Der Bundeswirtschaftsminister betont die rechtlichen Bedenken der EU. Die Energiepreisbremsen sorgen auch in der Erneuerbaren-Branche für Verdruss.
Robert Habeck beim Paper Summit 2022
Je größer die Unternehmen, desto größer seien die Bedenken in Brüssel, erklärte der Bundeswirtschaftsminister.
Bild: IMAGO/Mike Schmidt
Berlin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält Nachbesserungen bei der Strom- und der Gaspreisbremse für die Industrie für ausgeschlossen. „Ich kann Ihnen wenig Hoffnung machen, dass die EU-Kommission da noch mal mit sich reden lässt“, sagte er am Donnerstag bei einer Tagung der Papierindustrie.
Sein Ministerium habe alle Möglichkeiten ausgereizt, es sei nach seiner Einschätzung „kein Millimeter Verhandlungsraum“ übrig. Die EU-Kommission habe zwar keine Probleme mit den von der Bundesregierung geplanten Hilfen für private Haushalte und kleinere Unternehmen. Je größer die Unternehmen jedoch würden, umso größer seien die beihilferechtlichen Bedenken der Brüsseler Behörde, sagte der Bundeswirtschaftsminister.
Die Bundesregierung will private Verbraucher und Unternehmen mit der Strompreisbremse und der Gaspreisbremse entlasten. Kürzlich hatte sie die entsprechenden Gesetzentwürfe vorgestellt. Sie sehen für den Bezug von Gas und Wärme sowie von Strom Basiskontingente für jeden Verbraucher vor. Die Differenz zu den tatsächlichen Preisen trägt der Bund.
Für große Verbraucher aus der Industrie sollen Förderobergrenzen sowie strenge Regeln und Nachweispflichten gelten, um die entsprechenden Vorgaben des EU-Beihilferahmens zu erfüllen. Die EU-Kommission hatte den befristeten Krisenrahmen für Beihilfen (Temporary Crisis Framework, kurz TCF) zuletzt Ende Oktober angepasst und verlängert.
Die TCF-Systematik steht an vielen Stellen im Widerspruch zu den Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission Gas, die das Modell für die Gaspreisbremse entwickelt hatte. Die Bundesregierung hatte zugesagt, das Modell der Kommission in ihrem Gesetzentwurf möglichst umfassend zu berücksichtigen. Widersprüche zum TCF waren damit absehbar.
Die Industrie beklagt, dass bei den geplanten Preisbremsen aus beihilferechtlichen Gründen Obergrenzen eingezogen werden mussten, die aus ihrer Sicht nicht annähernd ausreichen. So gibt es für die Hilfen eine Obergrenze von 150 Millionen Euro je Einzelfall. Dieser Betrag bezieht sich auf die Hilfen bei Gas, Wärme und Strom. Im konkreten Einzelfall kann es sein, dass ein Unternehmen allein schon mit den Hilfen für den Gasbezug die Obergrenze erreicht und für den Strombezug leer ausgeht.
Aus der Chemiebranche heißt es, die Obergrenze von 150 Millionen Euro gehe an der Realität vieler größerer Chemieunternehmen in Deutschland vorbei. Mit dem Betrag ließen sich die extremen Preisanstiege nur zu einem geringen Bruchteil ausgleichen.
Will ein Unternehmen einen höheren Betrag in Anspruch nehmen, muss eine Einzelfall-Notifizierung bei der EU-Kommission erfolgen. In den betroffenen Industriebranchen heißt es, von dieser Möglichkeit werde voraussichtlich kaum Gebrauch gemacht werden, weil sie mit noch strengeren Anforderungen verbunden sei.
Die Ankündigungen von Wirtschaftsminister Habeck machen klar, dass es nur noch in Details Gestaltungsspielraum gibt. Den will die SPD aber nutzen. „Wir wollen im parlamentarischen Verfahren noch einige Dinge reinverhandeln“, sagte Fraktionsvize Matthias Miersch.
Die Sozialdemokraten stören sich unter anderem am Plan der Bundesregierung, dass die Höhe der Entlastung bei der Industrie auf Grundlage des Verbrauchs von 2021 berechnet werden soll. „Jetzt überlegen wir uns mal, was 2021 für ein Jahr war: Da hatten wir noch Pandemie-Lockdowns“, erklärt Verena Hubertz, ebenfalls Mitglied im SPD-Fraktionsvorstand.
Es sei „sehr unfair“, wenn Einzelhandel, Gastronomie und Hotels dadurch geringere Entlastungen erhalten würden, als sie eigentlich bräuchten, weil sie jetzt wieder durchgehend geöffnet haben. Hubertz schlägt vor, anstatt des Vorjahres einen prognostizierten Verbrauch oder jenen aus 2022 zugrunde zu legen.
Allerdings dürfte es nicht viele Fälle geben, für die das einen Unterschied macht. Die meisten Geschäfte, Restaurants oder Hotels werden aufgrund ihrer geringen Größe genauso behandelt wie die privaten Haushalte. Und in diesem Fall ist ohnehin der Plan, die Entlastung anhand der Verbrauchsprognose aus September 2022 zu errechnen.
Hubertz will darüber hinaus erneut infrage stellen, ob Industrie-Unternehmen das subventionierte Gas weiterverkaufen dürfen. Um diese Frage hatten Wirtschaftsminister Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lange gerungen, sich am Ende aber darauf geeinigt, den Weiterverkauf zulassen zu wollen. Ansonsten drohe die Industrie zu wenig Gas einzusparen.
Nicht nur aus Sicht der großen Verbraucher aus der Industrie weisen die geplanten Regelungen zur Strompreis- und zur Gaspreisbremse große Unzulänglichkeiten auf. Auch die Erneuerbaren-Branche blickt kritisch auf die Pläne. Die Kritik der Branche entzündet sich an der geplanten Erlösabschöpfung, die Bestandteil der Strompreisbremse ist.
Insbesondere die Betreiber von Biogasanlagen sehen sich in die Ecke gedrängt. Bei ihnen soll wie auch bei Betreibern von Photovoltaikanlagen, Windrädern, Atom- und Braunkohlekraftwerken der Teil des Umsatzes, der bestimmte Grenzwerte überschreitet, zu 90 Prozent abgeschöpft werden.
Blick auf das Werksgelände von BASF in Ludwigshafen
Die Obergrenze von 150 Millionen Euro für die Industriehilfen seien für große Unternehmen schnell erreicht, zugleich sind die Bedingungen aus Sicht der Branche zu eng gefasst und zu kompliziert.
Bild: dpa
Die Biogasanlagen-Betreiber sehen sich jedoch in einer anderen Situation als die Wind- oder Photovoltaik-Branche. Denn ihre Kosten haben sich in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. Außerdem verweisen sie auf die Systemdienlichkeit ihrer Anlagen. Anders als Windräder oder Photovoltaikanlagen lassen sich Biogasanlagen abhängig vom Strombedarf steuern.
Die Argumente der Betreiber von Biogasanlagen verfangen auch in den Bundesländern. In einem Schreiben des vom Grünen-Politiker Tobias Goldschmidt geführten schleswig-holsteinischen Energie- und Klimaschutz-Ministeriums an das Bundeswirtschaftsministerium heißt es, die Einbeziehung von Biogas in die Abschöpfungspläne sei „nicht plausibel“.
Denn Biogasanlagen gewährleisteten gerade in der aktuellen Gaskrise durch die Möglichkeit flexibler Fahrweise Flexibilität und Stabilität im Stromnetz. Außerdem seien die variablen Kosten bei Biogasanlagen zuletzt stark gestiegen, heißt es in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt.
Auch die Grünen-Bundestagsfraktion ist hellhörig geworden. In einem Schreiben der Grünen-Energiepolitikerin Julia Verlinden an Branchenvertreter heißt es, den Grünen sei mit Blick auf die Abschöpfungspläne bewusst, dass „für erneuerbare Energien wie die Bioenergie gesonderte Regelungen getroffen werden müssen“. Daher setze man sich für Verbesserungen bei der Bioenergie ein.
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