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18.05.2021

15:58

Digitalgipfel 2021

Merkel warnt Industrie vor Abhängigkeit von IT-Konzernen

Von: Till Hoppe

Die Kanzlerin warnt besonders die Autohersteller davor, sich von Digitalkonzernen abhängig zu machen. Zugleich fordert sie eine Diskussion über die „Schnittstellenrepublik“ Deutschland.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (l.) und Bitkom-Präsident Achim Berg (Mitte) beim Digitalgipfel, moderiert von Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes. Handelsblatt

Digitalgipfel 2021

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (l.) und Bitkom-Präsident Achim Berg (Mitte) beim Digitalgipfel, moderiert von Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes.

Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel hat davor gewarnt, die industrielle Stärke Deutschlands im Zuge der Digitalisierung zu verspielen. Sie sehe die große Gefahr, dass etwa die hiesige Autoindustrie „zu einer Art verlängerter Werkbank“ von Digitalunternehmen werde, sagte Merkel in Berlin. Das Auto der Zukunft entwickele sich stark zu einem digitalen Produkt, „da sind wir in einem Wettlauf mit denen, die ganz aus der digitalen Welt kommen“. Dieses Rennen lasse sich noch gewinnen, „aber da ist Tempo gefragt“.

Die Kanzlerin dürfte dabei etwa den US-Techkonzern Google im Sinn haben, der stark in die Entwicklung des autonomen Fahrens und ein Betriebssystem für das Infotainment im Fahrzeug investiert. Daimler wiederum setzt stark auf Chips und Software-Architektur des US-Anbieters Nvidia.

Die Sorgen Merkels reichen aber über die Autoindustrie hinaus: Deutsche Firmen seien oft stark darin, ihre internen Prozesse zu digitalisieren, sagte sie. Viele hätten aber Nachholbedarf darin, auch ihre Kunden auf neuen Wegen anzusprechen. Diese Schwäche versuchten sie nun teils zu kompensieren, indem sie Produkte ausländischer Digitalfirmen nutzten. Damit drohe ein großer Teil der Wertschöpfung abzufließen.

Merkel hatte zuvor gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sowie Wirtschaftsvertretern über Fortschritte bei der Digitalisierung von Industrie und Verwaltung gesprochen. Das Gespräch moderierte Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes. Es war der 15. und letzte Digitalgipfel ihrer Amtszeit – und damit eine Gelegenheit für die Kanzlerin, selbst Bilanz zu ziehen: Wichtige Grundlagen seien gelegt worden, aber es bleibe „noch viel zu tun“, räumte Merkel ein.

Andere ziehen ein deutlich kritischeres Fazit: „Mehr als ein paar Hochglanzfotos bleiben von den Digitalgipfeln unter Kanzlerin Merkel nicht übrig“, sagt der digitalpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Manuel Höferlin. Am massiven Digitalisierungsstau hätten diese Show-Veranstaltungen jedenfalls nichts geändert.

Großer Handlungsbedarf im Land

Achim Berg, Präsident des Branchenverbandes Bitkom, verteidigte das Format, das Merkel als zentralen Baustein ihrer Digitalpolitik ersonnen hatte. Auf Arbeitsebene seien im Rahmen des Digitalgipfels etwa das Cloud-Vorhaben Gaia-X oder die einheitliche Behördenrufnummer 115 erdacht worden, sagte er.

Die Staatsministerin im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), plädiert wiederum dafür, den Digitalgipfel künftig europäisch aufzustellen: Wenn sich Deutschland mit anderen EU-Staaten und der EU-Kommission zusammentäten, „könnte die Veranstaltung eine weltweite Strahlkraft erlangen“, sagte sie dem Handelsblatt.

Auch Berg sieht großen Verbesserungsbedarf im Land: „Wir sind in Europa auf einem Abstiegsplatz“, sagte er. So werde die öffentliche Verwaltung die von der Bundesregierung ausgegebenen Digitalisierungsziele absehbar verfehlen.

Merkel forderte angesichts der schleppenden Fortschritte eine „richtig tiefe Debatte, die wir über die Funktionsweise eines föderalen Systems im digitalen Zeitalter führen müssen“. Das Problem sei, dass viele Vorgaben auf Bundesebene formuliert, von Ländern und Kommunen aber unterschiedlich umgesetzt würden. „Wir dürfen keine Schnittstellenrepublik werden“, mahnte Merkel. Die Probleme ließen sich auch nicht einfach durch die Schaffung eines Digitalministeriums nach der Bundestagswahl lösen.

Merkel sieht aber auch in der Wirtschaft großen Nachholbedarf – und nicht nur sie: Etwa die Hälfte der Mittelständler in Deutschland habe noch nicht begriffen, welche Folgen die schnell voranschreitende Transformation mit sich bringe, sagte Berg. Altmaier warnte, die großen Digitalunternehmen würden immer stärker in die klassischen Industrien vordringen.

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Die Antwort darauf kann aus Sicht von Minister und Kanzlerin nur lauten, die Abhängigkeiten der deutschen und europäischen Wirtschaft von ausländischen Anbietern in Kernbereichen zu reduzieren. Merkel verweist dabei besonders auf die Chipindustrie: Im Zuge der Vernetzung von Maschinen und Alltagsgeräten aller Art würde auf bestimmte Anwendungsgebiete optimierte Halbleiter immer wichtiger. Damit sei aber die Frage der „Datensicherheit ganz stark mit der Hardwarefähigkeit verbunden“. Umso wichtiger sei es, die Produktionskapazitäten in der Halbleiterindustrie in Europa auszubauen.

Altmaier will das über ein groß angelegtes Förderprogramm erreichen, das der Wirtschaftsminister gemeinsam mit anderen EU-Staaten und der Europäischen Kommission auflegen will. Im Rahmen dieses sogenannten wichtigen Projekts von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) werden voraussichtlich allein hierzulande mehrere Milliarden Euro an Subventionen fließen.

Zahlreiche Unternehmen haben bereits Interesse an dieser Anschubhilfe angemeldet, darunter der US-Weltmarktführer Intel. Merkel sieht überdies noch Bedarf, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den EU-Staaten für digitale Geschäftsmodelle stärker zu harmonisieren. Im digitalen europäischen Binnenmarkt herrsche „viel zu viel Fragmentierung“, bemängelte sie. Zudem errichte das europäische Wettbewerbsrecht „noch zu viele Barrieren“. Dies erschwere es, in der EU Global Player von der benötigten Größe zu formen.

Überdies brauche es einheitliche Regeln für den Einsatz Künstlicher Intelligenz, wie sie die EU-Kommission kürzlich vorgeschlagen hatte. Diese müssten bestimmte Leitplanken für den gesellschaftlich akzeptablen Einsatz von KI-Systemen setzen, dürften die Entwicklung aber auch nicht bremsen, mahnte Merkel.

Die Kanzlerin setzt überdies auf ein bislang noch wenig bekanntes Vorhaben: den Aufbau eines Ökosystems für digitale Identitäten. Das Ziel: Die Menschen sollen sich im Netz ähnlich einfach ausweisen können wie im sonstigen Leben, und zwar möglichst nicht nur in Deutschland, sondern überall in der EU.

Digitaler Hotel-Check-in vorgestellt

Ein erstes Pilotprojekt hatten Bär und Bundes-CIO Markus Richter am Montag vorgestellt: den digitalen Hotel-Check-in. Er ermöglicht es zunächst nur Mitarbeitern von Deutscher Bahn, Lufthansa oder Bosch, per Smartphone in rund 120 Hotel einzuchecken.

Ihre Personendaten werden dafür zunächst aus dem Chip im Personalausweis auf eine Wallet-App im Handy übertragen. Solche Identifizierungsverfahren sollen in den kommenden Monaten in weiteren Bereichen ausgerollt werden.

Merkel spricht am Mittwoch zum zweiten Mal mit etlichen Firmenchefs. So wollen Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica die digitale Registrierung für Prepaid-Tarife ermöglichen. Banken wollen die Eröffnung eines Online-Kontos erleichtern, indem sie den Gang zur Post oder das Video-Ident-Verfahren ersetzen. Die Mitarbeiter von Volkswagen und anderen Konzernen sollen per Smartphone Zugang zu den Werken erhalten.

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