Fracking ist in Deutschland umstritten. Angesichts drohender Lücken in der Gasversorgung hoffen Befürworter auf einen Sinneswandel. In der Ampel gibt es weiter Vorbehalte.
Fracking-Station
Ist die Flüssigkeit, die ins Gestein gepumpt wird, wirklich umweltverträglich?
Bild: Andrew Cullen
Berlin Die dramatischen Entwicklungen auf den Energiemärkten verhelfen einer Technologie zu neuer Aufmerksamkeit, die in Deutschland besonders kritisch betrachtet wird: der Förderung von Erdgas mittels der Fracking-Methode. Beim Fracking wird eine Flüssigkeit ins Gestein gepumpt, um das Gestein aufzubrechen und so Gas oder auch Öl zu fördern. Fracking „in Deutschland hat enormes Potenzial“, sagte Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt.
Importiertes Fracking-Gas aus den USA habe eine um 20 Prozent schlechtere CO2-Bilanz, so Kruse. Deshalb sollte die deutsche Politik offen über die Potenziale und Chancen der Ausweitung der deutschen Erdgasförderung diskutieren.
Damit rückt das Thema wieder auf die Tagesordnung. Früher wurde die Fracking-Methode nur angewandt, um die Ausbeute konventioneller Lagerstätten zu erhöhen. Seit über zwei Jahrzehnten werden aber auch nicht konventionelle Lagerstätten, etwa Schiefergestein, mittels Fracking erschlossen. Das geförderte Erdgas wird dann auch als Schiefergas bezeichnet.
Die Methode ist insbesondere in Deutschland sehr umstritten. Gegner der Methode führen die Gefahr von Umweltschäden durch Verunreinigungen der Böden und von möglichen Erdbeben an. Mitte des vergangenen Jahrzehnts hatte die damalige Große Koalition die Versuche scheitern lassen, Fracking auch in Deutschland zuzulassen. Ausnahmen gelten lediglich für Probebohrungen zu wissenschaftlichen Zwecken.
Die Potenziale in Deutschland sind nicht gigantisch, aber auch nicht unerheblich. „In Deutschland wäre allein die Produktion von Schiefergas und damit der Einsatz der Fracking-Technologie als Option greifbar, um zusätzliche Mengen von zehn Milliarden Kubikmetern pro Jahr und mehr für den Markt zu generieren“, sagte Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), dem Handelsblatt.
Das würde „eine erhebliche Entlastung von Importen und Druck auf die heimischen Marktpreise – im besten Interesse der Verbraucher – bedeuten“, betonte Möhring. Eine schlichte Ablehnung der Schiefergas-Option ohne nähere sachliche Betrachtung erscheine vor dem Hintergrund der Versorgungs- und Preiskrise auf dem Gasmarkt riskant.
Zur Einordnung: Der Gasverbrauch in Deutschland belief sich 2020 auf 87 Milliarden Kubikmeter. 55 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases stammten im vergangenen Jahr aus Russland, nur noch fünf Prozent aus – ausschließlich konventioneller – deutscher Produktion.
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2001 stammten nach Angaben des BVEG noch 21 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus Eigenproduktion, 2011 waren es 14 Prozent. Der kontinuierliche Rückgang der Förderung hat verschiedene Gründe. Entscheidender Faktor ist, dass die Vorräte zur Neige gehen. Andererseits ist der Rückgang aber auch Folge gesellschaftspolitischer Debatten und das Resultat von Verschärfungen in den Genehmigungsverfahren.
FDP-Politiker Kruse mahnt zu einem Umdenken. „Alles, was dabei hilft, die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie zu senken, muss ergebnisoffen geprüft werden“, sagte Kruse. Andere FDP-Politiker teilen diese Auffassung.
Der scheidende NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte kürzlich in einem Gastkommentar für das Handelsblatt geschrieben, eine erneute Prüfung des Fracking-Verbots sei „nicht nur mit Blick auf die neuen energiepolitischen Realitäten notwendig“. Sie könne auch „angesichts der international stetig weiterentwickelten Technologie und entsprechender Regelwerke“ zu neuen Erkenntnissen führen.
Darauf verweist auch die Branche: In der jüngeren Vergangenheit seien im Labor Fracking-Flüssigkeiten entstanden, „die zu 99,8 Prozent aus Wasser bestehen“, sagt BVEG-Mann Ludwig Möhring. „Lediglich zwei chemische Zusätze sind erforderlich, die beide nicht giftig, nicht umweltgefährlich, nicht gesundheitsgefährdend, nicht wassergefährdend und jeweils biologisch leicht abbaubar sind“, argumentiert Möhring. Man finde die Stoffe auch in Haushaltsreinigern oder Futtermitteln.
Sollte das zutreffen, verlöre damit ein Hauptargument der Fracking-Gegner an Bedeutung: Sie hatten die Fracking-Flüssigkeit als „Gift-Cocktail“ bezeichnet. Die Förderunternehmen mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, die Bevölkerung über die Zusammensetzung der Fracking-Flüssigkeit im Unklaren zu lassen.
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Auch der Flächenverbrauch der Schiefergas-Produktion hat sich aufgrund technischer Weiterentwicklungen laut BVEG-Mann Möhring erheblich reduziert. Ausschlaggebend dafür sind immer weiter reichende Horizontalbohrungen, die sich mittlerweile über mehrere Kilometer erstrecken. „Damit sind sogenannte Clusterbohrungen mit bis zu 20 Bohrungen möglich, die nur eine Fläche so groß wie zwei Windkraftanlagen einnehmen würden“, sagt Möhring.
Damit wäre die Schiefergasproduktion auch in dicht besiedelten Gebieten möglich, argumentiert der BVEG-Mann.
Mehrheitsfähig dürfte das Thema Fracking innerhalb der Ampelkoalition allerdings kaum sein – jedenfalls im Moment nicht. „Die Debatte über Fracking nützt uns jetzt in dieser Zeit überhaupt gar nichts. Es dauert Jahre, wenn man es überhaupt machen will, um solche Vorkommen zu erschließen“, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich gesagt.
Auch die SPD lehnt Schiefergas-Fracking ab. Hinzu kommt, dass im Bundesland mit den größten Förderpotenzialen, in Niedersachsen, Anfang Oktober ein neuer Landtag gewählt wird. Die Regierungsfraktionen, SPD und CDU, schrecken davor zurück, das in der Bevölkerung kontrovers diskutierte Thema anzupacken.
Im Ausland betrachtet man die Vorsicht Deutschlands beim Thema Fracking mit Verwunderung. „Ich glaube, Fracking ist ein wichtiger möglicher Hebel, den es zu nutzen gilt“, hatte Darren Woods, Chef des US-Öl- und Gasmultis Exxon Mobil, dem Handelsblatt kürzlich gesagt. Es bestehe das Potenzial, „Erdgas in Deutschland durch Fracking zu fördern, das wäre die sicherste Quelle“, sagte er.
Woods verfolgt allerdings auch eigene Interessen: Exxon Mobil fördert im niedersächsischen Emsland Erdgas mit konventioneller Technik. Zweiter großer Gasförderer in Niedersachsen ist Wintershall Dea.
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