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17.03.2022

04:07

Energieversorgung

Habecks schwierige Suche nach neuen Bezugsquellen für Erdgas, Erdöl und Steinkohle

Von: Moritz Koch, Mathias Brüggmann, Klaus Stratmann

PremiumKurzfristig wird es der Wirtschaftsminister schwer haben, Ersatz für russische Lieferungen zu bekommen. Ein Angebot kommt nun aus dem US-Bundesstaat North Dakota.

Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck forciert die Suche nach neuen Gaslieferanten. dpa

Robert Habeck zu Besuch in den USA

Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck forciert die Suche nach neuen Gaslieferanten.

Berlin, Brüssel Noch Mitte Januar war sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sicher, seine Reisen im Amt würden ihn in jene Weltregionen führen, aus denen Deutschland zu günstigen Bedingungen grünen Wasserstoff beziehen kann. Er werde „die Unternehmen dabei begleiten, Wasserstofflieferverträge international abzuschließen“, hatte er im Handelsblatt-Interview gesagt.

Doch mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich die Vorzeichen gewandelt. Die Zweifel an der Verlässlichkeit des Erdgaslieferanten Russland wachsen, zugleich stehen Forderungen deutscher Politiker im Raum, selbst die Initiative zu ergreifen und russisches Erdgas mit einem Embargo zu belegen.

Habeck muss nun dabei helfen, zusätzliche Erdgasmengen zu beschaffen. Sein Interesse fokussiert sich auf verflüssigtes Erdgas („Liquefied Natural Gas“, kurz LNG) aus anderen Weltregionen. LNG kommt per Tanker in europäische Häfen und kann von dort aus ins europäische Ferngasleitungssystem eingespeist und so auch in Deutschland verfügbar gemacht werden.

Am kommenden Wochenende wird Habeck nach Katar reisen. Katar gehört wie die USA und Australien zu den großen LNG-Exporteuren. Doch können die Kataris kurzfristig liefern? Andreas Goldthau, Professor für Public Policy an der Uni Erfurt, ist skeptisch: „Katar hat 90 bis 95 Prozent seiner LNG-Produktion langfristig verkauft. Das heißt, dass höchstens zehn Prozent der Mengen auf dem Spotmarkt landen und dort kurzfristig eingekauft werden können.“

Bei einer Jahresproduktion Katars von gut 100 Milliarden Kubikmetern (bcm) „reden wir also über zehn bcm, die überhaupt zur Verfügung stehen“, so Goldthau. „Damit kommt man nicht sehr weit.“

Nur begrenzte Alternativen

Zur Einordnung: Allein durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 flossen im vergangenen Jahr 60 bcm. Deutschlands jährlicher Gasverbrauch beträgt rund 90 bcm. Wie ernst die Lage ist, verdeutlicht eine noch unveröffentlichte Studie des auf Energiethemen spezialisierten Beratungshauses E.Venture zur Situation auf dem Gasmarkt. „Die Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen ist dramatisch hoch. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, russische Erdgaslieferungen kurzfristig durch andere Lieferanten zu ersetzen, sehr begrenzt“, sagt Florian Haslauer, Chef von E.Venture.

„Russisches Erdgas kann zu einem Drittel durch eine Reduktion des Gasverbrauchs und zu zwei Dritteln durch Erdgas anderer Lieferanten ersetzt werden. Doch das lässt sich nicht erreichen, indem man einen Schalter umlegt. Es handelt sich vielmehr um einen Prozess, der im günstigsten Fall 2030 abgeschlossen ist“, so Haslauer.

Allein durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 flossen 2021 60 Milliarden Kubikmeter Gas. Deutschlands jährlicher Gasverbrauch beträgt rund 90 Milliarden Kubikmeter. dpa

Gasempfangsstation von Nord Stream 1

Allein durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 flossen 2021 60 Milliarden Kubikmeter Gas. Deutschlands jährlicher Gasverbrauch beträgt rund 90 Milliarden Kubikmeter.

Goldthau sieht mit Blick auf Katar erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts relevante zusätzliche Liefermengen für Deutschland. Katar habe das Potenzial und signalisiere auch die Bereitschaft, seine Produktionskapazitäten auszuweiten, sagt Goldthau. Das lasse sich aber nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. „Nennenswerte zusätzliche LNG-Mengen wird Katar voraussichtlich erst 2026 liefern können. Idealerweise kontrahiert man schon jetzt zumindest einen Teil dieser Kapazitäten“, rät Goldthau.

Deutschland sei in einer Situation, in der man „jeden einzelnen Kubikmeter Erdgas aus aller Welt zusammenklauben“ müsse. „Da nur wenig LNG frei verfügbar ist, wird man andere Abnehmer rauskaufen müssen.“

Ob es allerdings tatsächlich gelingen kann, anderen LNG-Kunden vertraglich zugesicherte Lieferungen abzukaufen, wird in der Branche bezweifelt. „Der Markt ist eng, und auch andere Kunden haben ein dickes Portemonnaie. Daher sind die Potenziale solcher Deals sehr begrenzt“, sagt ein Manager aus der Gasbranche.

Insider berichten allerdings, Habeck werde nicht mit leeren Händen aus Katar zurückkehren. Tatsächlich laufen hinter den Kulissen bereits Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und katarischen Offiziellen. Unangekündigt war vorige Woche schon der katarische Vizepremier und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani nach Berlin gekommen, hatte Außenministerin Annalena Baerbock und Jörg Kukies, den Wirtschaftsberater des Bundeskanzlers, getroffen. Immer wieder werden die Kataris auch als potenzielle Investoren für ein LNG-Terminal in Deutschland genannt.

Kataris könnten Zugeständnisse bei der Regulierung erwarten

Denkbar ist auch, dass die Kataris Zugeständnisse bei der Regulierung erwarten. Die Europäer hatten sich in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die Praxis der Kataris gewehrt, Langfristverträge abzuschließen und diese zusätzlich mit einem Territorialvorbehalt zu verknüpfen: Diese Klauseln verbieten es den LNG-Abnehmern, das LNG in andere Länder weiterzuverkaufen.

Die Regel verstößt gegen die Prinzipien des EU-Binnenmarkts. „Die Europäer müssen deutlich machen, ob sie an ihrer Haltung festhalten wollen“, sagte Goldthau.

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Im Sog der Versorgungskrise könnte auch der Iran wieder ins Geschäft kommen. Am Mittwoch jedenfalls war – ebenfalls nicht öffentlich kommuniziert – Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian in Berlin, wie das Handelsblatt erfuhr.

Teheran will, dass der Westen die inzwischen eingetretene russische Blockade des Iran-Atomabkommens aufzulösen hilft. Moskau torpediert mit angeblichen Bedenken gegen Handelsbeschränkungen wegen westlicher Sanktionen den Nukleardeal, den der Kreml immer wieder gegen den damaligen US-Präsidenten Donald Trump verteidigt hatte.

Der Grund: Russland möchte nicht, dass der Iran zügig wieder Öl exportieren kann. Dies wurde ihm durch Trumps Sanktionen weitgehend unmöglich gemacht. Jetzt wird der Iran gebraucht, um Ölmengen an den Markt zu bringen, die einen Boykott Russlands zu ersetzen helfen würden.

Der Blick der Europäer richtet sich indes auch nach Westen. Vier Tage nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine war Habeck nach Washington gereist – auch um mit den Amerikanern über das Thema LNG zu sprechen.

Verflüssigtes Erdgas kommt per Tanker in europäische Häfen, kann von dort aus ins europäische Ferngasleitungssystem eingespeist und so in Deutschland verfügbar gemacht werden. Reuters

LNG Tanker auf dem Meer

Verflüssigtes Erdgas kommt per Tanker in europäische Häfen, kann von dort aus ins europäische Ferngasleitungssystem eingespeist und so in Deutschland verfügbar gemacht werden.

Doch die Spielräume der US-Gasindustrie seien begrenzt, sagt Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Die USA werden ihre LNG-Ausfuhr innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht erhöhen, weil es an entsprechenden Terminalkapazitäten fehlt. Diese Kapazitäten müssen erst noch ausgebaut werden.“

Auf kurze Sicht können die USA die Situation nicht retten, sondern nur dabei helfen, die Versorgungslücke nicht zu groß werden zu lassen. Auf mittlere Sicht jedoch ergeben sich Chancen. Das Wirtschaftsministerium von North Dakota hat am 7. März ein Strategiepaper an die deutsche Botschaft in Washington geschickt – in der Hoffnung, eine Energiepartnerschaft mit der Bundesrepublik zu schmieden. Der US-Bundesstaat zählt zu den wichtigsten Standorten der amerikanischen Frackingindustrie.

Die Landesregierung von North Dakota sieht eine Win-win-Situation: North Dakota müsse Abnehmer für Erdgas finden, die europäischen Verbündeten hätten signalisiert, „dass sie von russischem Öl und Gas loskommen müssen“, heißt es in dem Strategiepapier, das dem Handelsblatt vorliegt.

Es fehlt die nötige Infrastruktur in North Dakota

Bisher mangelt es an der dafür nötigen Infrastruktur. North Dakotas Wirtschaftsminister James Leiman verspricht im Gespräch mit dem Handelsblatt aber: „Es gibt Kapazitäten im Pipeline-Netz, die wir kurzfristig nutzen können – um auf dieser Basis eine umfassende Partnerschaft aufzubauen.“ Leiman zufolge könnte North Dakota von 2027 an etwa 12,7 bcm Erdgas pro Jahr exportieren.

Auch auf europäischer Ebene bemüht man sich, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu reduzieren. Die EU-Kommission will den Rahmen für eine „gemeinsame Beschaffung“ gestalten, um „strategische Reserven“ aufzubauen.

Die Pläne sind Bestandteil des Konzepts „RePower EU“‧ der EU-Kommission. Den dafür erforderlichen Gesetzesentwurf hat die Kommission schon im Dezember vorgelegt, er muss nun mit den Vorstellungen der Mitgliedstaaten und des Parlaments in Einklang gebracht werden. Die geplanten Regeln zur gemeinsamen Beschaffung sind allerdings freiwillig – die Energiepolitik ist Sache der Mitgliedstaaten.

Das Problem ist, dass die einzelnen Gasmärkte sehr unterschiedlich organisiert sind. In Deutschland etwa liegen die Kaufentscheidungen nicht beim Staat oder staatlichen Konzern, sondern bei Privatfirmen. Vorstellbar wäre, dass die Unternehmen künftig grenzüberschreitende Einkaufsbündnisse schließen. Doch auch hier spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rollte: Kurzfristig lässt sich das kaum arrangieren.

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