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03.07.2022

15:46

Energiekrise

Bundeskanzler will dramatischen Anstieg der Gaspreise mit Staatshilfen verhindern

Von: Silke Kersting, Dietmar Neuerer

In der Bundesregierung wächst die Sorge vor den Folgen eines Totalausfalls russischer Gaslieferungen. Es drohen aber nicht nur Preissprünge.

Die anstehende Wartung der Pipeline Nord Stream 1 setzt die Bundesregierung unter Zeitdruck. dpa

Gasverteilerstation in Lubmin

Die anstehende Wartung der Pipeline Nord Stream 1 setzt die Bundesregierung unter Zeitdruck.

Berlin Angesichts eines drohenden russischen Gaslieferstopps nach Deutschland werden umfangreiche staatliche Stützungsmaßnahmen für Wirtschaft und Verbraucher immer wahrscheinlicher. „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man auf beiden Feldern aktiv ist“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der ARD.

Mit Blick auf den in Not geratenen größten deutschen Gasimporteur Uniper sagte Scholz: „Wir prüfen jetzt mit dem Unternehmen zusammen, was man tun kann.“

Mit Uniper, dem größten Gashändler in Deutschland, ist infolge des Ukrainekriegs der erste große deutsche Energiekonzern in eine existenzielle Schieflage geraten. Diese droht das gesamte Versorgungssystem zu gefährden. Hunderte Stadtwerke, Energieversorger und Unternehmen sind auf die Lieferungen Unipers angewiesen. Die Stadtwerke versorgen ganz überwiegend die Haushalte mit Gas und Strom, Wasser und Wärme.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte am Samstag bei einer Veranstaltung der „Zeit“ vor einer möglichen „Preisexplosion“, wenn Russland kein Gas mehr über die Gaspipeline Nord Stream 1 liefert und nur noch Gas aus anderen Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden nach Deutschland kommt.

Versorgungslage gefährdet

Der Deutsche Städtetag sieht bereits die Versorgungssicherheit gefährdet. „Der Druck auf die Stadtwerke nimmt jeden Tag zu“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur. Er forderte Bund und Länder auf zu verhindern, „dass kommunale Versorger ernsthaft in Schwierigkeiten geraten“.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte, allein die Ersatzbeschaffung auf dem Gasmarkt könne schon zu Liquiditätsproblemen auch bei großen Konzernen führen, wenn die Unternehmen die Preise nicht zeitnah an ihre Kunden weitergeben können. „Hier muss verhindert werden, dass die Versorger aufgrund der Liquiditätsengpässe in die Knie gehen“, sagte die Ökonomin dem Handelsblatt. Sie brachte einen „Schutzschirm für die betroffenen Unternehmen“ ins Spiel, der durch Kredite im Rahmen von Hilfsprogrammen ausgestaltet werden könne.

Grimm hält es für notwendig, dass die höheren Preise an die Kunden weitergegeben werden. „Denn es ist wichtig, dass die Verbraucher – wo immer möglich – ihre Nachfrage schon jetzt reduzieren, sodass möglichst viel Gas eingespeichert werden kann.“ Hohe Belastungen sollten aber für diejenigen, die die Härten nicht selbst tragen können, zielgerichtet über Hilfszahlungen abgefedert werden.

Zugleich mahnte sie, durch die „zeitnahe und umfangreiche“ Einspeicherung von Gas müsse vermieden werden, dass im Winter eine Versorgungslücke eintrete. Denn das hätte „unangenehme Folgeeffekte, wie zum Beispiel Kaskadeneffekte in der Wirtschaft oder auch eine Unterversorgung der Haushalte“.

Dedy appellierte an die Bundesregierung, betroffenen Stadtwerken schnell Liquiditätshilfen über Bürgschaften und Kredite zu gewähren. Zudem muss seiner Ansicht nach kurzfristig ein Moratorium auf den Weg gebracht werden, was die Pflicht zu Insolvenzanträgen aussetzt.

Auch Verkehrsbetriebe, kommunale Krankenhäuser, Schulen, Bäder und weitere öffentliche Einrichtungen bekämen die Folgen der Energiekrise zu spüren, so Dedy. Er forderte eine ehrliche Debatte: „Wir müssen darüber reden, auf welchen Komfort können wir verzichten und was bleibt vor Ort notwendig?“ Es gehe etwa um Straßenbeleuchtung und Ampelschaltungen, warmes Wasser in öffentlichen Gebäuden, Museen und Sporthallen oder Lüfter in Schulen sowie Klimaanlagen.

Bundesnetzagentur: Ungleiche Gasverteilung droht

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, appellierte an die Bevölkerung, Energie zu sparen. Die Frage sei, ob aus der bevorstehenden regulären Wartung der Erdgasleitung Nord Stream 1 „eine länger andauernde politische Wartung wird“, sagte er am Samstag den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Wenn der Gasfluss aus Russland „länger anhaltend abgesenkt wird, müssen wir ernsthafter über Einsparungen reden“. Die zwölf Wochen bis zum Beginn der Heizsaison müssten genutzt werden, um Vorbereitungen zu treffen.

Die oberste Verbraucherschützerin Jutta Gurkmann forderte ein „Moratorium für Gaskunden, die ihre Rechnung nicht bezahlen können“. Haushalte müssten auch bei Zahlungsunfähigkeit mit Energie versorgt werden, sagte die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) dem Handelsblatt. „Niemand sollte wegen der hohen Energiepreise frieren oder im Dunkeln sitzen.“ Es sei gut möglich, dass die Gaspreise im Herbst so stark stiegen, dass dies nicht nur Haushalte mit geringem, sondern auch mit mittlerem Einkommen finanziell stark belasten würde.

Nach Angaben von Netzagenturchef Müller sind die Gasflüsse in der Bundesrepublik bislang mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. „Das könnte sich ändern, sollten wir nur noch Gas aus Norwegen, den Niederlanden oder Belgien erhalten“, sagte er und schloss abermals nicht aus, dass Industriebetriebe mit weniger Gas auskommen müssten. „In dem Moment, in dem der Druck im Gasnetz in einer Region unter ein gewisses Mindestmaß fallen würde, würde auf einen Schlag in Hunderttausenden Gasthermen die Sicherung einspringen“, sagte er.

Die Stadtwerke könnten in die Insolvenz rutschen, wenn sie die Energiekosten nicht weitergeben. dpa

Stromrechnung

Die Stadtwerke könnten in die Insolvenz rutschen, wenn sie die Energiekosten nicht weitergeben.


Die müsste händisch von geschulten Fachkräften wieder freigeschaltet werden, wenn wieder Gas in der Region verfügbar wäre, sagte er. Ein solches Szenario könne niemand wollen, „weil es sehr lange dauern würde, die Gasversorgung wiederherzustellen. Also wird es immer das Ziel der Bundesnetzagentur sein, notfalls Reduzierungen beim industriellen Verbrauch anzuordnen, damit dieses Szenario nicht eintritt.“

Kommentare (9)

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04.07.2022, 08:45 Uhr

Im Artikel einfach nur absurde Lösungsvorschläge. Wie wärs aufzuhören Waffen an die Ukraine zu liefern, wie wärs aufzören Russland mit unzähligen Sanktionenspaketen massiv zu schaden und wie wärs endlich aufzuhören Amerikas exzessive und zerstörerische Expansionspolitik zu unterstüzen? Ich hoffe, wenn Russland nun tatsächlich den Gashahn zudreht, die deutschen Bürger entlich mal aufwachen und gegen die Regierung demonstrieren, anstatt sich auf Abruf an künstliche Demos für die Ukraine präsentieren. Die Intellektuellen sollten entlich mal Farbe bekennen und aktiv werden.

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