Das EU-Parlament fordert mehr Anstrengungen zum Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft. In der Kommission stoßen die Pläne auf Zustimmung.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson
Für Simson spielt der Wasserstoff eine Schlüsselrolle, um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen.
Bild: action press
Brüssel Das Europaparlament fordert von der EU-Kommission bei seiner Wasserstoffstrategie mehr Ehrgeiz, auch um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. „Beim Wasserstoff haben wir in Europa jetzt noch die Chance, entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu arbeiten und zu profitieren. Diesen Vorteil müssen wir jetzt durch einen positiven regulatorischen, finanziellen und breiten technologischen Rahmen absichern, denn die Konkurrenz schläft nicht“, sagte die Europaabgeordnete Hildegard Bentele (CDU) dem Handelsblatt.
Aus der Sicht der EVP, der größten Fraktion im Europaparlament, ist Wasserstoff eine Zukunftstechnologie mit riesigem Potenzial, die entscheidend für die Erreichung unserer ambitionierten Klimaschutzziele ist. „Gerade zur CO2-Reduzierung der energieintensiven Industrien wie Stahl, Chemie oder Zement brauchen wir Wasserstoff als Ersatz für die bislang notwendigen fossilen Brennstoffe“, sagte die Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Angela Niebler.
Die Parlamentarier verlangen, nicht nur auf den grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu setzen. Stattdessen soll überbrückend auch kohlenstoffarmer Wasserstoff eingesetzt werden. „Der Markt soll entscheiden, welche Wasserstofftechnologie sich durchsetzen wird. Wir dürfen den Unternehmen nicht vorschreiben, welche Technologien notwendig sind. Wir treten für Technologieneutralität ein“, so Niebler.
Die Europaabgeordneten verlangen außerdem konkrete Zeitpläne, nach denen der Wasserstoff möglichst bald als Zukunftstechnologie durchgesetzt werden kann. „Wir brauchen einen Fahrplan, wie wir zu einer Wasserstoffwirtschaft kommen werden“, forderte Niebler. Die Kommission schätzt, dass bis 2050 Investitionen von bis zu 470 Milliarden Euro allein für erneuerbaren Wasserstoff notwendig sein werden.
Hinzu kommen bis zu 18 Milliarden Euro, um die bestehende Erzeugung aus fossilen Energieträgern nachzurüsten, damit kohlenstoffarm produziert werden kann. Derzeit beträgt der Anteil von Wasserstoff im Energiemix noch etwa zwei Prozent. „Unser Ziel ist es, grünem Wasserstoff als Energiequelle einen gewaltigen Schub zu geben“, sagte Energiekommissarin Kadri Simson zuletzt dem Handelsblatt. Die EU-Kommission setzt bei ihrer Wasserstoffstrategie auf einen schrittweisen Übergang.
Bis zum Jahr 2024 soll erstens die Installation von Elektrolyseuren mit einer Leistung von mindestens sechs Gigawatt und die Erzeugung von bis zu einer Million Tonnen erneuerbarem Wasserstoff unterstützt werden.
Als zweiter Schritt soll die Produktion hochgefahren werden: Zwischen 2025 bis 2030 soll dann Wasserstoff zum wesentlichen Bestandteil des Energiesystems werden, indem für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff bestimmte Elektrolyseure mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 40 Gigawatt installiert und bis zu zehn Millionen Tonnen erneuerbarer Wasserstoff erzeugt werden.
Ab 2030 sollen die Technologien für grünen Wasserstoff schließlich so weit ausgereift sein, dass sie in großem Maßstab eingesetzt werden können. Bislang macht Wasserstoff weniger als zwei Prozent des derzeitigen Energieverbrauchs in Europa aus. 96 Prozent der Wasserstoffproduktion werden durch Erdgas mit entsprechenden CO2-Emission erzeugt. 2050 könnte der Anteil von grünem Wasserstoff etwa bei 13 Prozent liegen.
Grundsätzlich besitzt Europa eine gute Ausgangslage für das Vorhaben. Denn in der notwendigen Elektrolyse-Technologie befinden sich die EU-Firmen weltweit ganz vorn. Aus der Sicht der Europaabgeordneten müssen nun die richtigen Anreize gesetzt werden, damit Investoren in die Technologien entlang der Wertschöpfungsketten für Wasserstoff investieren.
Laut Niebler müsse zudem vor allem sichergestellt werden, dass gerade auch kleine und mittelständische Unternehmen Zugang zu Finanzierungen und notwendigen Technologien erhalten.
Laut Insidern herrscht derzeit im Europaparlament ein regelrechter Hype um Wasserstoff. Davon ist besonders die größte Fraktion, die konservative Europäische Volkspartei (EVP), betroffen.
„Die ambitionierten Klimaziele werden dafür sorgen, dass die Wasserstoffwirtschaft in der EU vorankommt.“ Auf dem EU-Gipfel im Dezember wurde zuletzt die Anhebung des Klimaziels beschlossen. Damals hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft durchgesetzt, das Klimaziel für 2030 von 40 auf mindestens 55 Prozent zu erhöhen.
Da 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der EU auf Energie zurückgehen, strebt die EU-Kommission nun einen Paradigmenwechsel an, um die Klimaziele für 2030 und 2050 zu erreichen. „Wasserstoff wird dabei eine Schlüsselrolle spielen, da sinkende Preise für erneuerbare Energien und kontinuierliche Innovationen ihn zu einer tragfähigen Lösung für eine klimaneutrale Wirtschaft machen“, sagte Energie-Kommissarin Simson zuletzt bei der Vorstellung der Wasserstoffstrategie.
Der Industrieausschuss hat in dieser Woche die Wasserstoffinitiative mit seinem Beschluss unterstützt. Auch im Umweltausschuss des Europaparlaments wurde zuvor bereits im Januar eine bemerkenswert breite Koalition von Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Linken für eine ambitionierte EU-Wasserstoffstrategie geschmiedet, die übergangsweise auch kohlenstoffarmen Wasserstoff umfasst.
„Unsere Leitschnur ist die schnellstmögliche CO2-Reduktion in den nicht zu elektrifizierenden Bereichen. Wir brauchen jetzt Mut, Pragmatismus und Offenheit, sonst wird Wasserstoff nicht seine vielfältige Rolle spielen, die er grundsätzlich kann“, sagte die Europaabgeordnete Bentele.
Sie kritisiert, dass die EU-Kommission die Themen Infrastruktur, Importe und Speicherung noch zu wenig im Auge habe. „Rein auf das Engagement der Privatwirtschaft zu setzen erscheint mir hier zu wenig strategisch“, sagte Bentele. Deutschland entwickelt derzeit mit der Initiative H2Global ein interessantes Instrument für längerfristige Abnahmeverträge mit außereuropäischen Wasserstoffproduzenten. Auf diese Pionierarbeit sollte die EU ein Auge werfen.“
Mitte Dezember legte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gemeinsam mit EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager den Grundstein für die Zusammenarbeit von 22 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen beim Einstieg in die europäische Wasserstoffwirtschaft.
Das Vorhaben firmiert als „Projekt von gemeinsamem europäischem Interesse“ („Important Project of Common European Interest“, kurz IPCEI). Das bedeutet im Kern, dass grenzüberschreitende Projekte von Unternehmen mit Milliardenhilfen der beteiligten EU-Staaten rechnen können.
Ob der grüne Wasserstoff in den nächsten Jahren in großem industriellem Maßstab wettbewerbsfähig produziert werden kann, ist jedoch umstritten. Grüner Wasserstoff wird mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt und ist klimaneutral. Der Stahl- und der Chemieindustrie, aber auch dem Schwerlast- und Flugverkehr eröffnet grüner Wasserstoff die Möglichkeit, CO2-frei zu werden.
Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass sich grüner Wasserstoff 2030 in einigen Regionen der Welt für 1,15 Euro je Kilogramm herstellen lässt. Damit wäre er konkurrenzfähig zu grauem Wasserstoff, bei dessen Produktion Kohlendioxid anfällt.
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