Beim Arbeitgebertag erwartet die Wirtschaft politische Hilfe gegen die Energienot – doch der Kanzler und zwei Minister streiten lieber über den Kurs. Die Unternehmer überzeugt das nicht.
Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin
„Als ich Minister wurde, habe ich mir geschworen, nicht populäre Entscheidungen zu treffen, sondern die angemessenen und die richtigen.“
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Berlin Olaf Scholz versuchte, den Unternehmern Mut zu machen: „Wir werden wohl gut durch den Winter kommen“, sagte der Bundeskanzler am Dienstag beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin. Wer dem Regierungschef häufiger zuhört, weiß, dass er das Wörtchen „wohl“ erst später in seine Reden aufgenommen hat. Und auch die Arbeitgeber, die sich im alten Flughafen Tempelhof in Berlin zu ihrem Jahrestreffen versammelten, hat der Kanzler nicht alle überzeugt.
Die sichere Versorgung mit bezahlbarer Energie war das beherrschende Thema der Veranstaltung. Und hier gibt es nicht nur Differenzen zwischen Regierung und Opposition, sondern weiter auch innerhalb der Ampelkoalition. Er verstehe nicht, warum SPD, Grüne und FDP nicht ideologiefrei über eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen Atomkraftwerke reden könnten, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verteidigte die Entscheidung der Koalition, zwei der drei Atomkraftwerke nur in die Notfallreserve zu nehmen. „Als ich Minister wurde, habe ich mir geschworen, nicht populäre Entscheidungen zu treffen, sondern die angemessenen und die richtigen“, sagte er. Die Atomkraftwerke hätten eine Rolle für die Netzstabilität, habe der „Stresstest“ für die Stromversorgung gezeigt, ihre Bedeutung für die Einsparung von Gas liege aber „im Promillebereich“.
Sein Ministerium arbeite „unter Hochdruck“ an Lösungen, um Wirtschaft und Verbraucher von hohen Energiekosten zu entlasten, sagte Habeck. Er hoffe, dass die von der Koalition verabredete Strompreisbremse bis Ende des Jahres im Gesetzblatt stehe, auch wenn das „äußerst anspruchsvoll“ sei.
Die Bedeutung der Atomkraft schätzen sowohl Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als auch Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) anders ein als der Vizekanzler. Wirtschaftsminister Habeck beziehe sich auf den physikalischen Stresstest zur Stromversorgung. „Nach meiner Überzeugung brauchen wir aber auch einen ökonomischen Stresstest.“
Vielen Unternehmen drohten in der aktuellen Krisensituation „regelrechte Strömungsabrisse“. Lindner sprach sich dafür aus, alle Versorgungskapazitäten zu nutzen und die drei verbliebenen Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen.
Christian Lindner
Die Bedeutung der Atomkraft schätzen sowohl Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als auch Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) anders ein als der Vizekanzler.
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Das sieht CDU-Chef Merz ähnlich. „Volle Kraft voraus für alle Kapazitäten, die wir haben“, sagte er vor den versammelten Arbeitgebern. Er machte eine andere Rechnung auf als Habeck. Die Atomkraftwerke sicherten demnach zehn Millionen Haushalten die Stromversorgung. Die hohen Energiepreise seien auf einen Angebotsschock zurückzuführen, weil Energielieferungen aus Russland ausblieben. „Und einem Angebotsschock begegnet man durch eine Erhöhung des Angebots.“
Bundeskanzler Scholz betonte, die Regierung werde dafür sorgen, dass die zwei süddeutschen Atomkraftwerke bei Bedarf auch im Januar, Februar oder März noch Strom liefern. Und Deutschland sei dabei, seine Energieversorgung zu diversifizieren.
Bei Kohle und Öl sei das bereits gelungen und beim Gas sei man auf gutem Weg, sagte der Kanzler mit Blick auf die an den Küsten entstehenden Terminals für Flüssiggas (LNG). „Wer hätte gedacht, dass dieses Land das so schnell schafft“, sagte Scholz. Er sei darauf „sehr stolz“.
Oppositionschef Merz sieht das naturgemäß anders. Die Grünen hätten sich zwar in energiepolitischen und anderen Fragen erstaunlich weit bewegt, bei der Atomkraft hingen sie aber ihrem Gründungsmythos nach. „Dieses Land kann nicht allein vom Gründungsmythos der Grünen abhängig bleiben“, sagte Merz.
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Der CDU-Chef machte sich auch dafür stark, den Großhandelspreis beim Gas zu deckeln, um Verbraucher zu entlasten. Der Koalitionsausschuss hatte sich nur darauf verständigt, dass eine unabhängige Kommission Möglichkeiten zur Gaspreisdämpfung im Wärmemarkt prüfen solle.
Dennoch will die Ampel zumindest energieintensive mittelständische Unternehmen bei den Energiepreisen entlasten. Sie sollen nach dem Willen von Habeck so schnell wie möglich neue Zuschüsse für ihre Gas- und Stromkosten erhalten. „Nun kommt es aber entscheidend darauf an, wie schnell wir uns in der Bundesregierung einigen und die Umsetzung schnell auf den Weg bringen können“, sagte Habeck. Möglicherweise könnten die Zuschüsse auch rückwirkend ab September gewährt werden.
Die beim Arbeitgebertag versammelten Unternehmer sind trotz solcher Beruhigungspillen noch nicht überzeugt, dass die Energiekrise schnell überwunden wird: „Wir brauchen eine schnelle Lösung für die steigenden Energiepreise. Sonst gibt es viele mittelständische Unternehmen bald nicht mehr“, sagte Sarah Schniewindt, geschäftsführende Gesellschafterin des gleichnamigen Elektrotechnikunternehmens.
Der Kanzler sei ihr beim Thema Energie zu unkonkret gewesen. Es sei eine besonders herausfordernde Zeit, aber wenn Deutschland wolle, könne es doch große Projekte zügig umsetzen, sagte die Unternehmerin. „Das zeigt sich am Beispiel der LNG-Terminals.“
„Der Energiemarkt muss entlastet werden. Er ist der Treiber der Inflation“, sagte auch der Winzer und Hotelier Artur Steinmann. Er wünsche sich, dass die Politiker mehr das Land und weniger die eigene Partei in den Blick nehmen würden. Ein Wunsch, der auf dem Arbeitgebertag öfter zu hören war. Aber ob er auch gehört wurde?
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Kommentare (1)
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13.09.2022, 13:20 Uhr
Was doch alles getan werden kann in einer Krise! Warum ist die Krise dazu notwendig? Warum können wir mit Russland nicht? Embargos aufheben, Gas aus Russland beziehen, Verhandeln, all dies nützt auch jenen, die in U-Bahn-Schächten im Donnas, Luhansk und Mariupol (nicht den Endsieg, sondern) das Ende des Krieges erwarten, und es hilft auch uns, den immensen Schaden, den martialisches Geschrei angerichtet hat und noch anrichtet, abzufangen. Frau Wagenknecht hat einfach recht. In der Erhaltung des Wohlstandes wird man dann auch eher helfen können; im Moment wird mit Waffenlieferungen die Hilfe zum Schießen auf Menschen debattiert.