Eine von Bundeswirtschaftsminister Altmaier geplante Gesetzesnovelle sorgt in der Branche und in den Bundesländern für Aufregung. Doch der Minister will hart bleiben.
Niedersächsischer Offshore-Windpark
Strom ist im Großhandel im Spotmarkt derzeit für unter vier Cent je Kilowattstunde zu haben.
Bild: dpa
Berlin Es klingt absurd, könnte aber nach den Plänen der Bundesregierung Realität werden: Betreiber von Windparks auf hoher See müssen möglicherweise bald Geld dafür bezahlen, dass sie Strom produzieren dürfen. In der Branche ist der Unmut groß. Auch in den Bundesländern wächst der Widerstand. Große Stromverbraucher in der Industrie sorgen sich, Windstrom könnte unnötig teuer werden.
Geregelt werden soll das Ganze im neuen Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG), das sich derzeit noch im parlamentarischen Verfahren befindet. Das Bundeskabinett hatte die Gesetzesnovelle Anfang Juni verabschiedet, Anfang Juli wurde sie in den Bundestag eingebracht, Ende September soll der Bundestag sie beschließen.
Der Entwurf regelt, unter welchen Bedingungen Bieter den Zuschlag für den Bau von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee bekommen. Grundsätzlich gilt, dass derjenige Bieter den Zuschlag bekommt, der sich mit den geringsten Vergütungen je Kilowattstunde Strom begnügt.
Bei vergangenen Ausschreibungsrunden lag die Untergrenzen für Gebote bei null Cent. Es gab bereits mehrere Betreiber, die den Zuschlag zu null Cent bekamen und somit auf eine staatlich garantierte Vergütung für die Einspeisung des Stroms ins Netz verzichteten. Die Betreiber suchen sich dann Abnehmer, etwa in die Industrie, mit denen sie Direktabnahmeverträge schließen.
Nun fällt die Untergrenze von null Cent weg: Sollten mehrere Bieter bereit sein, sich mit null Cent je Kilowattstunde zu begnügen, also auf eine staatlich garantierte Vergütung verzichten, will der Gesetzgeber eine „zweite Gebotskomponente“ einführen.
Das bedeutet: In Zukunft sollen sämtliche Bieter, die ein Null-Cent-Gebot abgegeben haben, in einer zweiten Runde einen Betrag bieten, den sie zu zahlen bereit sind, um den Zuschlag zu bekommen. In der Branche ist wahlweise von „Eintrittsgeld“ oder auch von „Strafzahlung“ die Rede. Der zahlungsfreudigste Bieter erhält dann den Zuschlag.
Zur Begründung heißt es im Bundeswirtschaftsministerium, das „dynamische Gebotsverfahren“ führe dazu, dass sich „das wirtschaftlich stärkste Gebot in der Ausschreibung durchsetzen kann“. Die so ermittelte „zusätzliche Zahlungsbereitschaft“ der Betreiber werde genutzt, um die Offshore-Netzumlage zu senken und somit alle Stromkunden zu entlasten.
Die Branche rechnet mit gravierenden Folgen. Die „zweite Gebotskomponente“ erhöhe die Investitionsrisiken und führe damit zwangsläufig zu höheren Stromentstehungskosten, argumentiert der Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore (BWO). Außerdem sinke die Realisierungswahrscheinlichkeit, weil potenzielle Betreiber nach dem Zuschlag möglicherweise einen Rückzieher machen könnten.
Zugleich führe die Regelung dazu, dass nur Bieter mit hoher Risikoaffinität den Zuschlag erhielten, mittelständische Projektierer und Stadtwerke würden so vom Markt verdrängt, die Akteursvielfalt werde reduziert. Insgesamt würde Deutschland im Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern als Investitionsstandort für Offshore-Windparks unattraktiv, so die Befürchtung des BWO. "Wenn das die Antwort der Bundesregierung auf den steigenden Bedarf an grünem Strom ist, werden wir mit dem deutschen Sonderweg die Energie- und Wasserstoffwende unnötig verzögern", sagte BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm.
Der BWO schlägt vor, dem Vorbild von Großbritannien, Dänemark oder Frankreich zu folgen, wo man ein anderes Ausschreibungsverfahren einsetzt: In diesen Ländern arbeitet man mit Differenzverträgen (Contracts for Difference, kurz CfD).
Das Konzept dahinter: Der Bieter legt mit seinem Gebot einen Preis fest, zu dem er den Strom aus seinem Offshore-Windpark bei einem Zuschlag verkaufen würde. Liegt der Marktpreis des Stroms unterhalb des bezuschlagten Preises, bekommt der Anlagenbetreiber die Differenz ausgezahlt. Liegt der Marktpreis über dem bezuschlagten Preis, müssen die Gewinne abgegeben werden.
Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt CfD-Modelle ab. Für die Umstellung auf Differenzverträge bestehe „kein Erfordernis“, heißt es aus dem Ministerium. Die Marktakteure seien in der Lage, Strompreisrisiken zunehmend am Markt abzusichern, etwa durch Direktabnahmeverträge. „Die Einführung von Differenzverträgen stünde dieser Entwicklung entgegen“, argumentiert man im Ministerium.
Die Länder sehen das anders. In einer Stellungnahme des Bundesrates von Anfang Juli heißt es, die Bundesländer befürchteten, dass die zweite Gebotskomponente „zu zusätzlichen Investitions- und Realisierungsrisiken führen kann“. Man fordere den Bundesgesetzgeber daher auf, die Regelung zu streichen. Der Bundesrat regt in seinem Beschluss an, das Modell der Differenzverträge einzuführen.
Gerade in den Küstenländern sind die Vorbehalte gegen die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) groß. „Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums passt nicht ins europäische System. Mittlerweile haben sich Differenzverträge als effizient und erfolgreich erwiesen. Wir sollten diesem Modell folgen und den Systemwechsel jetzt einleiten“, sagte der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) dem Handelsblatt.
„Eine Reduzierung der Akteursvielfalt, die nach meiner Überzeugung eine der Folgen einer zweiten Gebotskomponente wäre, macht es am Ende für alle teurer“, warnt der SPD-Politiker. „Die zweite Gebotskomponente schreckt Investoren ab. Damit verliert Deutschland im Wettbewerb der Standorte. Letztlich gefährden wir damit die Ausbauziele“, sagt Lies.
Unterstützung erhält Lies aus der SPD-Fraktion im Bundestag. Die Kosteneinsparungen durch die zweite Gebotskomponente seien durch die damit verbundenen Risikoaufschläge wahrscheinlich geringer als im Falle von Differenzverträgen, sagte Johann Saathoff, energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. „Für uns ist eine Wette auf die beste Strompreisprognose kein zielführendes Marktdesign“, sagte der Politiker. Für die SPD sei ein stetiger Ausbau der Windkraft auf See wichtig. „Viel zu oft haben wir in den vergangenen Jahren Auf- und vor allem Abschwünge erlebt“, so Saathoff.
Die Branche sieht die Ausbausziele für die Offshore-Windkraft in Gefahr. Im weltweiten Wettbewerb um Investitionen in erneuerbare Energien sei Deutschland mit seinem Ausschreibungsdesign „kaum wettbewerbsfähig“, sagte Anja-Isabel Dotzenrath, Chefin von RWE Renewables, dem Handelsblatt. Investoren seien sich weitgehend einig: Das deutsche Modell habe zu viele Nachteile für die Gesellschaft, für die Zulieferindustrie und auch für Investoren.
Auch Dotzenrath propagiert Differenzverträge. Die Chefin von RWE Renewables verweist auf die Erfahrungen in Großbritannien. Dort werde „mittlerweile von förderfreien Differenzverträgen gesprochen, da die Gebote in den letzten Ausschreibungen so niedrig lagen, dass die britische Regierung für die bezuschlagten Projekte keinerlei Zahlung von Fördergeldern mehr erwartet“.
Die Bundesregierung steckt in einer Zwickmühle. Einerseits hat sie Interesse an einem zügigen Ausbau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien; Ziel ist es, den Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch bis 2030 von derzeit 49 Prozent auf 65 Prozent zu steigern. Andererseits setzt sie alles daran, die Kosten für die Förderung im Griff zu behalten.
Gerade in der Anfangsphase des Offshore-Ausbaus musste die Politik viel Lehrgeld bezahlen. Die Netzanbindung erwies sich als extrem aufwendig und kostenträchtig. Zugleich waren die anfangs gezahlten Vergütungen sehr hoch. Darunter leiden die Stromverbraucher noch lange. Die Kosten für die Garantievergütungen werden auf die Stromverbraucher umgelegt.
Noch bis Ende 2019 galt für die Inbetriebnahme von Windparks das aus Betreibersicht sehr lukrative Stauchungsmodell, das in den ersten acht Betriebsjahren eine Vergütung von 19,4 Cent je Kilowattstunde garantiert – ein aus heutiger Sicht unglaublich hoher Wert. Zum Vergleich: Strom ist im Großhandel im Spotmarkt derzeit für unter vier Cent je Kilowattstunde zu haben.
Doch die Lage hat sich grundlegend geändert. Die Branche hat enorme Fortschritte gemacht. Die Kostendegression ist beachtlich. In den Ausschreibungsrunden der Jahre 2017 und 2018 bekamen allein fünf Projekte einen Zuschlag zu null Cent, die Betreiber verzichten also auf eine garantierte Vergütung. Die Parks werden bis 2025 in Betrieb genommen.
Grundsätzlich misst die Bundesregierung der Offshore-Windkraft große Bedeutung bei. So soll mit dem neuen WindSeeG auch geregelt werden, die Ziele für den Ausbau der Windkraft in der Nord- und Ostsee für 2030 von 15 auf 20 Gigawatt zu erhöhen. Für 2040 werden 40 GW angepeilt. Die Offshore-Windenergie wird damit zu einer tragenden Säule der Stromerzeugung. Zur Veranschaulichung: Eine installierte Leistung von 20 GW entspricht der Leistung von 20 großen Kohle- oder Atomkraftwerken.
Angesichts sinkender Stromgestehungskosten wird die Offshore-Windenergie auch für große Stromverbraucher aus der Industrie interessant. Unternehmen aus der Chemie- oder Metallbranche sichern sich mittlerweile mit Direktabnahmeverträgen den Zugriff auf grünen Strom. Sie befürchten, die vom Bundeswirtschaftsministerium geplante „zweite Gebotskomponente“ könnte den Offshore-Windstrom unnötig verteuern.
In einem Schreiben, das die Industriekonzerne Covestro, Trimet und Wacker gemeinsam mit Unternehmen der Windbranche an Minister Altmaier versandt haben, heißt es daher, die Pläne des Ministeriums seien „das grundlegend falsche Signal“. Differenzverträge wären „die bessere Option für die Versorgung der Industrie mit international wettbewerbsfähigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen“, heißt es in dem Schreiben.
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