Niedersachsens Ministerpräsident will die Industrie bei den Herausforderungen der Energiewende politisch unterstützen. Hoffnungsträger ist grüner Wasserstoff.
Stephan Weil
Der Ministerpräsident des starken Industriestandorts Niedersachen setzt auf Wasserstoff als Hoffnungs- und Energieträger.
Bild: imago images/Sven Simon
Hannover Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat die Bundesregierung zu einer aktiveren Industriepolitik aufgefordert. „Mit der Digitalisierung und den dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen hat sich die Industrie auf eine Reise gemacht, auf der sie die Unterstützung der Politik benötigt“, sagte er dem Handelsblatt.
Es habe keinen wichtigeren Zeitpunkt für eine strategische Industriepolitik gegeben als jetzt. Im Zentrum steht für ihn die Umstellung auf Wasserstoff als neuen Treibstoff.
Weil mahnte vor allem einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien an, der zuletzt ins Stocken geraten war. „Energiepolitik ist der Flaschenhals für die künftige industrielle Entwicklung.“ In Berlin sei dies zu lange völlig ignoriert worden. Mit seiner Kritik zielte er insbesondere auf Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). „Bei einem Treffen im Bundeskanzleramt haben kürzlich 16 Ministerpräsidenten den energiepolitischen Stillstand im Wirtschaftsministerium kritisiert – ganz gleich welcher Partei sie angehören.“ Er begrüße es daher, dass sich das Kanzleramt jetzt spürbar mehr engagiere.
Kern einer Industriepolitik sollte aus Sicht von Weil eine Fokussierung auf Wasserstoff, der aus regenerativen Energien erzeugt wird. „Wenn wir nicht offensiv darauf umstellen, laufen Teile der Industrie aufgrund der Verknappung der CO2-Zertifikate Gefahr, nicht mehr wirtschaftlich zu sein“, sagte der SPD-Politiker. Diese Zertifikate für den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) müssen die Firmen vom Staat erwerben.
Da die Entwicklung von Wasserstofftechnologien sehr kostspielig ist, will Weil die Unternehmen staatlich dabei fördern. „Realistischerweise wird es nicht ohne eine Beteiligung des Staats gehen.“ Er verwies dabei auf die Stahlindustrie, die für die Umstellung eines Hochofens auf grünen Wasserstoff eine Milliarde Euro investieren müsse.
Herr Weil, Niedersachsen betreibt mit Beteiligungen an VW und Salzgitter eine aktive Industriepolitik. Ist dies im Jahr 2020 wirklich nötig?
Ja, natürlich. Es gibt keinen wichtigeren Zeitpunkt als jetzt für eine strategische Industriepolitik. Mit der Digitalisierung und den dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen hat sich die Industrie auf eine Reise gemacht, auf der sie die Unterstützung der Politik benötigt. Wie wichtig das ist, zeigt sich insbesondere an der Energiepolitik.
Nämlich?
Wir haben beim Klimaschutz heute ein ganz anderes Tempo drauf als vor einigen Jahren. Mit dem Ausstieg aus Atom und Kohle stellen wir den Energiemix grundlegend um. Absurderweise wird zugleich der Ausbau der Windenergie durch die Bundesregierung blockiert. Wie soll das in Zukunft funktionieren – zumal der Strombedarf steigen wird aufgrund der Elektromobilität.
Wer blockiert den Ausbau der Erneuerbaren – die Unternehmen?
Die Energiewirtschaft hat sich auf die neue Zeit eingestellt. Eon und RWE etwa haben ihre Strategie komplett geändert und treiben heute den Ausbau von Wind-, Wasser- und Solarkraftanlagen voran.
Also hakt es in der Politik?
So ist es leider, und das sehe nicht nur ich so. Bei einem Treffen im Bundeskanzleramt haben kürzlich 16 Ministerpräsidenten den energiepolitischen Stillstand im Wirtschaftsministerium kritisiert – ganz gleich, welcher Partei sie angehören. Ich begrüße es sehr, dass sich das Kanzleramt jetzt spürbar mehr engagiert. Energiepolitik ist der Flaschenhals für die künftige industrielle Entwicklung. In Berlin wurde dieser Fakt zu lange völlig ignoriert.
Acht Jahre nach dem Atomausstieg kommt diese Einsicht reichlich spät. Wie soll die Energiewende gestemmt werden?
Notwendig sind Mut, Konsequenz und eine klare Strategie. Schon jetzt haben wir einfache Mittel, mit denen der Wandel beschleunigt werden könnte. Mittels einer konsequenten Digitalisierung könnte zügig mindestens ein Fünftel mehr Energie durch die Stromtrassen geleitet werden.
Warum passiert da nichts?
Fragen Sie mich nicht. Was die stockenden Genehmigungen neuer Windanlagen anbelangt, müssen wir alle im Übrigen akzeptieren, dass technologische Veränderungen Schattenseiten haben. Für den Kohleabbau wurden ganze Landschaften verändert. Die Errichtung von Windkraftanlagen geht nicht ohne Beeinträchtigungen für Anwohner.
Sie sind für eine Entschädigung von Anwohnern, wie von Wirtschaftsminister Altmaier geplant?
Anwohner sowie Kommunen sollten davon profitieren, wenn in ihrer Nähe eine Windanlage gebaut wird. Das kann über einen reduzierten Strompreis erfolgen oder durch eine Umsatzbeteiligung.
Die Energiebranche wurde als eine der ersten von Veränderungen getroffen, weitere folgen. Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie erhalten bleiben?
Wir brauchen eine vorausschauende Industriepolitik. Ohne rasche, mutige Innovationen werden wir das nicht hinbekommen. Ein wichtiger Hebel könnte dabei Wasserstoff aus erneuerbaren Energien sein.
Dafür werden gigantische Summen nötig sein. Sollen die Firmen die Investitionen selbst stemmen?
Realistischerweise wird es nicht ohne eine Beteiligung des Staats gehen. Das passiert bei der Umstellung auf die Elektromobilität und wird auch andere Bereiche betreffen. Denken Sie an die Stahlindustrie – bei der Umstellung auf grünen Wasserstoff gilt die Faustformel: ein Hochofen, eine Milliarde Euro.
Für Sie ist Wasserstoff das Zaubermittel für eine ökologische Industriereform?
Einen Zaubertrank gibt es nicht, aber die Wasserstofftechnologie wird eine entscheidende Rolle spielen. Wenn wir nicht offensiv darauf umstellen, laufen Teile der Industrie aufgrund der Verknappung der CO2-Zertifikate Gefahr, nicht mehr wirtschaftlich zu sein.
Sie sprechen von Zertifikaten für den CO2-Ausstoß, die die Unternehmen vom Staat erwerben müssen.
Ja, die Zahl der ausgegebenen Emissionszertifikate wird sukzessive verringert. Deshalb steigen die anfangs sehr niedrigen Preise. Das geht ins Geld und ist auf Dauer für die Firmen nicht zu stemmen. Die Umstellung auf Wasserstoff ist dafür die einzige Alternative und muss konsequent angegangen werden.
Warum aber soll der Steuerzahler diese Investitionen bezahlen?
Gegenfrage: Können wir uns den Niedergang unserer Industrie leisten? Als Regulierer zieht der Staat zu Recht Grenzen ein, wie etwa eine Limitierung der CO2-Zertifikate. Auf dem Weltmarkt aber konkurrieren unsere Stahlhersteller mit Wettbewerbern aus Ländern, in denen es derartige Belastungen nicht gibt. Uns muss doch klar sein: Auch künftig wird weltweit in etwa gleich viel Stahl produziert werden. Ohne eine aktive Industriepolitik passiert das anderswo unter schlechteren Umweltbedingungen.
Herr Weil, vielen Dank für das Gespräch.
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