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11.04.2020

11:18

Einwanderung

Arbeitsmigranten vom Westbalkan haben gut in Deutschland Fuß gefasst

Von: Frank Specht

Die Wirtschaft fordert eine Verlängerung der zum Jahresende auslaufenden Westbalkanregelung. Denn sie nützt Migranten und Unternehmen gleichermaßen.

Die Baubranche profitiert besonders von der erleichterten Einreise für Arbeitsmigranten vom Westbalkan. Putzmeister

Baustelle in Deutschland

Die Baubranche profitiert besonders von der erleichterten Einreise für Arbeitsmigranten vom Westbalkan.

Berlin Sie war ursprünglich dazu gedacht, das Asylverfahren zu entlasten – die sogenannte Westbalkanregelung. Doch hat sie sich auch als Instrument gegen den Personalmangel der deutschen Wirtschaft bewährt. Die gesammelten Erfahrungen zeigen, wie sich das Anfang März in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz noch effektiver gestalten ließe.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsmigration hatte die Bundesregierung 2014 und 2015 Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien zu sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Bürger aus diesen Ländern sollten so davon abgehalten werden, einen Asylantrag zu stellen, der durch die Einstufung weitgehend chancenlos ist.

Stattdessen ermöglichte die Bundesregierung Staatangehörigen der betreffenden Länder, auch ohne formale Qualifikation zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, sofern sie einen Arbeitsvertrag vorweisen können. Diese Regelung gilt seit Anfang 2016 und läuft Ende dieses Jahres aus.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat nun eine Bilanz der Westbalkanregelung gezogen – im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums, das den Evaluationsbericht veröffentlicht hat. Untersucht wurden die Erfahrungen von gut 36.000 Beschäftigten, die 2016 und 2017 über die Westbalkanregelung nach Deutschland gekommen sind.

Ihr Altersdurchschnitt ist sehr niedrig, 74 Prozent sind jünger als 40 Jahre. Nur 13 Prozent der Zugezogenen sind Frauen. Die IAB-Forscher um den Migrationsexperten Herbert Brücker führen dies auf die hohe Arbeitskräftenachfrage in männerdominierten Branchen wie der Bauwirtschaft zurück.

Qualifikationsnachweis erforderlich

58 Prozent der Zugezogenen sind als Fachkraft, Spezialist oder Experte beschäftigt – ein höherer Anteil als bei den meisten anderen Migrantengruppen. Mit 12 Euro brutto pro Stunde verdienen Vollzeitbeschäftigte vom Westbalkan im Mittel auch entsprechend.

Aus Fallstudien in den Betrieben wisse man, dass viele der über die Westbalkanregelung Eingereisten zwar nicht immer über eine formale Qualifikation, wohl aber über einschlägige Arbeitserfahrung verfügten, die von den Arbeitgebern wertgeschätzt werde, sagte Brücker: „Es zählt, was die Leute können, nicht welche Qualifikation sie mitbringen.“

Im Unterschied dazu hebt das seit März geltende Fachkräfteeinwanderungsgesetz stark auf formale Qualifikationsnachweise ab. So müssen etwa beruflich Qualifizierte nachweisen, dass ihr im Ausland erworbener Abschluss mit einem deutschen vergleichbar ist. Eine Ausnahme gilt nur für IT-Spezialisten, wenn sie mindestens drei Jahre Berufserfahrung mitbringen.

Die Westbalkanregelung zeige aber, dass es für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration durchaus hinreichend sei, den Arbeitgebern die Auswahlentscheidung zu überlassen, anstatt den Zuzug von Erwerbsmigranten an formale Qualifikationserfordernisse zu knüpfen, heißt es im Bericht. Viele Kritiker halten die Hürden im Einwanderungsgesetz für zu hoch, um damit Fachkräfte in großer Zahl anzuziehen.

Nur einer war mal arbeitslos

Anfängliche Befürchtungen vor allem von Innenpolitikern, dass die Westbalkanregelung zu einer Einwanderung in die Sozialsysteme führen könnte, sieht das IAB nicht bestätigt. So hat sich im Untersuchungszeitraum nur einer von 100 eingewanderten Arbeitnehmern überhaupt einmal arbeitslos gemeldet oder staatliche Leistungen bezogen.

Auch gibt es keine nennenswerte Zahl von Fällen, in denen das Arbeitseinkommen nicht für die gesamte Familie reicht und deshalb ergänzende Hartz-IV-Leistungen bezogen werden müssen.

Die meisten der Eingereisten bleiben zudem ihrem Arbeitgeber treu. Nur knapp ein Fünftel hat in den ersten beiden Beschäftigungsjahren den Betrieb gewechselt. Die Quote ist niedriger als bei allen Vergleichsgruppen – deutsche Staatsbürger eingeschlossen.

„Die Westbalkanregelung ist ein großer ökonomischer Erfolg, es gibt zumindest bisher kaum soziale Risiken und eine hohe Beschäftigungsstabilität“, betont IAB-Forscher Brücker. Das sieht man auch beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) so: „Wir hatten aufgrund vieler Gespräche mit unseren Unternehmern immer schon den Eindruck, dass die Westbalkanregelung eine für beide Seiten positive Lösung ist“, sagte Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa. Er forderte die Bundesregierung auf, die Regelung über das Jahresende hinaus zu verlängern.

Bedenken in der Union

Das Bundesarbeitsministerium will sich da bisher aber noch nicht festlegen: „Die politische Bewertung der Bundesregierung, wie es mit der Regelung nach dem Jahr 2020 weitergeht, wird im Laufe der nächsten Monate erfolgen“, teilte das von Hubertus Heil (SPD) geführte Ressort auf Anfrage mit. Der Wunsch von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Verbänden und Verwaltung nach einer ausreichenden Planungssicherheit werde bei der Zeitplanung selbstverständlich berücksichtigt.

Während Heil und die SPD einer Verlängerung positiv gegenüberstehen, gibt es Bedenken in der Unionsfraktion. Das SPD-geführte Auswärtige Amt sieht vor allem die Arbeitsbelastung in den Visastellen. Zugangsbeschränkungen zu den Auslandsvertretungen und andere Restriktionen hätten mitunter zu langen Wartezeiten und der begrenzten Vergabe von Visa geführt, heißt es dazu im Evaluationsbericht.

„So wurde das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen über die Westbalkanregelung zahlenmäßig begrenzt und teilweise verhindert.“ Um die Kapazitäten der Botschaften und Konsulate nicht über Gebühr zu strapazieren, war für die Verlängerung der Westbalkanregelung zeitweise auch eine Kontingentlösung im Gespräch.

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