PremiumBayerns Ministerpräsident Söder will unter anderem die Einkommen- und Mehrwertsteuer senken. Ökonom Fratzscher hält die meisten Vorschläge für eine Umverteilung nach oben.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder
„Wir sind schließlich keine Brokkoli-Republik. Die Deutschen sollen auch Fleisch essen dürfen.“
Bild: dpa
Berlin CSU-Chef Markus Söder fordert angesichts von Inflation und Energiekrise umfassende Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Der bayerische Ministerpräsident sprach sich in der „Bild am Sonntag“ unter anderem für Steuersenkungen aus.
Ins Spiel brachte er flachere Tarife bei der Einkommensteuer sowie die massive Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom, Benzin, Heizen und alle Nahrungsmittel. „Also nicht nur auf Gemüse, wie es die Grünen wollen, sondern auch auf Fleisch, Fisch und Milch“, sagte der CSU-Chef.
Söder plädiert überdies für ein Jahresticket für den öffentlichen Personennahverkehr in ganz Deutschland zum Preis von 365 Euro. Zudem müsse der sogenannte Tankrabatt über den kompletten Winter verlängert werden.
Wenn dann noch ein Winter-Wohngeld für alle Haushalte hinzukäme, würde das den meisten Menschen spürbar helfen, erklärte der CSU-Chef. Daneben sprach sich Söder dafür aus, die Bürgerinnen und Bürger auch bei staatlichen Gebühren zu entlasten.
Die Linkspartei begrüßte zumindest einen Teil der Vorschläge. Die SPD und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisierten sie scharf. Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sprach von „Politcomedy“.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, es passe vorne und hinten nicht zusammen, wenn Söder deutliche Steuersenkungen fordere, wild mit Entlastungsvorschlägen um sich werfe und zugleich an einem Haushalt ohne neue Schulden festhalten wolle. Der CSU-Vorsitzende vermittele „wider besseres Wissen den Eindruck, in der Bundesregierung würden keine Vorkehrungen für den kommenden Winter getroffen“, sagte Kühnert.
Fratzscher hält die meisten Forderungen für „kontraproduktiv, unsozial, ökologisch schädlich und extrem teuer“. Die Maßnahmen „würden eine Umverteilung von unten nach oben, von Arm zu Reich bedeuten“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Handelsblatt. So würde laut Fratzscher eine Fortsetzung des Tankrabatts dringend notwendige Einsparungen verhindern.
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Als „im höchsten Maße unsozial“ bezeichnete der Ökonom die Senkung der Einkommensteuer, weil vor allem Menschen mit hohen Einkommen davon profitieren würden. Die 40 Prozent der Menschen mit den geringsten Einkommen zahlten ohnehin keine oder so gut wie keine Einkommensteuer und hätten somit von dieser „sehr teuren“ Maßnahme keinen Nutzen, sagte Fratzscher.
Bei der Entlastung von Gebühren rät der DIW-Chef zu einer „vorsichtigen und differenzierten“ Abwägung. „Entlastungen, von denen vor allem Menschen mit hohen Einkommen profitieren, sind eher kontraproduktiv, weil sie damit finanziellen Spielraum für andere, sinnvolle Maßnahmen beschränken“, sagte er.
Für sinnvoll hält Fratzscher eine Mehrwertsteuersenkung auf Obst und Gemüse. Auch wenn diese eher Besserverdienern zugutekomme, „profitieren alle, und diese Maßnahme kann schnell umgesetzt werden“.
Auch die Linkspartei kann zumindest einem Teil der Vorschläge etwas abgewinnen. „Gut, dass auch in Bayern die Erkenntnis gewachsen ist, dass es ein drittes wirksames Entlastungspaket geben muss, das die Mehrkosten der Bürger wirklich ausgleicht“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch der Funke-Mediengruppe.
Bartsch hält die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets bis zum Jahresende und eine Anschlussregelung für das nächste Jahr für notwendig. Außerdem sollte es einen Gaspreisdeckel geben. Die Ampelregierung müsse nach der Sommerpause ein solches Entlastungspaket vorlegen.
Die Grünen forderten mehr Ernsthaftigkeit in der Entlastungsdebatte. „Wir stehen vor schwierigen Monaten, die auch an die Substanz des sozialen Sicherheitsgefühls im Land gehen können“, schrieb Grünen-Finanzminister Bayaz auf Twitter. Es brauche auch aus der Opposition ernsthafte, realistische und zielgenaue Entlastungsvorschläge.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Funke-Mediengruppe: „Wir stehen in der Verantwortung, besonders die Menschen zu unterstützen, die schon jetzt ganz akut kaum oder keine finanziellen Spielräume mehr haben.“ Gerade wer auf die Grundsicherung angewiesen sei, nur über eine kleine Rente oder geringes Einkommen verfüge, brauche Unterstützung.
Haßelmann warb zugleich für ein Nachfolgemodell des Neun-Euro-Tickets. „Die hohe Inanspruchnahme des Neun-Euro-Tickets zeigt, was für ein Erfolgsmodell das ist“, sagte sie. Hier seien jetzt Bund und Länder gemeinsam gefragt, Ideen zu entwickeln, wie ein dauerhaftes attraktives Angebot aussehen könne.
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Politiker der Ampelregierung haben bereits weitere Entlastungen für die Bürger in Aussicht gestellt. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wies dabei auf den von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angestoßenen Dialogprozess mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und Ökonomen hin. „Davon leite ich auch weitere Entscheidungen für mögliche gezielte Unterstützung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und anderen Gruppen ab“, sagte Mützenich.
Der Fraktionschef riet aber davon ab, bereits jetzt konkrete Instrumente und ihre Wirkungen zu benennen. „Denn noch ist unklar, in welche Richtung die Inflation genau geht, wie groß der Gasmangel, wie die Nahrungsmittelversorgung sein wird, die Preisentwicklung in einzelnen Bereichen und die unmittelbaren Hilfsmöglichkeiten.“
Berechnungen von Wirtschaftsforschungsinstituten zeigten, dass Familien und Gruppen im unteren und mittleren Einkommenssegment von den bereits beschlossenen Maßnahmen profitierten, sagte Mützenich. Wie aus einer Berechnung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht, helfen die Maßnahmen vor allem Familien mit niedrigen Einkommen.
Bei einer Familie mit zwei Erwerbstätigen, zwei Kindern und unterdurchschnittlichem Monatseinkommen würden rund 64 Prozent der absehbaren zusätzlichen Belastungen ausgeglichen. Bei Menschen in Grundsicherung seien es sogar rund 90 Prozent.
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