdrücklich darauf hin, dass Aktivitäten bei gutem Wetter im Freien in der Regel mit einem deutlich geringeren Infektionsrisiko verbunden seien. „Daraus ergeben sich Öffnungsperspektiven für gastronomische Betriebe mit Außenbereich.“
Zur Öffnungsdiskussion gehöre auch eine vernünftige Impfstrategie „und dass man genug Impfstoff beschafft, was leider versäumt wurde“, sagte Gesamtmetall-Chef Wolf. Auch massenhafte Schnelltests sollten, wie vom Gesundheitsminister bereits angekündigt, jetzt auch wirklich kommen.
„Hier können auch die Unternehmen etwas beitragen. Bei Elring-Klinger schicken wir jeden Tag ein Testmobil für die Mitarbeiter zu einem der Standorte. Das kostet uns zwar viel Geld, aber schafft bei unseren Beschäftigten Sicherheit und Vertrauen.“
Die Mitwirkung der Wirtschaft kommt auch in dem Papier von Altmaier zum Ausdruck. Unternehmen und ihren Verbänden sei bereits bei der Durchführung von Schnelltests und der Umsetzung von Sicherheitskonzepten zu helfen. Sie „bitten ihrerseits darum, die lokale bzw. regionale Wirtschaft bei der Erarbeitung der Konzepte und Strategien eng zu beteiligen und unterschiedliche Gegebenheiten ausreichend zur berücksichtigen (z. B. Unternehmensgröße, Lage im innerstädtischen Einkaufsbereich oder außerhalb in Gewerbe- und Einkaufszentren)“, heißt es in dem Papier.
Ein konkretes Hilfsangebot kommt vom Chemiearbeitgeberverband BAVC: Da Impfungen der Schlüssel für weitere Lockerungen seien, sollten Betriebsärzte und betriebliche Gesundheitsdienste so früh wie möglich in die Impfstrategie einbezogen werden, schreibt BAVC-Präsident Kai Beckmann in einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der dem Handelsblatt vorliegt.
Noch gebe es zu wenig Impfstoff, aber das sei wahrscheinlich im April schon anders. Nach Berechnungen des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung könnten dann bis zu drei Millionen Menschen wöchentlich nur deshalb nicht geimpft werden, weil die Kapazitäten der Impfzentren nicht ausreichten, so Beckmann.
Gewerbetreibende in Freiberg fordern Öffnungsschritte
Die Lage ist für viele Branchen inzwischen bedrohlich, wie auch ein Papier des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt.
Bild: dpa
Eine Umfrage unter den BAVC-Mitgliedsunternehmen habe ergeben, dass diese – je nach Größe – bis zu 2000 Impfungen täglich vornehmen könnten. Sie könnten also, sobald es die Priorisierung zulässt, ihre Belegschaften und auch Personal anderer Firmen schnell impfen.
Dazu seien aber zuvor noch Fragen zu klären, etwa wer die Kosten trage und wie die Abrechnung erfolge, wie die Meldung durchgeführter Impfungen erfolge oder wie Haftungsfragen geregelt seien. „Wir möchten zur Klärung dieser Punkte gerne rechtzeitig in einen konstruktiven Dialog eintreten“, schreibt Beckmann in dem Brief an Spahn.
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) plädierte dafür, statt die Kontakte pauschal zu reduzieren, über Tests Spielräume für die wirtschaftlich und sozial notwendigen Öffnungen zu erarbeiten. Dafür werde aber dringend eine nationale Teststrategie und eine flächendeckend wirksame Nachverfolgbarkeit benötigt. „Mit ihrer Hilfe können wir eine Brücke bauen, bis die Impfungen weit genug fortgeschritten sind“, sagte der FDP-Politiker.
Aus der FDP kam auch Kritik an Wirtschaftsminister Altmaier, weil er selbst keine Vorschläge für eine Öffnungsstrategie präsentiert. „Ankündigungsminister Altmaier steht den 40 Wirtschaftsverbänden und der Wirtschaft insgesamt gegenüber im Wort und muss konkrete Vorschläge für das Treffen in der kommenden Woche vorlegen und durchsetzen“, sagte Fraktionsvize Michael Theurer dem Handelsblatt.
„Sein Versagen bei den Corona-Hilfen und sein Spielen auf Zeit vernichten jeden Tag Unternehmen und Arbeitsplätze.“ Jetzt seien Lösungen und keine „billigen Taschenspielertricks“ gefragt. „Herr Altmaier muss liefern“, betonte Theurer.
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