Die EU-Kommission will bestimmte Füllstände für Gasspeicher europaweit zur Pflicht machen. Wer sich nicht an die Regeln hält, kann bestraft und sogar enteignet werden.
Berlin, Brüssel Die EU-Kommission will die Bewirtschaftung von Erdgasspeichern innerhalb Europas vereinheitlichen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und Schwankungen im Preis zu reduzieren. Sie will die Mitgliedstaaten anweisen, dass diese den Speicherbetreibern Mindestfüllstände vorschreiben. Zum 1. November 2022 soll der Füllstand jeweils 80 Prozent betragen, in den Jahren danach 90 Prozent. Staaten ohne eigene Gasspeicher sollen sich an den Kosten der Gasspeicherung in anderen Ländern beteiligen.
Betreiber von Gasspeichern müssen sich demnach zertifizieren lassen, um auszuschließen, dass sie ein Risiko für die Versorgungssicherheit darstellen. Dabei möchte die Kommission zuerst besonders große Speicher ins Visier nehmen, die im vergangenen Jahr auffällig niedrige Füllstände gemeldet haben. „Das könnte dazu führen, dass die Gazprom-Speicher mit Priorität betrachtet werden“, sagte eine hohe Kommissionsbeamte.
Wird die Zertifizierung verweigert, müssen die Betreiber Auflagen erfüllen oder ihre Anteile an den Gasspeichern veräußern. Damit geht die EU-Kommission über die Pläne der Bundesregierung hinaus. Zur Begründung heißt es in dem Entwurf der EU-Kommission, in den vergangenen sechs Monaten hätten Verwerfungen auf dem Gasmarkt zu einem starken Anstieg der Gaspreise geführt.
Der Füllstand der Speicher in der EU habe im zu Ende gehenden Winter weit unter dem Niveau der Vorjahre gelegen. „Im letzten Jahr haben die Versorger zu lange auf niedrigere Preise gewartet. Das wollen wir nicht länger zulassen“, sagte die Kommissionsbeamte.
In der EU können laut Kommission insgesamt 1110,7 Terawattstunden an Gas gespeichert werden. Ein Füllstand von 90 Prozent würde also rund 1000 Terawattstunden bedeuten. Das ist etwa ein Viertel des durchschnittlichen Jahresverbrauchs.
Die Kommission will auch Zwischenziele festlegen, und die Betreiber sollen regelmäßig melden, wie viel Gas sie gerade gespeichert haben. Wenn die Werte mehr als zwei Prozent unter den Vorgaben liegen, sollen die Mitgliedstaaten Strafen aussprechen.
Von der Berliner Ampelkoalition bekommt die EU-Kommission für ihre Pläne Zustimmung, etwa von Michael Kruse, dem energiepolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: Er begrüße, „dass die EU-Kommission die Bedeutung von Gasspeichern für die Energiesicherheit erkannt hat und hier handeln möchte“, sagte Kruse dem Handelsblatt. Gasspeicher müssten vor einem Missbrauch durch Drittstaaten gesichert werden. „Es darf nicht sein, dass sich Länder wie Russland Zugriff auf unsere kritische Energieinfrastruktur sichern und gegen uns ausnutzen“, so Kruse.
Er setze sich für eine schnelle Umsetzung der Füllstandsvorgaben für Gasspeicher ein, damit bereits zum kommenden Winter ausreichend Gas verfügbar sei. „Besonders wichtig ist mir, dass wir in Deutschland schnell die Zertifizierung von Speicherbetreibern angehen. Damit verhindern wir, dass etwa russische Betreiber die Speicher gegen unsere Interessen einsetzen“, sagte der FDP-Politiker.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat bereits den Entwurf eines Gasspeichergesetzes vorgelegt, der die künftigen Vorgaben der EU-Kommission zum Teil berücksichtigt. Das Gesetz soll am Freitag vom Bundestag beschlossen werden. Der Gesetzentwurf sieht ebenfalls Mindestfüllstände zu bestimmten Terminen des Jahres vor.
Noch nicht berücksichtigt sind im deutschen Gesetz allerdings die von der EU-Kommission vorgesehene Zertifizierung der Speicher-Eigentümer und die Möglichkeit, die Eigentümer zum Verkauf von Anteilen zu zwingen. Möglicherweise muss der deutsche Gesetzentwurf daher nachgebessert werden.
FDP-Politiker Kruse begrüßt den Kurs der Brüsseler Behörde: „Ich halte den Vorschlag für geeignet, Gazprom die Kontrolle über die Gasspeicher in Deutschland zu entziehen und damit die Versorgungssicherheit zu verbessern“, sagte er.
Der Punkt ist aus deutscher Sicht besonders heikel: Hierzulande gehören drei Erdgasspeicher ganz oder teilweise russischen Eigentümern, darunter auch der größte Erdgasspeicher Westeuropas in Rehden. In der Branche heißt es, die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland hätten sich bereits zu Beginn des Winters insgesamt auf niedrigem Niveau bewegt – und nicht nur die Füllstände der drei Erdgasspeicher, die sich ganz oder teilweise in russischer Hand befinden.
Deutlich vorsichtiger geht die EU-Kommission beim Strommarkt vor. Das teure Gas macht auch den Strom teurer, obwohl nur ein kleiner Teil des Stroms mit Gas erzeugt wird. „Es gibt keinen einfachen Weg aus dieser Situation heraus“, sagte eine Kommissionsbeamte. „Änderungen am Markt können den Handel innerhalb der EU stören, Versorgungsrisiken mit sich bringen und sehr teuer werden.“
Doch auf Drängen von Spanien und Frankreich stellt die Kommission dem am Donnerstag und Freitag tagenden EU-Gipfel drei Optionen vor, wie die Strompreise vom Gaspreis entkoppelt werden können: subventioniertes Gas für die Betreiber von Gaskraftwerken, einen Preisdeckel für den Großhandelspreis für Strom, wofür die Gaskraftwerksbetreiber entschädigt werden müssten und eine Abschöpfung von Gewinnen bei anderen Kraftwerksbetreibern, deren Kosten niedriger sind.
„Wir können nicht weitermachen wie bisher“, bestätigt der Strommarktexperte Georg Zachmann vom Institut Bruegel. „Aber das Instrument des Marktes muss erhalten bleiben. Die Politik muss klar klarmachen, dass die Eingriffe nach Beruhigung des Marktes auslaufen und die akuten Eingriffe von längerfristigen Diskussionen über eine grundsätzliche Reform des Energiemarktes getrennt sind. Sonst könnten die Investitionen in erneuerbare Energien darunter leiden.“ In der akuten Krisensituation sei es auch im Interesse der Energieunternehmen, wenn der Staat durch sein eingreifen die Struktur des Sektors sichert.
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