Die Kündigung Hunderttausender deutscher Strom- und Gaskunden durch Energiediscounter ruft die Politik auf den Plan. Umstritten ist, ob der Gesetzgeber eingreifen soll.
Drehstromzähler
Im Zuge der stark gestiegenen Preise bei Strom und Gas hatten mehrere Anbieter den Kunden die Lieferverträge gekündigt.
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Berlin Zahlreiche Energiediscounter stellen ihre Strom- und Gaslieferungen ein, die Kunden stehen vor schlagartig höheren Preisen. Vor diesem Hintergrund ist in der Politik eine Debatte über mögliche Konsequenzen entbrannt.
Energieversorgung sei zugleich Daseinsvorsorge, sagte die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, dem Handelsblatt. „Wenn dies bei Preisschwankungen im Segment preiswerter Energieangebote nicht mehr gewährleistet ist, besteht dringender Handlungsbedarf.“ Zwar müssten die Preise gewährleisten, dass die Versorger die vertraglichen Leistungen erfüllen können. Andererseits müssten Verträge auch eingehalten werden.
Die Verbraucherschutzexpertin der FDP, Judith Skudelny, sieht dagegen keinen Handlungsbedarf. „Den Verbrauchern muss bewusst sein, dass ein billiger Vertrag am Ende teuer zu stehen kommen kann“, sagte die Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. Ein billiger Stromtarif am Anfang könne dazu führen, dass man im teuren Ersatztarif der Grundanbieter lande. „So ärgerlich der Vorgang im Einzelnen ist, so wenig sollte die Politik sich darin einmischen“, betonte Skudelny. Die Verbraucherzentralen seien hingegen in der Pflicht, die Preisbildung zu überwachen und sittenwidrigen Tarifen durch Klagen einen Riegel vorzuschieben.
Im Zuge der stark gestiegenen Preise bei Strom und Gas hatten mehrere Anbieter den Kunden die Lieferverträge gekündigt. Allein im Fall des Anbieters Stromio sprechen Verbraucherschützer von mehreren Hunderttausend betroffenen Haushalten. Viele ehemalige Kunden der Billiganbieter fielen in die Ersatzversorgung durch den örtlichen Grundversorger. Diese sind verpflichtet, die Kunden bei Wegfall des bisherigen Lieferanten zunächst weiter mit Strom und Gas zu versorgen.
Die zusätzlichen Mengen an Energie müssen die Versorger nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kurzfristig sehr teuer einkaufen. Viele Grundanbieter führten daraufhin neue Tarife für Neukunden ein. Nach Angaben des Vergleichsportals Check24 vom Montag haben etwa bei Gas mehr als 300 Grundversorger neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Deren Preise lagen um durchschnittlich 184,7 Prozent über den bisherigen Tarifen, was fast eine Verdreifachung bedeutet.
Verbraucherschützern ist diese Praxis ein Dorn im Auge. Am Donnerstag teilte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen mit, dass sie drei Grundversorger wegen der Aufspaltung der Energietarife für Neu- und Bestandskunden abgemahnt habe.
Der BDEW reagierte mit Unverständnis. Es sei der falsche Ansatz, das Problem der gestiegenen Tarife für Neukunden bei den Grundversorgern zu suchen. Der Grund seien „vielmehr die unseriösen Billigstromanbieter“, erklärte die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae, auf LinkedIn. „Sie erfüllen ihre Lieferverpflichtungen nicht und wälzen ihre hausgemachten Probleme auf die Grundversorger ab.“
Auch die Union sieht Handlungsbedarf. „Regulatorisch muss sichergestellt werden, dass die Strom- und Gasanbieter ihre vertraglich zugesagten Lieferungen erfüllen können und damit wirtschaftlich solide aufgestellt sind“, sagte der verbraucherpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Ullrich (CSU), dem Handelsblatt.
Zudem dürften sich die Anbieter nicht regelmäßig aufgrund schwankender Energiepreise auf den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ als Kündigungsgrund berufen. Im Falle einer Kündigung müssten Strom- und Gasanbieter ihre Kunden rechtzeitiger und direkter informieren. „Man kann den Eindruck gewinnen, dass manche unseriöse Strom- und Gasanbieter gerade darauf setzen, dass wegen des höheren Aufwands die betroffenen Kunden im Regelfall auch gegen eine ungerechtfertigte Kündigung nicht vorgehen.“
Die Grünen schlossen ein Eingreifen der Politik nicht aus. „Für die steigenden Energiepreise sind verschiedene Faktoren verantwortlich, unter anderem die Coronapandemie und Auswirkungen des Klimawandels“, sagte die Verbraucherpolitikerin Tabea Rößner dem Handelsblatt. „Daher müssen wir uns genau anschauen, wo konkreter Handlungs- beziehungsweise Regulierungsbedarf gegenüber Billigstromanbietern besteht.“
Unabhängig davon riet die Grünen-Abgeordnete Betroffenen, sich gegen die Kündigung ihrer Lieferverträge zur Wehr zu setzen. Im Zweifel rechtfertige der Preisanstieg nicht die sofortige Kündigung, sagte Rößner. „Insbesondere dann, wenn das jeweilige Unternehmen sich schlicht verkalkuliert hat und nicht genug Strom eingekauft hat.“ In solchen Fällen sei eine Kündigung zulasten der Verbraucher nicht hinzunehmen.
Gleichzeitig halte sie es „grundsätzlich für falsch, voreilig die Grundversorger an den Pranger zu stellen“, fügte Rößner hinzu. Diese müssten schließlich schauen, wie sie die neuen Kunden auffangen können.
Bundesverbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) sieht dagegen die teuren Neukundentarife von örtlichen Grundversorgern kritisch. Wenn für die Kilowattstunde Strom jetzt 90 oder sogar 97 Cent verlangt werden, lasse sich das nicht mehr mit den gestiegenen Beschaffungskosten erklären. „Diese Aufschläge lassen sich meiner Meinung nach schwer mit Marktpreisen rechtfertigen“, sagte Lemke dem Handelsblatt. „Hier sind eventuell auch die Gerichte gefragt.“
Auch der CSU-Politiker Ullrich verlangte, das Preisverhältnis bei den Grundversorgern in den Blick zu nehmen. „Eine zu hohe Spreizung zwischen Standardtarifen und Grundversorgungstarif ist nicht verhältnismäßig“, sagte er. „Auch beim Grundversorgungstarif bedarf es zudem einer sozialen Komponente.“
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart ermahnte die Stadtwerke und andere Grundversorger, die Notlage von Kunden der Billiganbieter nicht auszunutzen. Der FDP-Politiker sagte der „Rheinischen Post“, die Großhandelspreise seien nach ihren Spitzenwerten in der Weihnachtswoche wieder deutlich zurückgegangen. Die Energiekartellbehörde des Landes werde prüfen, ob die Anbieter das gesunkene Preisniveau auch an die Kunden weitergäben, betonte Pinkwart.
Inzwischen geht die Bundesnetzagentur dem Verdacht nach, dass Billiganbieter Gas und Strom gewinnbringend an Großhändler verkauft haben, anstatt ihre eigenen Endkunden zu beliefern.
Parteikollegin Rößner wies derweil darauf hin, dass die Bundesregierung durch eine weitere Senkung der EEG-Umlage und die geplante Erhöhung des Heizungszuschusses beim Wohngeld kurzfristig Abhilfe für die Verbraucher schaffe. „Damit werden viele Betroffene spürbar entlastet“, sagte sie.
Klar sei aber auch, dass die Klimaschutzmaßnahmen nicht der preistreibende Faktor seien und mittelfristig nur dann günstigere Strompreise möglich seien, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent vorangetrieben werde. „Denn Sonne und Wind schreiben keine Rechnung.“
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