Beim europäischen Datenprojekt ist Ernüchterung eingekehrt – Verzögerungen und Richtungsstreits machen dem Vorhaben zu schaffen. In diesen Tagen treffen sich Vertreter der Initiative in Mailand.
Computer-Hardware
Wer darf die europäischen Daten in Zukunft speichern und unter welchen Regeln?
Bild: imago images / Westend61
Berlin, Düsseldorf Das Motto des zweiten Gipfeltreffens zum europäischen Datenprojekt Gaia-X ist als Ansage zu verstehen. „Here to deliver“ (zu Deutsch „Hier, um zu liefern“), verspricht der Kongress, der am Donnerstag und Freitag in Mailand stattfindet. Auch der geschäftsführende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und sein französischer Amtskollege Bruno le Maire werden an dem Meeting teilnehmen.
Doch der markige Spruch kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass langsam Ernüchterung in das Megaprojekt einkehrt. Die Berichte über unklare Ziele und überbordende bürokratische Strukturen häufen sich – bisher gibt es entgegen ursprünglichen Ankündigungen noch keine konkreten Anwendungsbeispiele.
Vor allem aber macht sich immer mehr der Konflikt darüber bemerkbar, wie das europäische Vorzeigeprojekt mit den amerikanischen und asiatischen Tech-Giganten umgehen soll. Mit einbinden oder außen vor lassen? Die Frage droht Gaia-X zu spalten.
Beim Gipfeltreffen in Mailand hatte allein die Tatsache, dass die asiatischen Tech-Konzerne Huawei und Alibaba als Mitsponsoren auftraten, laut „Politico“ zu Protest innerhalb der Initiative geführt.
Dabei war das vor allem von Deutschland und Frankreich initiierte Großprojekt mit großen Ambitionen gestartet. Man wolle ein offenes, transparentes und sicheres digitales Ökosystem schaffen, in dem Daten und Dienstleistungen in einer vertrauensvollen Umgebung geteilt werden könnten, hieß es zu Beginn des Projekts 2019.
Kurzgefasst: Gaia-X wollte in Europa die Souveränität über die eigenen Daten wiederherstellen. Denn derzeit sehen sich die Unternehmen aus Mangel an Alternativen gezwungen, ihre Daten bei den großen Cloud-Anbietern wie Google, Amazon und Microsoft zu lagern. Diese drei beherrschen laut einer aktuellen Studie des Marktanalysten Synergy rund 69 Prozent des europäischen Markts für IT-Infrastruktur aus der Cloud.
Das Ziel von Gaia-X war allerdings nie, eine Konkurrenz zu diesen „Hyperscalern“ aufzubauen. Vielmehr sollten gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur definiert werden – wer sich daran hält, darf dabei sein. Das Kalkül: Standards für den Datenaustausch ergeben nur Sinn, wenn die Marktführer daran mitwirken.
Doch an dieser Einstellung entzündet sich innerhalb des Projekts derzeit eine Grundsatzdebatte. Denn während auch die amerikanischen und asiatischen Tech-Giganten wie Microsoft, Google, Amazon, Palantir, Huawei und Alibaba seit April Mitglieder von Gaia-X sind, zeigen sich einige europäische Cloud-Anbieter unzufrieden mit dem integrativen Ansatz.
Einer von ihnen, das französische Tech-Unternehmen Scaleway, hat deshalb während des Meetings in Mailand seinen Rücktritt aus Gaia-X erklärt.
Im Juli bereits hatten sich deshalb 23 Cloud-Anbieter zusammengeschlossen, um das Projekt Euclidia ins Leben zu rufen. Ziel soll laut der Gründungsmitteilung sein, „die europäische Politik mit Fachwissen und Zukunftsplänen aus der Praxis zu versorgen“. Frank Karlitschek, Gründer der Cloud-Anbieters Nextcloud und Mitglied bei Euclidia, stellt gegenüber dem Handelsblatt zwar klar, dass es sich nicht um ein Gegenprojekt zu Gaia-X handle, fügt aber auch hinzu: „Es stimmt wohl, dass wir von den momentanen Entwicklungen bei Gaia-X eher enttäuscht sind.“
Das europäische Megaprojekt befinde sich momentan an einem „Scheidepunkt“, meint Karlitschek. Es seien zu viele Köche in der Küche, führt er aus und präzisiert, wen er damit meint: „Speziell die Aufnahme der amerikanischen Hyperscaler hat zu einer Defokussierung geführt.“
Auch Philipp Reisner, Gründer des Tech-Unternehmens Linbit, ist Mitglied bei Euclidia. Die neue Allianz sei aus der Sorge heraus entstanden, dass die außereuropäischen Konzerne die Standardisierung bei Gaia-X zu ihren Gunsten beeinflussen könnten, erklärt er. Deshalb gelte es aufzupassen, dass die neuen Standards „den europäischen Cloud-Stacks nicht in den Rücken fallen“, so Reisner.
Dieser „reinen Lehre“, Gaia-X ausschließlich durch europäische Cloud-Anbieter nach vorn zu bringen, steht die eher pragmatische Position entgegen, ohne die Hyperscaler wohl keine großen Erfolge feiern zu können. „Das Ziel von Gaia-X war nie, eine rein europäische Zone zu schaffen, von der andere Player ausgeschlossen sind“, argumentiert etwa der Gaia-X-Vorsitzende Maximilian Ahrens.
Neben der Frage, wer an Gaia-X teilnehmen darf, tun sich auch noch einige andere Baustellen auf. So fehlt es bisher beispielsweise an konkreten Anwendungen. „Ideen auf Powerpoint-Folien haben wir lange genug verbreitet“, sagte Sascha Tegtmeyer, Chief Digital Officer des Hamburger Landesbetriebs Geoinformation und Vermessung, dem „Tagesspiegel“.
Doch der Start der ersten sogenannten „föderierten Dienste“ unter der Schirmherrschaft von Gaia-X wird sich entgegen der ursprünglichen Planung bis ins nächste Jahr verzögern. Auch das politische Regelwerk von Gaia-X hätte eigentlich bis in den letzten September überarbeitet werden sollen – bisher gibt es auch hier allerdings noch keine Fortschritte zu vermelden.
Auf dem Gipfeltreffen in Mailand sollen deshalb jetzt möglichst viele Fortschritte verkündet werden – etwa was die Einführung eines schon länger geplanten Gütezertifikats angeht. Dieses soll für Anbieter von Dateninfrastruktur bald zur Verfügung stehen und Qualitätsmerkmale wie Transparenz und Sicherheit für die Kunden kennzeichnen.
Den Teilnehmern ist bewusst, dass Gaia-X langsam vorankommt: „Unternehmen takten mit einer anderen Geschwindigkeit als eine solche Organisation“, sagt ein deutscher IT-Manager, der an dem Projekt beteiligt ist. Die Konsensfindung brauche Zeit. Hinzu komme, dass man nicht Software entwickle, sondern sich auf Standards verständige – und das sei immer aufwendig.
Rainer Sträter, der die globale Cloud- und Hosting-Plattform beim deutschen Anbieter Ionos verantwortet, mahnt: „Gaia-X ist ein Marathon, kein Sprint.“ Entscheidend werde sein, dass der Markt den konkreten Nutzen erkenne und Nachfrage entwickele. Er erhoffe sich auf dem Gipfel vor allem „durch den Auftritt von politischen Vertretern wie Herrn Altmaier ein klares Bekenntnis der Politik zu Gaia-X“.
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