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26.10.2021

18:18

Erste Bundestagssitzung

Zeit des Machtwechsels: Merkel geht – aber noch nicht so ganz

Von: Thomas Sigmund

PremiumBei der ersten Bundestagssitzung gab es viele Abschiede. Kanzlerin Merkel bleibt noch geschäftsführend im Amt. Eine erste Zäsur dagegen ist die Wahl der Bundestagspräsidentin.

Der Bundespräsident bat Merkel, die Regierungsgeschäfte noch so lange weiterzuführen, bis ein neuer Kanzler gewählt wird. Reuters

Frank-Walter Steinmeier gibt Angela Merkel die Entlassungsurkunde

Der Bundespräsident bat Merkel, die Regierungsgeschäfte noch so lange weiterzuführen, bis ein neuer Kanzler gewählt wird.

Berlin Peter Altmaier saß zwei Reihen hinter der Bundeskanzlerin auf der Ehrentribüne. Der Bundeswirtschaftsminister von der CDU hatte vor der konstituierenden Sitzung des Bundestags am Dienstag noch eine launigen Tweet abgesetzt: „Guten Morgen Deutschland! Heute endet meine Mitgliedschaft im Bundestag – nach 27 guten Jahren.“ Am Ende schrieb er: „Danke für Support und sorry für Fehler. Macht’s gut & besser! Thx!“

Doch je länger im Plenum die 736 neu gewählten Frauen und Männer debattierten und das Bundestagspräsidium wählten, desto mehr schien Altmaier seinen Jahren als Parlamentarier nachzutrauern, wenn man seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. Viel lachen sah man den jovialen Saarländer nicht.

Es war ohnehin eine Parlamentssitzung der Abschiede, aber auch des Neuanfangs. Allein durch die vielen jungen Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Doch zuvor meinte der FDP-Ehrenvorsitzende Hermann Otto Solms: Er gehe zufrieden und zuversichtlich. Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bedankte sich für die „vielen erfüllten Jahre“ im Parlament.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus stellte fest, man müsse die Oppositionsrolle noch üben. Und CDU-Chef Armin Laschet wirkte etwas verloren unter den Abgeordneten. Gespannt war man aber vor allem auf die Rede von Wolfgang Schäuble, der von der SPD-Frau Bärbel Bas im Amt des Bundestagspräsidenten abgelöst wurde.

In seiner Rede als Alterspräsident mahnte er eine dringende Wahlrechtsreform an. Mit Blick auf den an Mitgliedern bisher größten Bundestag sagte er, dass sich keine politische Kraft einer Reform zur Verkleinerung entziehen dürfe. Ein Satz, der vor allem auf die eigene Unionsfraktion gemünzt war, die sich gegen ein schlankeres Parlament bisher gesträubt hatte. Der CDU-Politiker, der künftig als einfacher Abgeordneter dem Bundestag angehört, plädierte für ein selbstbewusstes Parlament, das „den Streit in der Mitte der Gesellschaft suchen“ sollte.

Die SPD-Politikerin löst den CDU-Mann als Bundestagspräsidentin ab. Reuters

Bärbel Bas und Wolfgang Schäuble

Die SPD-Politikerin löst den CDU-Mann als Bundestagspräsidentin ab.

Keine politische Seite solle für sich beanspruchen, allein recht zu haben. Am Ende applaudierten die Abgeordneten dem parlamentarischen Grandseigneur im Stehen – auch die AfD rang sich nach anfänglichem Zögern dazu durch. „Bringen Sie mich bitte nicht zu sehr in Rührung“, entfuhr es Schäuble.

Merkel trifft keine Entscheidungen als Regierungschefin mehr

Noch einen Abschied auf Raten gab es zu beobachten. Zwar hätte die Kanzlerin laut Geschäftsordnung des Bundestags theoretisch das Recht, mit der geschäftsführenden Regierung im Plenarsaal zu sitzen. Doch Angela Merkel (CDU) nahm auf der Ehrentribüne zwischen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) Platz.

Ein Vorgang mit großer Symbolik. An diesem Tag ist Angela Merkel zum ersten Mal seit 31 Jahren nicht nur keine Abgeordnete mehr. Seit Dienstag ist sie nur noch als geschäftsführende Kanzlerin im Amt. Für sie und ihr Kabinett gilt nun das Gebot größtmöglicher politischer Zurückhaltung. Die Regierung trifft nun keine Entscheidungen mehr, die die neue Regierung binden.

Merkel blieb sich auch in diesen Stunden treu. Ohne große äußerliche Emotionen verfolgte sie die Plenarsitzung. Über welche Begebenheit sie sich mit dem Bundespräsidenten einmal juxend austauschte, wird wohl nie jemand erfahren. Steinmeier händigte der Kanzlerin und den Mitgliedern der Bundesregierung jedenfalls noch am Nachmittag ihre Entlassungsurkunden aus.

Die Kanzlerin und ihre Minister treffen nun keine Entscheidungen mehr, die die neue Regierung binden. Reuters

Entlassungsurkunde für Angela Merkel

Die Kanzlerin und ihre Minister treffen nun keine Entscheidungen mehr, die die neue Regierung binden.

Er bat aber Merkel, die Regierungsgeschäfte noch so lange weiterzuführen, bis ein neuer Kanzler gewählt wird. Eine Aufforderung, der Merkel nachkommt. Am Wochenende fliegt die Kanzlerin zum G20-Gipfel nach Rom. Eine Woche später wird sie auf der Weltklimakonferenz in Glasgow erwartet.

Erste die dritte Frau im Amt der Bundestagspräsidentin

Kurz nach 13 Uhr kündigt Wolfgang Schäuble die erste echte Zäsur an diesem Tag an: „Frau Präsidentin, bitte übernehmen Sie das Amt.“ Die Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas war zuvor mit 576 von 732 abgegebenen Stimmen zur neuen Bundestagspräsidentin gewählt worden – und die SPD hat damit als stärkste Fraktion die Regie über das Bundestagspräsidium übernommen.

Olaf Scholz (SPD), der demnächst im Bundestag zum Kanzler gewählt werden will, verwahrte sichtlich gern die Blumensträuße, die Bas von den Gratulanten übergeben wurden. Eigentlich galt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich als gesetzt für das Amt. Doch als die 53-jährige Duisburgerin sich auf den erhobenen Platz am Kopf des Parlaments setzt, macht sie schnell klar, dass sie nach vorn schauen will.

Sie lobt Schäubles Arbeit, betont aber gleichzeitig, dass sie erst die dritte Frau in diesem Amt sei. Vor ihr waren Annemarie Renger (SPD) von 1972 bis 1976 und Rita Süssmuth (CDU) von 1988 bis 1998 Parlamentspräsidentinnen. Bas erntet Applaus von allen Seiten, als sie sich zu einer fairen Parlamentsarbeit bekennt. Nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu, was viele in den Fraktionen danach als Anspielung auf die AfD verstehen: „Wir sind nicht hier, einander persönlich zu bekriegen. Lassen Sie mich aber auch sagen: Hass und Hetze sind keine Meinung.“

Dass sich etwas ändert, zeigte sich auch bei der Wahl der Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen des Bundestags. Dabei erhielten die Kandidatinnen Aydan Özoguz (SPD), Yvonne Magwas (CDU), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linkspartei) sowie Wolfgang Kubicki (FDP) deutliche Mehrheiten. Damit sitzen mit Bas nun fünf Frauen und ein Mann im Präsidium des Bundestags. Der Kandidat der AfD, Michael Kaufmann, verfehlte das erforderliche Votum deutlich.

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