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01.05.2021

08:00

Datentransfer in die USA

Union fordert Sanktions-Moratorium bei Datenschutzverstößen

Von: Dietmar Neuerer

Damit heimische Firmen US-Clouddienste rechtssicher nutzen können, müsste die EU mit den USA ein neues Datenabkommen schließen. Doch die Gespräche kommen nicht voran. Das sorgt für Unmut in Berlin.

Das Cloud-Computing hat sich in der deutschen Wirtschaft durchgesetzt – aber davon profitieren maßgeblich amerikanische Konzerne. dpa

Wolkige Geschäfte

Das Cloud-Computing hat sich in der deutschen Wirtschaft durchgesetzt – aber davon profitieren maßgeblich amerikanische Konzerne.

Berlin Dass die EU-Kommission mit den Verhandlungen über ein neues Abkommen mit den USA für den Transfer personenbezogener Daten offenbar nicht vorankommt, sorgt für Unmut in Berlin. „Wir brauchen Tempo und endlich eine Perspektive für den Datenaustausch zwischen der EU und den USA“, sagte der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski (CDU), dem Handelsblatt. „Wir erwarten, dass die EU-Kommission jetzt einen Fahrplan vorlegt, wann mit der neuen US-Administration eine Einigung erzielt werden wird.“

Auch der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann forderte „dringend“ neue Verhandlungen zwischen Brüssel und der US-Regierung, um eine Lösung für den transatlantischen Datenaustausch zu finden. Die Rechtslage sei nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2020 „eindeutig, wenngleich auch unbefriedigend“, sagte Zimmermann dem Handelsblatt.

Der EuGH hatte die Rechtsgrundlagen für den Transfer personenbezogener Daten europäischer Bürger in die USA („Privacy Shield“) wegen ungenügenden Datenschutzes kassiert, weil die US-Geheimdienste weitgehenden Zugriff auf die bei US-Unternehmen gespeicherten Daten haben. Viele US-Cloud-Dienste verstoßen damit gegen die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Gegen Firmen, die die Dienste dennoch einsetzen, sind Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro möglich.

Zimmermann warnte, die Unternehmen könnten „nicht unbegrenzt auf eine Vollzugsaussetzung durch die zuständigen Behörden setzen“. Der CDU-Politiker Schipanski forderte bis zu einer Neuregelung für die Datenübermittlung über den Atlantik ein Sanktionsmoratorium. Solange es keine Rechtsicherheit gebe, „muss zwingend auf Bußgelder verzichtet werden“, sagte er.

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sprach von einer „extremen Rechtsunsicherheit“ für die Wirtschaft. „Die direkte Verantwortung hierfür tragen EU-Kommission und die Bundesregierung“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Daher sei es „absurd, jetzt zu versuchen, die Schuld für diese kurzsichtige Politik bei denjenigen abzuladen, die als Aufsichtsbehörden rechtlich verpflichtet sind, für den notwendigen Schutz zu sorgen“.

Kritik aus der Wirtschaft

Viele Firmen und Behörden agieren derzeit ohne Rechtsgrundlage weiter. Datenschützer in Deutschland wollen deshalb nun bundesweit die Nutzung von US-Clouddiensten wie Amazon, Microsoft und Google in den Fokus nehmen.

Bisher gebe es in der Sache ein „Vollzugsdefizit“, sagt der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz, Johannes Caspar, dem „Spiegel“. Das soll sich durch länderübergreifende Stichproben nun ändern, die Fragebögen dafür würden diese Woche abgestimmt.

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Aus der Wirtschaft kommt Kritik an der bisherigen Untätigkeit der Bundesregierung in der Sache. „Die defizitäre Regelungslage ist ein klares Versäumnis der Politik und kann nur von ihr behoben werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds ZGV, Ludwig Veltmann, dem Handelsblatt. Der Verband vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von etwa 230.000 mittelständischen Unternehmen.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) äußerte Kritik. „Die Politik muss beim internationalen Datenaustausch endlich für Rechtssicherheit sorgen“, sagte Iris Plöger, Geschäftsführerin beim BDI. „Solange es keinen klaren rechtlichen Rahmen gibt, darf es auch keine Sanktionsmaßnahmen geben.“

Mittelständler: Verzicht auf US-Produkte wäre existenzbedrohend

Veltmann warnte vor den Folgen, sollten die Aufsichtsbehörden nun mit Bußgeldverfahren gegen Unternehmen vorgehen. Fast alle Mittelständler nutzten Softwareprodukte, die einen transatlantischen Datentransfer voraussetzten oder unverzichtbar machten. „In aller Regel gibt es schlicht keine passenden Alternativen auf dem europäischen Markt“, sagte Veltmann.

Deshalb sei es geradezu absurd, wenn jetzt über Sanktionen für Unternehmen spekuliert werde. „Der Verzicht auf einschlägige Softwareprodukte wäre für sehr viele mittelständische Unternehmen schlicht existenzbedrohend.“

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Veltmann rief die Politik zum Handeln auf. Entweder müsse die DSGVO entsprechend angepasst oder eine „gerichtsfeste Vereinbarung“ mit den USA abgeschlossen werden. „Erfreulich wäre durchaus, wenn es zu den verwendeten amerikanischen Softwareprodukten europäische Alternativen oder Alternativen aus Ländern gäbe, deren Handhabe mit den Regelungen der DSGVO harmonieren“, fügte Veltmann hinzu. „Die Wirklichkeit ist von einer solchen Lage leider weit entfernt.“

Der Grünen-Politiker von Notz attestierte der EU-Kommission und der Bundesregierung in dieser Hinsicht ein „massives Versagen“. „Vor Jahren hätte man die rechtlichen Probleme angehen und eigene Cloud-Infrastrukturen schaffen müssen“, sagte er.

„Das tut man mit Gaia-X, der Bundescloud und anderen Vorgaben erst jetzt und damit viel zu spät.“ Dies zeige exemplarisch, dass der Bund nicht in der Lage sei, sich angemessen mit zentralen Fragen der Digitalisierung auseinanderzusetzen.

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