Der Wirtschaftsminister geht von einem höheren Stromverbrauch bis 2030 aus, als die Bundesregierung bislang prognostiziert hat. Kritiker nennen diese Korrektur längst überfällig.
Berlin Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat am Dienstag seine bisherigen Schätzungen zum Stromverbrauch im Jahr 2030 korrigiert: Der Verbrauch werde um rund zehn Prozent höher liegen als bisher angenommen, sagte Altmaier. Das Prognos-Institut, auf das Altmaier sich bezog, gehe jetzt von einem Verbrauch von 645 bis 665 Terawattstunden (TWh) aus. Monatelang hatte sich der CDU-Politiker dafür kritisieren lassen müssen, von einem zu niedrigen Stromverbrauch in neun Jahren auszugehen.
Eine Studie von Anfang 2020 im Auftrag des Ministeriums war noch von rund 590 TWh ausgegangen. Die offizielle Regierungsprognose lag bei 580 TWh. Die Frage, wie hoch der Stromverbrauch 2030 sein wird, ist von grundsätzlicher Bedeutung für viele energiepolitische Entscheidungen.
Ein steigender Stromverbrauch führt dazu, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien forciert werden muss. Das wiederum erfordert eine schnellere Ausweisung geeigneter Flächen, Änderungen im Genehmigungsrecht und im Umweltrecht.
Altmaier war wegen seiner Schätzungen zum künftigen Stromverbrauch zuletzt auch aus der eignen Regierung heftig kritisiert worden. Ende Juni hatte ihm sein Kabinettskollege Olaf Scholz (SPD) gar vorgeworfen, seine Annahmen zum Ausbau der Erneuerbaren und der Stromtrassen seien eine „Stromlüge“.
Am Dienstag drehte Scholz bei: Es sei gut, dass Altmaier endlich eine realistische Prognose vorgelegt habe. „Damit gesteht er einen Fehler ein. Wir brauchen in Zukunft viel mehr Strom aus erneuerbaren Energien. Das zu ignorieren war fahrlässig mit Blick auf unseren Wohlstand.“ Um die Ausbauziele für Ökostrom anzuheben, müssten rasch die Gesetze angepasst werden, wo dies erforderlich sei, sagte der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“
Als wichtigste Treiber des Stromverbrauchs gelten E-Autos, elektrische Wärmepumpen sowie die Wasserstoffelektrolyse. Für die Wasserstoffelektrolyse ist Strom aus erneuerbaren Quellen in großen Mengen nötig. Der Wasserstoff ist unverzichtbar, um die Industrie umweltfreundlicher aufzustellen. Auch die Digitalisierung lässt den Strombedarf steigen.
Altmaier sagte, bis 2030 würden jetzt 14 Millionen Elektroautos auf den Straßen erwartet statt wie zuletzt maximal zehn Millionen. „Wir sind damit zum Vorbild in der Europäischen Union geworden“, sagte der CDU-Politiker. Zudem würden etwa sechs Millionen Wärmepumpen in Gebäuden installiert, die ebenfalls mehr Strom benötigten. Einen starken Anreiz würden hier die von Union und SPD, aber auch von weiteren Parteien in den Wahlprogrammen verankerten Entlastungen beim Strompreis bilden.
Daneben gehe man nun davon aus, dass man 19 statt 14 Terawattstunden Wasserstoff bis 2030 erzeugen werde. Klar ist jedoch, dass weit mehr Wasserstoff benötigt wird, als in Deutschland erzeugt werden kann. Die Regierung hat daher bereits zahlreiche Projekte mit Staaten weltweit angestoßen, um den Import zu sichern.
Die neue Prognose des Wirtschaftsministeriums bewegt sich am unteren Rand. So geht etwa der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) von einem Stromverbrauch von 700 Terawattstunden im Jahr 2030 aus.
Eine realistischere Prognose durch die Bundesregierung sei überfällig gewesen, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. „Es ist schon lange klar, dass mehr Strom benötigt wird, wenn Millionen E-Autos und Wärmepumpen auf dem Markt sind und immer mehr grüner Wasserstoff produziert wird“, ergänzte Andreae.
Die neuen CO2-Minderungsziele des novellierten Klimaschutzgesetzes hätten den Handlungsdruck deutlich verschärft. Der BDEW fordert besonders höhere Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Nach seiner Überzeugung müssen 2030 Windräder an Land mit einer Leistung von 100 Gigawatt (GW) installiert sein. Derzeit sind es rund 53 GW. Für die Photovoltaik sollen es sogar 150 GW sein. Aktuell sind es rund 54 GW.
Rückendeckung bekommt der BDEW von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Sie hält den bisher geplanten Anteil erneuerbarer Energien von 65 Prozent an der Stromerzeugung im Jahr 2030 für zu niedrig. Sie verlangt daher schon jetzt höhere Ausbauziele für Wind- und Solarenergie.
Heftige Kritik kassierte Altmaier für seine Korrektur von den Grünen. Der Minister habe sich „lange vor dieser Korrektur gedrückt“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. „Letztendlich hat er jahrelang und bewusst auf falsche Annahmen gesetzt, um die Ausbauziele für erneuerbare Energien möglichst niedrig ansetzen zu können“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete. „Sein Vorstoß ist jetzt auch komplett halbherzig. Er setzt zwar den Bedarf hoch, sagt aber nicht, wie viele neue Photovoltaik- und Windenergieanlagen man dafür braucht und was getan werden muss, damit diese Anlagen auch kommen“, kritisierte Krischer.
Der Minister drücke sich „einmal mehr vor der seriösen Planung und Umsetzung der Energiewende“. Er lasse einen Berg von Hausaufgaben für die nächste Bundesregierung übrig. Der von Altmaier prognostizierte Strom-Mehrbedarf von etwa zehn Prozent im Jahr 2030 werde nur dann eintreten, wenn in den nächsten Jahren an anderer Stelle deutlich Strom eingespart werde. Dafür seien die Weichen nicht gestellt.
Altmaier hält eine weitere Anhebung der Verbrauchsannahme für 2030 ebenfalls für nötig. Im Moment fehle dazu noch die Grundlage, sagte er.
Der Minister forderte das Umweltministerium auf, Umwelt- und Artenschutzbestimmungen zu verändern. Bestimmungen des Umwelt- und Artenschutzes zählen zu den Haupthindernissen beim Ausbau der Windkraft. Änderungen sind nicht leicht durchsetzbar. In vielen Fällen betreffen sie Landesrecht. Die Umweltminister der Länder ringen seit Monaten um Kompromisse – bislang ohne Erfolg.
Außerdem gilt eine konsequentere Ausweisung von geeigneten Flächen als Schlüssel, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. So wollen etwa die Grünen erreichen, dass zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windkraft an Land verfügbar gemacht werden. Bislang wird ein Prozent der Fläche des Landes für die Windkraft genutzt.
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