Wenn Gas knapp wird, sind bislang Verbraucher geschützt, die Industrie aber nicht. Der Wirtschaftsminister hält das für problematisch – das stößt nicht überall auf Zustimmung.
Wirtschaftsminister Habeck
Kritik an Gas-Vorstoß.
Bild: IMAGO/Christian Spicker
Berlin Über die Frage, wer im Fall eines Gasnotstands bevorzugt beliefert werden soll, ist eine heftige Debatte entbrannt. Auslöser sind Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der Grünen-Politiker hatte am Dienstag in Wien mit Blick auf die Priorisierung der Gaszuteilung erklärt, dass er auf europäischer Ebene Handlungsbedarf sieht.
Die europäische Verordnung sehe den Schutz von kritischer Infrastruktur und Verbrauchern vor, aber nicht den von Wirtschaft und Industrie. Das mache nur Sinn bei einer kurzfristigen Störung, sagte Habeck. „Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt haben.“ Es gelte daher, die Folgen einer langfristigen Unterbrechung von industrieller Produktion zu berücksichtigen. Es gehe darum, wie private Kunden einen Beitrag leisten könnten, um Gas einzusparen.
Aus der Wirtschaft kam Zuspruch für die Überlegungen des Ministers, Politiker von SPD und Union dagegen äußerten ebenso Kritik wie Verbraucherschützer.
Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, verlangte, die Priorisierung dringend zu ändern. „Industriebetriebe müssen während einer etwaigen Alarmstufe vorrangig Gas erhalten, wenn ihr Bestand oder ihre Produktionsanlagen akut gefährdet sind oder sich infolge der Lieferketten massive Produktionsausfälle über den Betrieb hinaus ergeben würden“, sagte Wolf den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, wies auf die Relevanz von Kühlketten bei einer Priorisierung hin. Diese seien zur Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten unerlässlich und daher systemrelevant, sagte er.
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sprach sich dafür aus, dass solche Entscheidungen von Bund und Ländern gemeinsam getroffen werden müssten. „In einer solch schwerwiegenden Lage wird es notwendig sein, dass Politik derart schwere Abwägungen transparent macht“, sagte Rehlinger dem Handelsblatt. „Ich plädiere dafür, dass diese Entscheidungen, sollten sich Befürchtungen bewahrheiten, gemeinsam und überparteilich zwischen Bundes- und Landesregierungen verabredet werden.“
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Zurückhaltend äußerte sich Rehlinger zu Habecks Vorstoß. „Es macht keinen Sinn, ohne konkrete Zahlen, wie schwerwiegend der Gasmangel ist, Verteilungsdebatten führen zu wollen“, sagte die SPD-Politikerin. Habeck habe aber recht mit seinem Hinweis, dass es im Fall einer Mangellage notwendig sein werde, auch in privaten Haushalten Energie einzusparen. „Denn wenn die Industrie stillsteht, riskieren wir massive Arbeitslosigkeit.“
Eine Sprecherin Habecks betonte am Montag, dass es Habeck vornehmlich ums Energiesparen gehe. „Das heißt Kindergärten, Krankenhäuser, private Verbraucher sind geschützte Verbraucher, und diese werden auch im Fall einer Gasmangellage weiter versorgt und beliefert und nicht abgeschaltet.“
Klar sei aber auch, so die Sprecherin weiter, „dass im Fall einer Gasmangellage alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten müssen“. Dafür brauche es Standards zum Energiesparen.
Über das Energiesicherungsgesetz könnte die Bundesregierung Verordnungen zum Energiesparen erlassen. Dabei könnte es etwa darum gehen, Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen abzusenken. „Niemand soll frieren“, hatte Habeck in Wien betont. Private Haushalte müssten aber auch in die Pflicht genommen werden. Sonst werde es massive Folgen für die Industrie und die Gesamtwirtschaft geben.
Kritik für seine Aussagen zu Gasprioritäten erntete Habeck auch von Deutschlands oberster Verbraucherschützerin Ramona Pop. Dass der Wirtschaftsminister geltendes Recht infrage stelle, „verstärkt die Verunsicherung der Menschen“, sagte die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) dem Handelsblatt.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken dringt ebenfalls auf den Vorrang von Privathaushalten vor der Industrie. Der „Rheinischen Post“ sagte sie, im Gas-Notfallplan sei festgeschrieben, dass soziale Einrichtungen und private Haushalte besonders geschützt seien. Schulen gehörten ihrer Ansicht nach auch dazu.
Der CSU-Verbraucherpolitiker Volker Ullrich sprach mit Blick auf die Priorisierung von Gaslieferungen von einer „falschen Debatte“. „Es muss darum gehen, mit allen Mitteln die Versorgungssicherheit für den Winter zu garantieren“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Dazu gehört auch der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke und die strategische Beschaffung von Gas auf den Weltmärkten.“
Russland hatte zuletzt die Gaslieferungen bereits deutlich reduziert. Durch die Wartung der Pipeline Nord Stream 1 liegen sie sogar seit Anfang der Woche bei null. Unklar ist, ob die Lieferungen nach der Wartung wieder anlaufen – und wie stark. Habeck sprach von dunklen Wolken am Horizont. Es müssten Szenarien besprochen werden, die lange nicht vorstellbar gewesen seien. „Jetzt drängt die Zeit.“
Wegen der drohenden Gasknappheit sieht Verbraucherschützerin Pop dringenden Handlungsbedarf. Es müsse nun für den Ernstfall Vorsorge getroffen werden, aber nicht nur für strauchelnde Energieunternehmen wie den Gasversorger Uniper. Die Bundesregierung hat dem durch die Gaskrise in Schieflage geratenen Energiekonzern Hilfe zugesagt und prüft neben einer Beteiligung noch weitere Optionen.
Pop dringt darauf, dass der Fokus bei den Hilfen nun verstärkt auf die Verbraucherinnen und Verbraucher gelegt wird. „Die Bundesregierung muss jetzt ein drittes Entlastungspaket vorbereiten und nicht erst, wenn die hohen Kosten schon voll durchschlagen“, sagte die VZBV-Chefin.
Insbesondere Menschen mit geringem, aber zunehmend auch mit mittlerem Einkommen würden bei explodierenden Preisen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, warnte Pop. Sie forderte insbesondere für Wohngeldempfänger und Rentner einen höheren Heizkostenzuschuss, der an die Preisentwicklung gekoppelt werden müsse.
Die SPD-Vorsitzende Esken sprach sich für einen „Schutzschirm“ für Verbraucher aus, die sich die hohen Energiepreise nicht mehr leisten könnten. Dieser solle garantieren, „dass die Wohnung warm und Energie bezahlbar bleibt“. Wie dieser Schutzschirm verwirklicht werden soll, sagte Esken nicht.
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Pop verlangte ein Moratorium für Strom-, Gas- und Fernwärmesperren sowie eine Kostenübernahme bei Zahlungsunfähigkeit. Das Gebot der Stunde laute zudem für alle: Energiesparen, sagte Pop weiter. Hier müssten sich alle ihrer Verantwortung stellen – Industrie, Handel, Gewerbe, der öffentliche Sektor und die Privathaushalte. „Aber bitte fair, gerecht und transparent.“
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