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04.09.2022

13:12

Entlastungspaket

Strompreisbremse, Direktzahlungen, höheres Kindergeld und Nahverkehrsticket – So will die Koalition die Bürger entlasten

Von: Martin Greive, Julian Olk

PremiumDas Energie-Entlastungspaket steht. Es hat einen Umfang von über 65 Milliarden Euro. Vor allem untere Einkommen und Rentner bekommen mehr Unterstützung.

Kanzler Olaf Scholz mit den Parteichefs bei den Verhandlungen über das dritte Entlastungspaket dpa

Kanzler Olaf Scholz mit den Parteichefs

Die Ampelverhandlungen über das dritte Entlastungspaket begannen gegen zwölf Uhr – und dauerten bis sechs Uhr am Sonntagmorgen an.

Berlin Direktzahlungen für Rentner und Studierende, eine Strompreisbremse, Hilfen für Unternehmen sowie ein Abschöpfen von Zufallsgewinnen: Die Bundesregierung hat sich am Sonntagmorgen nach 22 Stunden Verhandlungen auf ein umfangreiches Energieentlastungspaket verständigt.

Insgesamt sieht die Ampel zur Abfederung der stark steigenden Energiepreise Hilfen für Bürger und Unternehmen im Umfang von über 65 Milliarden Euro vor. Damit sei das Paket doppelt so groß wie die ersten beiden zusammen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Das dritte Entlastungspaket hat eine große Dimension. Es ist sehr viel, was wir bewegen, und es ist notwendig“, so Scholz.

Konkret fasste die Ampel-Koalition im dritten Entlastungspaket folgende Beschlüsse:

  • Direktzahlungen: Rentnerinnen und Rentner sollen einmalig eine Energiepreispauschale von 300 Euro erhalten, das entspricht einer Entlastung von sechs Milliarden Euro. Studierende erhalten einmalig 200 Euro.
  • Einführung einer Strompreisbremse: Um die Haushalte bei den Strompreisen zu entlasten, wird eine Strompreisbremse eingeführt und der Anstieg der Netzentgelte gedämpft. Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll künftig ein vergünstigter Preis gelten.Das werde eine „dramatische Entlastung“ sein, kündigte Scholz an.
  • Abschöpfen von Zufallsgewinnen: Finanzieren will die Bundesregierung dies, indem sie „Zusatzgewinne“ von Unternehmen abschöpft. Dafür sieht die Koalition eine „Erlösobergrenze für Anlagen der Stromerzeugung mit geringer Kostenbasis“ vor. Dabei handle es sich explizit nicht um eine klassische „Übergewinnsteuer“. Die übermäßigen Gewinne sollen laut Scholz „abgeschöpft werden, so wie das bei der EEG-Umlage der Fall ist, nur umgekehrt“.
  • Niedrigerer CO2-Preis: Um die Bürger sowie Unternehmen weiter zu entlasten, wird die für den 1. Januar 2023 anstehende Erhöhung des CO2-Preises um fünf Euro pro Tonne im Brennstoffemissionshandel um ein Jahr verschoben.
  • Höheres Kindergeld: Um Familien zu unterstützen, wird das Kindergeld über das verfassungsrechtlich erforderliche Maß hinaus zum 1. Januar 2023 um 18 Euro erhöht. Für eine Familie mit zwei Kindern bedeutet das 432 Euro jährlich mehr für die kommenden zwei Jahre. Auch der Kinderzuschlag für Alleinerziehende wird nochmals auf 250 Euro monatlich angehoben.
  • Wohngeldreform: Der Wohngeldanspruch wird ausgeweitet, der Kreis der Berechtigten steigt dadurch von 700.000 auf zwei Millionen. Wohngeldberechtigte erhalten zudem einmalig einen Heizkostenzuschuss von 415 Euro.
  • Entlastung bei den Sozialbeiträgen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen werden bei den Sozialbeiträgen um 1,3 Milliarden Euro entlastet. Sie müssen künftig erst ab einem Einkommen von 2000 Euro volle Sozialbeiträge zahlen. Dazu wird die sogenannte Midijob-Grenze, die im Oktober von 1300 auf 1600 Euro steigt, ab Januar 2023 auf 2000 Euro angehoben.
  • Unternehmenshilfen: Die bestehenden Hilfsprogramme werden bis Ende 2022 verlängert. Für energieintensive Unternehmen, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht weitergeben können, wird ein neues Hilfsprogramm aufgelegt. Zudem will die Regierung Unternehmen bei Investitionen unterstützen. Zugleich wird der sogenannte Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen um ein weiteres Jahr verlängert, ebenso das Kurzarbeitergeld bis Ende 2022 und der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Gastronomen in Höhe von sieben Prozent.
  • Nachfolge Neun-Euro-Ticket: Die Spitzen der Regierungsparteien haben sich auch auf ein Nachfolgemodell für das Neun-Euro-Ticket geeinigt. Auch künftig soll es ein bundesweites Nahverkehrsticket geben, Ziel sei eine Preisspanne zwischen 49 und 69 Euro im Monat. Die Länder müssen der Finanzierung noch zustimmen. Der Bund stellt dafür 1,5 Milliarden Euro bereit.

Daneben umfasst das Programm eine Reihe von Maßnahmen, die schon länger geplant waren, etwa die Einführung eines „Bürgergelds“, das an die Stelle von „Hartz IV“ treten soll, oder den Abbau schleichender Steuererhöhungen.

Der Abbau der heimlichen Steuererhöhungen war koalitionsintern umstritten. Nun bleibt es wie von Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeschlagen dabei, dass die Steuersätze Ende des Jahres an die Inflation angepasst werden. Dadurch greifen bestimmte Steuersätze erst ab höheren Einkommen, wodurch alle Steuerzahler entlastet werden. Ausnahme: Für diejenigen, die über 277.000 Euro verdienen und somit den „Reichensteuersatz“ von 45 Prozent zahlen, wird es keine Verschiebung geben.

Allerdings konnte Lindner durchsetzen, dass die Steuersätze Ende des Jahres an die dann tatsächliche Inflation angepasst werden, und nicht an die derzeitige. Das dürfte die Steuerzahler aufgrund der hohen Preissteigerungen noch einmal zusätzlich um einige Milliarden Euro entlasten. Bisher hatte Lindner die Entlastung auf zwölf Milliarden Euro taxiert.

So soll das dritte Entlastungspaket finanziert werden

Das Entlastungspaket belaste den Bundeshaushalt in diesem und nächsten Jahr um zusammen 32 Milliarden Euro. Dennoch sei kein Nachtragshaushalt für 2022 nötig, auch werde der Bund wie geplant ab 2023 wieder ohne die Nutzung der Ausnahmeregelung der Schuldenbremse auskommen, da es im Haushalt noch Spielräume gebe. Seit Ausbruch der Coronapandemie hatte die Bundesregierung die Schuldenbremse de facto ausgesetzt.

Dass nur die Hälfte des gesamten Entlastungspaket von 65 Milliarden Euro haushaltswirksam wird, hat zwei Gründe: Erstens beteiligen sich auch Länder und Kommunen an den Kosten des Pakets. Des Weiteren wird die Strompreisbremse über das Abschöpfen der Zusatzgewinne außerhalb des Haushalts finanziert. Dies allein macht rund zwölf Milliarden Euro aus.

Keine Entscheidung traf die Bundesregierung in der Frage, ob die Laufzeit der drei Atomkraftwerke verlängert wird, die eigentlich Ende des Jahres vom Netz gehen sollen. Hier wird aber mit einer Entscheidung in den nächsten Tagen gerechnet.

Rentner und Studierende waren zuletzt leer ausgegangen

Die Bundesregierung war zuletzt unter Druck geraten, auf die immer weiter steigenden Preise zu reagieren und für weitere Entlastungen zu sorgen. Sie hatte zwar in diesem Jahr zuvor bereits zwei Entlastungspakete von insgesamt 30 Milliarden Euro geschnürt. Allerdings gingen bei der im zweiten Entlastungspaket verabschiedeten Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro Rentner und Studierende leer aus, während Gutverdiener die Pauschale erhielten, was zu erheblicher Kritik führte.

„Positiv am Entlastungspaket ist das erkennbare Bemühen, Preissignale wirken zu lassen, auch wenn das beim Gas nicht durchgehalten wurde.“ dpa

Ifo-Chef Clemens Fuest

„Positiv am Entlastungspaket ist das erkennbare Bemühen, Preissignale wirken zu lassen, auch wenn das beim Gas nicht durchgehalten wurde.“

Auch liefen Entlastungen aus dem zweiten Paket wie der sogenannte Tankrabatt oder das Neun-Euro-Ticket zum 1. September bereits wieder aus, ohne dass es Nachfolgeregelungen gab. Tanken sowie der öffentliche Nahverkehr sind damit seit Montagsbeginn wieder deutlich teurer. Zusätzlich hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschärft. Im August kletterte die Inflationsrate in Deutschland auf 7,9 Prozent. Die Bundesbank rechnet im Jahresverlauf sogar mit zweistelligen Inflationsraten.

Neben Lebensmitteln wird vor allem Energie immer teurer. Weil Russland die Gasimporte nach Deutschland drosselt und zwischenzeitlich sogar ganz eingestellt hat, steigen die Gas- und Strompreise in nie gekanntem Ausmaß.

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Viele Bürger müssen plötzlich teils das Dreifache für Strom und Gas zahlen. Insbesondere untere Einkommen können die Mehrbelastungen kaum schultern. Weitere Unterstützung sei deshalb auch eine Frage des sozialen Zusammenhalts, betonte Kanzler Scholz.

Lange und „schwierige“ Verhandlungen über das dritte Entlastungspaket

Die Verhandlungen der Koalitionsspitzen über das dritte Entlastungspaket hatten am Samstag verspätet begonnen und waren im Laufe des Nachmittags und Abends als „sehr intensiv“ und „schwierig“ beschrieben worden. Die Koalitionsspitzen waren am Samstag bereits um neun Uhr ins Kanzleramt gekommen. Zunächst berieten Kanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in kleiner Runde miteinander.

Anschließend berieten die Parteien drei Stunden lang zunächst getrennt voneinander. Auch, um überhaupt erst die Tischvorlage in Ruhe durchzulesen, die Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) nach Telefonaten mit den drei Regierungsfraktionen für den Koalitionsausschuss angefertigt hatten. Die eigentlichen Ampelverhandlungen begannen gegen zwölf Uhr – und dauerten bis sechs Uhr am Sonntagmorgen an. Ein Versprechen konnte die Ampel somit nicht einlösen: Dass unter ihr die Zeit der langen Nachtsitzungen vorbei ist.

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