Alle Leistungen digital bis Ende 2022? Bund, Länder und Kommunen verfehlen ihr Ziel – und schmieden einen neuen Pakt. Das Motto: Weniger ist mehr.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD)
Faeser sagte, die Digitalisierung sei das „bis dato größte Modernisierungsprojekt der Verwaltung“.
Bild: Reuters
Berlin Es geht um insgesamt 575 Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen. Sei es eine Ummeldung, die Kfz-Anmeldung, ein Bauantrag, die Unternehmensgründung oder die Meldung einer Geburt: Alle Verwaltungsakte, an denen die Bürger beteiligt sind, sollen künftig online mit wenigen Klicks möglich sein.
Bund und Länder hatten vereinbart, die Services bis Ende 2022 zu digitalisieren. Doch das Ziel droht zu scheitern. Der für die Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz zuständige Staatssekretär Fedor Ruhose warnt: Der im Onlinezugangsgesetz festgelegte Plan dürfe „nicht zum Synonym für staatliches Scheitern bei der Digitalisierung werden“.
Es brauche „einen gemeinsamen Fahrplan von Bund, Ländern und Kommunen“, sagte der Beamte im von der SPD unter Malu Dreyer regierten Bundesland. Darüber hinaus empfiehlt der Beauftragte der Landesregierung für Informationstechnik und Digitalisierung (CIO) angesichts der Herausforderungen „dringend einen Digitalpakt Verwaltung, in dem Bund und Länder diese gemeinsame Verantwortung nachhaltig finanziell sicherstellen“.
Mit dem Pakt solle die weitere Digitalisierung ab 2023 sichergestellt werden. Der Bund hat nach eigenem Bekunden bisher mehr als 90 seiner insgesamt 115 Verwaltungsleistungen digitalisiert. Die Länder und Kommunen sind für 460 Leistungen verantwortlich. Zu ihnen gebe es erst 50 sogenannte „Referenzimplementierungen“, die demnach in mindestens einer Kommune zur Verfügung stehen.
Ruhose ist mit seinen Warnungen nicht allein: Markus Richter, der als neuer Staatssekretär im Bundesinnenministerium für die Digitalisierung in Bund, Ländern und Kommunen zuständig ist, hatte auf dem zweiten digitalen Zukunftskongress in Gegenwart der neuen Bundesministerin Nancy Faeser (SPD) kurz vor Weihnachten erklärt, dass die selbst gesteckten Ziele des Bundes verfehlt würden.
Es werde „nicht gelingen, alles flächendeckend in jeder Kommune digital zu haben“, hatte der Bundes-CIO eingeräumt. Es ließe sich zugleich kurzfristig kein „100-Tage-Programm abbrennen, und dann ist die Welt gut“, vielmehr seien dauerhafte Strukturen nötig.
Dabei hatte im Juli noch ein Sprecher des damaligen Innenministers Horst Seehofer (CSU) erklärt: „Die Umsetzung liegt im Zeitplan“, und darauf verwiesen, dass der Bund mit drei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket die Länder dabei unterstütze, „rasch standardisierte Onlinedienste zu entwickeln“. Leitgedanke ist das „Einer für alle“-Prinzip: Ein Land entwickelt die Software für eine Leistung, die anderen Länder können diese unbürokratisch und mit wenigen technischen Anpassungen nutzen.
Doch genau an dem „Einer für alle“-Verfahren gibt es Kritik. Alle 575 Dienstleistungen bis Ende 2022 zu digitalisieren sei „mehr Fluch als Segen für die Verwaltungsdigitalisierung“, kritisierte der rheinland-pfälzische CIO Ruhose. Es sei „landauf, landab ein hoffnungsloser Wettlauf um die Vollständigkeit des Onlineangebots entstanden“.
Ehemaliger Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
Ein Sprecher Seehofers hatte im Sommer 2021 gesagt, dass der Digitalplan umgesetzt werde.
Bild: dpa
Sein Land soll gemeinsam mit Schleswig-Holstein Umweltleistungen digitalisieren. Laut Normenkontrollrat (NKR) waren in Rheinland-Pfalz aber bis Mitte August erst zwei von 46 Projekten in Betrieb. Vorreiter ist laut Rat Hamburg, das schon fünf Maßnahmen umgesetzt und sogar bundesweit im Einsatz haben.
Laut Bundesinnenministerin Faeser ist das Vorhaben, die Leistungen zu digitalisieren, das „bis dato größte Modernisierungsprojekt der Verwaltung“, wie sie auf dem Zukunftskongress selbst erklärt hatte. An dem Branchentreffen hatte auch Alexander Schweitzer, Staatsminister im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz, teilgenommen. Dessen CIO Ruhose forderte nun, zunächst die 100 gefragtesten Leistungen zu digitalisieren.
Einen entsprechenden Vorschlag hatte bereits der NKR unterbreitet. „Die Bundesregierung hat die Bedeutung der Digitalisierung der Verwaltung erkannt. Konkrete Ergebnisse lassen aber weiter auf sich warten“, resümierte NKR-Chef Johannes Ludewig seinerzeit.
Die Bundesregierung habe sich „reichlich optimistisch“ gezeigt. „Eine digitale Verwaltung mit modernen, vernetzten Registern birgt enormes Potenzial für Bürokratieabbau für Wirtschaft, Bürger und die Verwaltung selbst. Wirtschaft und Bürger erwarten zu Recht, dass sie Verwaltungsleistungen zeitnah digital in Anspruch nehmen können.“
Wie es allerdings ab 2023 weitergeht, steht noch in den Sternen. Fest steht: Während die Digitalisierung längst nicht abgeschlossen sein wird, fehlt die Anschlussfinanzierung. Entsprechend mahnen Experten mehr Geld an.
„Die Digitalisierung unseres gesamten Verwaltungswesens kostet Geld. Die Folgefinanzierung des Onlinezugangsgesetzes muss sich daher mindestens an den drei Milliarden Euro orientieren, die derzeit durch das Coronakonjunkturpaket für die Verwaltungsdigitalisierung zur Verfügung stehen“, forderte etwa Ruhose.
Auch Normenkontrollratchef Ludewig fordert „nicht nur eine effektivere Steuerung, sondern flächendeckend einen bedeutend höheren Ressourceneinsatz“. Der Städte- und Gemeindebund mahnt entsprechend „eine Aus- und Weiterbildungsoffensive für digitale Kompetenzen“ an, wie Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg bereits dem Handelsblatt sagte.
Die Ampelkoalitionäre haben sich zum Ziel gesetzt, das Onlinezugangsgesetz weiterzuentwickeln und für eine „ausreichende Folgefinanzierung“ zu sorgen. Ministerin Faeser hat bereits eine „Bestandsaufnahme“ angekündigt. Dazu dürfte gehören, dass der Wandel auch in den Köpfen stattfinden muss.
Die digitale Transformation müsse „zum Selbstverständnis im Verwaltungshandeln aller staatlichen Ebenen werden“, forderte Landes-CIO Ruhose und unterbreitete gleich Vorschläge für ein neues Onlinezugangsgesetz. Darin müssten „insbesondere die Digitalisierung der verwaltungsinternen Prozesse und der damit verbundene Kulturwandel in den Verwaltungen in den Fokus rücken“.
Eine neue Digitalisierungskompetenz bedeute nichts anderes, „als unsere gesamte Verwaltungstradition im Lichte der Digitalisierung auf den Prüfstand zu stellen und an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen“.
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