PremiumVizekanzler Habeck will einen vergünstigten Stromtarif für die Industrie. Davor warnen nun vier der fünf Wirtschaftsweisen. Sie halten einen Industriestrompreis für gefährlich.
Sachverständigenrat
Achim Truger (2.v.l.) ist für einen Industriestrompreis, Ulrike Malmendier (v.l.), Monika Schnitzer, Veronika Grimm und Martin Werding sind dagegen.
Bild: Sachverständigenrat Wirtschaft
Berlin Die Vorsitzende des Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich gegen die Einführung eines vergünstigten Stromtarifs für die Industrie ausgesprochen. „Einen Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen halte ich nicht für den richtigen Weg“, sagte Schnitzer dem Handelsblatt.
Ein solches Instrument verteile Steuergelder von weniger energieintensiven Branchen in energieintensive Branchen um. „Das bremst den Strukturwandel, der aber dringend notwendig ist“, so Schnitzer. Es sei sinnvoller, wenn bestimmte Grundstoffe in Zukunft aus Ländern mit günstigeren Energiepreisen kämen und Deutschland sich auf Technologie-Produkte konzentriere, bei denen die deutsche Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil hat.
Auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier lehnt das Konzept ab. „Eine solche Preisverzerrung führt bloß dazu, dass die Wirtschaft bei Produktionsweisen hängen bleibt, in denen wir einen strategischen Nachteil haben“, sagte sie dem Handelsblatt. Es sei „kein Argument, dass bestimmte Industrien hier schon seit Jahrzehnten präsent sind“.
Ebenfalls skeptisch ist der Wirtschaftsweise Martin Werding. „Ein Industriestrompreis ist viel zu wenig zielgenau und auch zu rückwärtsgewandt“, sagte er dem Handelsblatt. Mit den finanziellen Mitteln solle der Staat vielmehr die zukünftige Energieversorgung sichern.
Ratsmitglied Veronika Grimm hatte einen Industriestrompreis bereits abgelehnt. Allein Achim Truger spricht sich im fünfköpfigen Sachverständigenrat für das Konzept aus. „Es ist weitgehender Konsens, dass es strategisch wichtige Branchen und Unternehmen gibt, die man im Inland oder in der EU halten möchte“, sagte Truger dem Handelsblatt.
„Ein Industriestrompreis kann ein sinnvolles Element einer Transformationsstrategie sein“, erklärte der Duisburger Ökonom, der auf Vorschlag der Gewerkschaften im Sachverständigenrat sitzt.
Die Wirtschaftsweisen reagieren auf einen Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dieser hatte kürzlich ein Konzept für einen Industriestrompreis vorgelegt: Unternehmen, die eine bestimmte Energie- und Wettbewerbsintensität nachweisen können, sollen demnach für 80 Prozent ihres historischen Stromverbrauchs nur sechs Cent je Kilowattstunde Strom zahlen müssen. Habeck, der von einem „Brückenstrompreis“ spricht, verweist darauf, dass die Regelung bis 2030 befristet werden soll.
Mit Blick auf die aktuellen Konjunkturdaten, wonach die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr in eine technische Rezession gerutscht ist, bekräftigt der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour den Vorstoß. „Die Stärke und Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland wird sich zukünftig auch am Strompreisniveau festmachen“, sagte Nouripour dem Handelsblatt.
Deutschland bleibe global nur konkurrenzfähig, wenn schnell der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben und damit langfristig flächendeckend sicherer, bezahlbarer und sauberer Strom erzeugt würde. Bis dahin „ist es aber richtig und wichtig, für energieintensive Unternehmen eine Brücke zu bauen“, so Nouripour.
Ein zeitlich begrenzter Industriestrompreis – der an Tariftreue, Standortgarantie und eine Verpflichtung zur Transformation gebunden sei – müsse eine solche Brücke sein. „Wenn wir jetzt nicht investieren, kostet uns das Arbeitsplätze, Wohlstand, Wertschöpfung und am Ende die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“
Nouripour erhöht den Druck auf die Koalitionspartner. Denn die FDP lehnt einen Industriestrompreis ab. Es sei „ökonomisch unklug“ und widerspreche den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, auf direkte staatliche Hilfen zu setzen, um die Industrie auf dem Weg der Transformation zu unterstützen, hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner vor einigen Tagen gesagt.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist zurückhaltend. Allerdings gibt es in weiten Teilen der SPD Unterstützung für Habecks Vorschlag. Parteichef Lars Klingbeil hat angekündigt, bei dem Thema zeitnah vorankommen zu wollen. „Ich mache Druck jetzt. Das muss in der Regierung geklärt werden“, hatte Klingbeil in der ARD gesagt.
>> Lesen Sie hier: Wissenschaft gegen Industrie – ein Streitgespräch zum Industriestrompreis
Neben den grundsätzlichen ökonomischen Fragen geht es vor allem ums Geld. Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert die Kosten für den vorgeschlagenen Industriestrompreis auf „durchschnittlich vier Milliarden Euro pro Jahr“. Finanziert werden soll das aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF).
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