Der Bund will Eigentümer und Mieter nicht mit den Kosten einer Pflichtversicherung gegen Schäden durch Naturereignisse belasten – und sieht die Verantwortung nun bei den Ländern.
Flutkatastrophe im Ahrtal
Bislang verfügt nur etwa die Hälfte aller Wohnimmobilien-Besitzer über eine Elementarschaden-Versicherung. Diesen Haushalten droht im Schadensfall ein finanzieller Verlust.
Bild: dpa
Berlin Eine von den Bundesländern gewünschte Pflichtversicherung gegen Elementarschäden für Gebäude wird vorerst nicht vom Bund umgesetzt. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte dem Handelsblatt: „In einer Zeit höchster finanzieller Belastungen privater Haushalte sollten wir von allem die Finger lassen, was Wohnen und Leben in Deutschland noch teurer macht.“
Eine solche Pflicht wäre verfassungsrechtlich „wohl möglich“, erklärte Buschmann, fügte aber hinzu: „Politisch halte ich sie für falsch.“ Hierzu habe es eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung gegeben.
Buschmann hatte sich in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am vergangenen Donnerstag gegen eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden ausgesprochen.
„Es wäre in der gegenwärtigen gesamtwirtschaftlichen Lage unangebracht, den Wohngebäudeeigentümern noch mehr Kosten aufzubürden“, sagte Buschmann nun dem Handelsblatt. Diese würden zudem an die Mieterinnen und Mieter durchgereicht werden.
Stattdessen plädiert der FDP-Politiker für Aufklärungskampagnen, die dafür sensibilisieren, dass der Staat im Katastrophenfall nicht mehr unbegrenzt Schäden ausgleicht. „Der informierte Wohngebäudeeigentümer kann dann selbst entscheiden, ob und wie er das Risiko von Schäden am eigenen Gebäude trägt“, sagte der Minister. Präventive bauliche Maßnahmen, eigene finanzielle Vorsorge oder der Abschluss einer Elementarschadenversicherung könnten hier Wege sein.
Buschmann erklärte, die Länder könnten aber selbst tätig werden: „Sollten die Bundesländer eine Pflichtversicherung wünschen und für richtig halten, wäre die Einführung ihnen rechtlich möglich.“ Die Gesetzgebungskompetenz dafür hätten sie nach dem Grundgesetz, soweit der Bund selbst keine Regelung getroffen habe.
Auslöser der Debatte war die Hochwasserkatastrophe 2021, bei der in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie in Teilen Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsens mehr als 180 Menschen starben. An Häusern, aber auch an Straßen und Brücken entstanden Milliardenschäden.
Bislang verfügt nur etwa die Hälfte aller Wohnimmobilienbesitzer über eine Elementarschadenversicherung. Den anderen Haushalten droht im Schadenfall ein finanzieller Verlust.
Wegen Buschmanns Ablehnung konnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Ministerpräsidentenkonferenz nicht mit einem konkreten Gesetzesvorschlag zur Pflichtversicherung aufwarten.
Angesichts von Extremwetterereignissen dringen die Bundesländer auf eine solche Absicherung. Das hatten die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Stephan Weil (SPD) und Hendrik Wüst (CDU) am Donnerstag in Berlin deutlich gemacht.
Das geht so nicht. Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Wüst kritisierte, dass Buschmann dem Kanzler „eine Absage erteilt“ und damit „Verwunderung ausgelöst“ habe. Die Länder hätten den Bund nun noch einmal darum gebeten, das Thema zu prüfen. Anfang 2023 werde es dann erneut beraten.
Weil sagte: „Wir glauben, dass eine Pflichtversicherung richtig ist.“ Nicht nur die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal, sondern auch Erfahrungen in vielen Jahren davor, in allen Teilen Deutschlands, hätten gezeigt, dass es jeden treffen könne.
„Es kann nicht richtig sein, dass wir dann immer wieder versuchen, riesige Sondertöpfe aus den öffentlichen Haushalten zusammenzustellen“, erklärte Weil. „Wenn alle dabei sind, werden die Lasten für jeden Einzelnen entsprechend niedrig sein.“
Schon vor der MPK hatte Wüst der Bundesregierung Untätigkeit vorgeworfen: „Die Länder waren sich einig, dass wir eine Pflichtversicherung wollen. Wir sind uns auch nach wie vor einig.“ Vor einem halben Jahr sei „mit dem Kanzler, mit der Bundesregierung“ verabredet worden, dass ein Entwurf gemacht werde. „Der ist bis heute leider nicht da“, kritisierte Wüst.
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte dem Tagesspiegel, es sei auf der MPK nur ein „Bericht mit mehr Fragen als Antworten“ vorgelegt worden: „Das geht so nicht.“
Die Versicherer hingegen warnten am Donnerstag vor einer strengen gesetzlichen Regelung. „Eine singuläre Pflichtversicherung löst das Problem nicht, im Gegenteil, sie verhindert keinen einzigen Schaden“, teilte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, mit.
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer sollten besser Prävention und Klimafolgenanpassung in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, forderte der GDV. Dies sei „Dreh- und Angelpunkt“, damit Schäden durch Naturkatastrophen und damit Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder liefen.
Die Versicherungswirtschaft plädiert dafür, alle bereits geschlossenen Gebäudeversicherungen von einem Stichtag an automatisch auf Elementarschutz umzustellen, sofern Kunden nicht widersprechen. Auch hierfür müsste eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Neue Verträge schließen demnach den Schutz gegen Elementarschäden für Gebäude ohnehin ein.
Dazu müssten laut Versicherungswirtschaft aber auch „verbindliche Schutzmaßnahmen“ kommen. Dazu zählen die Versicherer Bauverbote in gefährdeten Gebieten, eine Pflicht zu überschwemmungsresilienten Baustoffen, eine Klima-Gefährdungsbeurteilung bei Baugenehmigungen und ein Naturgefahrenausweis, der die Schadenanfälligkeit von Gebäuden aufzeigt.
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) erklärte, dass der Einführung einer Versicherungspflicht für Wohngebäude gegen Elementarrisiken „jedenfalls nicht von vornherein“ durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstünden.
Auf Bundesebene solle darum mit den Ländern eine zielführende Diskussion zur Versicherungspflicht erfolgen. Limbach sagte dem Handelsblatt: „Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder erwarten anschließend einen konkreten Regelungsvorschlag des Bundes.“
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