Der Gebäudesektor ist einer der größten Energiefresser und Klimasünder. Abhilfe könnte ein Ausstiegsgesetz für Öl- und Gasheizungen bringen.
Heizung
Laut den Autoren des Berichts müssten der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 und der Betrieb bestehender Anlagen schrittweise bis 2035 verboten werden.
Bild: dpa
Berlin Die Wärmeversorgung der Gebäude in Deutschland kann ab 2035 vollständig durch erneuerbare Energien gesichert werden. Zu diesem Ergebnis kommt das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in einer Studie, die im Auftrag der Umweltschutzorganisation Greenpeace erstellt wurde und dem Handelsblatt vorliegt.
Der Gebäudesektor ist einer der größten Energiefresser und Klimasünder. Gut 75 Prozent der Wohngebäude hierzulande sind mit einer Öl- oder Gasheizung ausgestattet, rund ein Drittel der klimaschädlichen Treibhausgase in Deutschland lässt sich dem Sektor zuordnen.
Während die Ölheizung in Deutschland auf dem Rückzug ist, wurden 2021 mehr als 600.000 Gasheizungen neu eingebaut. Darüber hinaus sind viele Gebäude schlecht gedämmt. Gut die Hälfte der insgesamt knapp 22 Millionen Gebäude in Deutschland wurde vor 1977 errichtet, also vor der ersten Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden. Es braucht rund 35 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs, um alle Gebäude in Deutschland zu beheizen, zu kühlen und mit Warmwasser zu versorgen.
Das Wuppertal Institut zeigt nun mit einem „Sofortprogramm für erneuerbare Wärme und effiziente Gebäude“, was konkret passieren muss, dass Gebäude in Deutschland bereits bis 2035 ohne Öl und Gas beheizt werden könnten – zehn Jahre früher als bislang politisch angestrebt.
Dazu, so die Autoren, müssten der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 und der Betrieb bestehender Anlagen schrittweise bis 2035 verboten werden. Greenpeace-Energieexperte Gerald Neubauer zufolge sollte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) die Wärmewende „mit einem Ausstiegsgesetz für Öl- und Gasheizungen beschleunigen“.
Der russische Krieg gegen die Ukraine zeigt laut Neubauer, dass „wir nicht nur aus ökologischen Gründen schneller wegmüssen von fossilen Energien, sondern auch aus politischen“. Bislang plant die Ampelregierung, dass neue Heizungen ab 2025 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen – schon das gilt nicht als einfach.
>> Lesen Sie hier: Die Crux mit der Wärmewende – Was die Umstellung auf klimafreundliche Heizungen so schwierig macht
Ergänzend zu einem Ausstiegsgesetz enthält der vom Wuppertal Institut vorgelegte Sofortplan ein Förderprogramm für zwölf Millionen strombetriebene Wärmepumpen und 70 Millionen Quadratmeter Solarthermieanlagen. Bisher sind in Deutschland gut eine Million Wärmepumpen und 20 Millionen Quadratmeter Solarthermieanlagen installiert.
Damit die beschleunigte Wärmewende gelingt, muss zudem der Energiebedarf der Gebäude sinken, etwa durch eine bessere Dämmung oder den Tausch von Fenstern. Das Sofortprogramm sieht deshalb eine schrittweise Pflicht zur Sanierung ineffizienter Gebäude vor.
Renovierung eines Dachstuhls
Für die Wärmewende müsse der Energiebedarf der Gebäude sinken, etwa durch eine bessere Dämmung.
Bild: imago images / penofoto
Dazu sei eine Bundesförderung für effiziente Gebäude notwendig, die zur Sanierung von jährlich mindestens drei Prozent der Gebäude führt, heißt es. Derzeit liegt die Sanierungsquote bei rund einem Prozent.
Kritiker bezweifeln allerdings, dass dafür genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen, zumal die Bundesregierung das Ziel ausgegeben hat, in jedem Jahr dieser Legislaturperiode für 400.000 neue Wohnungen zu sorgen.
Ebenfalls Teil des Pakets: der Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen und ihre Umstellung auf erneuerbare Energien bis 2035. Fernwärme gilt vor allem für Städte als zukunftstaugliche Option, wird aber bislang vor allem durch die Verbrennung von Kohle und Erdgas erzeugt. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Fernwärme liegt nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei lediglich 17,5 Prozent.
Das Sechs-Punkte-Sofortprogramm „wirkt als Booster für die Wärmewende“, heißt es im Gutachten. Sie sei zweifelsohne eine große Herausforderung, aber auch wirtschaftlich sinnvoll. Der Ausstieg aus Öl und Gas erfordere zunächst zusätzliche jährliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro sowie 22 Milliarden Euro staatliche Fördergelder.
Doch ab 2035, so die Experten, würde die Wärmewende jährlich Kosten in Höhe von netto 11,5 Milliarden Euro reduzieren, weil der Energieverbrauch sinke und damit weniger Geld, vor allem für Öl und Gas, aufgewendet werden müsse.
Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, Ex-Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), meint: „Impulse zur Wärmewende sind in diesen Zeiten wichtig.“ Der nächste Schritt müsse ein Dialog mit allen Beteiligten sein, um Machbarkeiten zu diskutieren.
Auch Messari-Becker, die in Siegen lehrt und sich für die Themen nachhaltiges Bauen und Klimaschutz im Gebäudesektor engagiert, hält es für das richtige Ziel, aus Öl und Erdgas langfristig auszusteigen. Die in der Studie vorgeschlagenen Instrumente hält sie indes für „einseitig und unrealistisch“, den starken Fokus auf Wärmepumpen für nicht zielgerichtet. Notwendig seien unterschiedliche Wege, um Klimaschutz im Gebäudesektor zu erreichen.
Sowohl die Versorgungsinfrastruktur als auch die technischen Voraussetzungen in den Gebäuden selbst seien derart unterschiedlich, dass pauschale Lösungen schlicht unmöglich erschienen.
Messari-Becker pocht zudem darauf, nicht das Einzelgebäude, sondern Quartierslösungen in den Mittelpunkt zu rücken. Im Quartier ließen sich Maßnahmen ökologischer, sozialer und kostengünstiger realisieren, sagte sie dem Handelsblatt. Skeptisch ist sie auch bei einem möglichen Sanierungszwang. „Etwa 35 Prozent der Wohnungseigentümer sind bereits im Rentenalter, sodass Kredite keine Selbstverständlichkeit sind.“
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